Detmold/Lemgo. Marianne Schaak (73) greift in ihre Tasche, holt ein Porträt ihres verstorbenen Ehemanns heraus und stellt es auf den Tisch im Saal 67 des Detmolder Landgerichts. Ihr gegenüber sitzen Rechtsanwältin Klaudia Hugenberg und Chefarzt Prof. Dr. Wolfgang Hiller als Vertreter des Klinikums Lippe. Vor mehr als fünf Jahren sollen Ärzte in Lemgo einen 2,5 Kilo schweren Tumor im Bauch ihres Mannes Werner übersehen haben.
Monate später verstarb Werner Schaak, seine Witwe verlangt neben einer Entschuldigung auch 54.000 Euro Schadensersatz und Schmerzensgeld. Am ersten Verhandlungstag vor der Zivilkammer bescheinigte am Montag Prof. Jörg Schubert, Sachverständiger und Internist aus Riesa, dem Klinikum Lemgo Fehler bei der Erstellung der Diagnose im Fall Werner Schaak.
Als sich der damals 73-jährige Lemgoer im Januar 2010 mit Bauchschmerzen in der Notaufnahme gemeldet habe, sei er nicht auf mögliche Tumore untersucht worden. Die Ärzte hätten eine Verstopfung festgestellt und ihn nach zwei Tagen ohne Ultraschalluntersuchung, Computertomographie (CT) und Abtastung entlassen. „Wenn ein Ultraschall gemacht oder der Bauch abgetastet worden wäre, hätte man den Tumor entdeckt. Der Fehler in der Diagnose steht fest“, betont Prof. Jörg Schubert.
Zwei Monate nach der Entlassung sei der 73-Jährige wieder in die Klinik eingeliefert worden. Diesmal sei nach einer CT-Untersuchung der 15 mal 25 Zentimeter große Tumor entdeckt und entfernt worden. Doch nur Monate später verstarb der Patient, weil sich neue Tumore gebildet hatten, die nicht operiert werden konnten. „Wenn die Ärzte den Tumor im Januar entdeckt hätten, wären die Prognosen besser gewesen“, so Gutachter Prof. Schubert.
Überrascht von der eindeutigen Stellungnahme des Gutachters zeigten sich Rechtsanwältin Klaudia Hugenberg und Prof. Wolfgang Hiller, Chefarzt der Klinik für Allgemein-, Viszeral und Thoraxchirurgie. Sie zweifelten immer wieder an den Aussagen des 54-jährigen Sachverständigen und ernteten vernehmbare Unmutsäußerungen von den zahlreich erschienenen Zuschauer. „Der Tumor hat so unglücklich gelegen, dass er gar nicht ertastbar war“, erklärte Prof. Hiller.
Nach mehr als 90 Minuten Beweisaufnahme regte Richter Manfred Pohlmeier einen Vergleich an. „Wir werden es prüfen“, entgegnete Hugenberg darauf. Eine weitere Stellungnahme lehnte das Klinikum ab.
„Wir sind zufrieden. Es sieht gut aus, sonst hätte das Gericht nicht den Vergleichsvorschlag gemacht“, resümierte Medizinrechtler Dr. Peter Gellner, Anwalt von Marianne Schaak. Sie will nichts mehr sagen – mit gebrochener Stimme und Tränen in den Augen drückt sie das Porträt ihres Mannes an die Brust und steckt es wieder in die Tasche. Ein Urteil soll am 29. Januar 2016 verkündet werden.