Kreis Lippe. Monica Jula und Ieva Sakalauskaite haben ein Ziel: Sie möchten als Ärztinnen am Klinikum Lippe arbeiten. Die beiden Studentinnen kommen aus Rumänien und Litauen und absolvieren einen Teil ihrer praktischen Ausbildung in Detmold und Lemgo. Für das Klinikum Lippe ist die Zusammenarbeit Teil der Personalentwicklung, denn Mediziner sind Mangelware.
„In Rumänien dauert die Ausbildung zwar auch sechs Jahre, aber in dieser Zeit wird kaum praktisch gearbeitet. Man schaut höchstens zu", sagt Monica Jula. Die 21-Jährige ist zum dritten Mal in Detmold, weil es dort eben anders ist. „Die Ärzte erklären viel mehr und man kann praktische Erfahrungen sammeln." Ieva Sakalauskaite sieht dies ebenfalls als Vorteil, denn auch in Litauen stehe die Theorie im Vordergrund, und einige Operationstechniken gebe es in ihrem Heimatland so gar nicht. „Ich habe in der vergangenen Woche bei einer sehr speziellen Kniearthroskopie assistiert – es war unheimlich interessant", erklärt die 23-Jährige.
Beide können sich vorstellen, nach ihrer Ausbildung in Lippe zu arbeiten, und das hört Cornelia Reingruber besonders gerne. Sie leitet die Personalentwicklung der Gesundheitsholding Lippe GmbH und verweist auf die guten Erfahrungen, die das Klinikum mit den Studenten aus dem Ausland bislang gemacht hat. Die Zahl steige. Aktuell arbeiten 60 Medizinstudenten an den Kliniken mit.
„Seit dem vergangenen Jahr arbeiten wir als Lehrkrankenhaus mit der Universität Göttingen zusammen, und etwa ein Fünftel der Studenten macht keine kürzeren Praktika, sondern das praktische Jahr bei uns", erklärt Elke Güse, die die Studenten mitbetreut. Bettina Reinhardt gehört zu denen, die derzeit in Göttingen studieren, aber in Lippe das praktische Jahr absolvieren.
Reinhardt ist in Lippe aufgewachsen, ob sie dort auch langfristig arbeiten möchte, lässt sie offen. Die 30-Jährige hört im Pressegespräch, dass die Studentinnen aus Litauen und Rumänien das deutsche Ausbildungssystem in den Kliniken loben, allerdings beurteilt sie es etwas anders. „Es müsste noch mehr Praxisanteile geben", sagt sie. Und im Gegensatz zu Monica Jula und Ieva Sakalauskaite hat sie einen viel schwierigeren Start gehabt, denn sie musste sechs Jahre auf einen Studienplatz warten. „Ich habe mich deshalb erst zur Rettungsassistentin ausbilden lassen, jetzt bin ich am Ende der sechsjährigen Ausbildung, dann aber muss ich noch einmal sechs Jahre rechnen, um den Facharzt zu haben", rechnet sie vor.
Jula und Sakalauskaite haben eine gleich lange Studien- und Ausbildungszeit, aber nicht auf ihren Studienplatz warten müssen, denn so etwas wie einen Nummerus clausus gibt es in Litauen und Rumänien nicht. „Bei uns zählt die Abiturnote nur zu einem kleineren Teil, die Prüfungen in Biologie, Chemie sind wichtiger", sagen beide.
Für die Teil-Ausbildung in Deutschland mussten beide auch Sprachkenntnisse nachweisen. „Sie müssen vorher Deutsch gelernt haben, denn es muss sichergestellt sein, dass sie alles verstehen und gegebenenfalls auch den Patienten erklären können", sagt Elke Güse. Das Klinikum Lippe biete seit Jahren bereits Sprachkurse an. „Das ist ein Angebot, das sich durchaus auch an ausgebildete Mediziner richtet, und wir bekommen überaus positive Rückmeldungen", sagt Reingruber.
Kommentar: "Noten sind kein Maßstab"
von Astrid Sewing
Ein Einser-Abitur ist eine großartige Sache. Aber sagt die Note etwas darüber aus, ob der Jugendliche ein Talent für den Beruf des Mediziners mitbringt? Wohl nicht. Deshalb gehen Universitäten mittlerweile dazu über, zum Beispiel auch Motivationsschreiben vor der Vergabe der Studienplätze einzufordern oder Tests anzubieten. Das läuft nicht einheitlich und macht das Ganze noch unübersichtlicher. In Zeiten, wo Ärzte Mangelware sind, ist das der falsche Weg.
Die Beispiele aus dem Klinikum zeigen, dass das auch anders geht. Die Studentinnen aus Rumänien und Litauen mussten nicht – wie es aktuell in Deutschland im Schnitt üblich ist – sieben Jahre auf einen Studienplatz warten. Sie konnten nach dem Abitur durchstarten und sind entsprechend jünger, wenn sie die Ausbildung komplett abgeschlossen haben.
Und sie sind nicht weniger qualifiziert als ihre deutschen Kollegen. Sie können in Deutschland arbeiten und sich das Klinikum aussuchen. Wie die Beispiele von Monica Jula und Ieva Sakalauskaite zeigen, ist das Klinikum Lippe durchaus auch eine attraktive Option.
Warum also schaut man sich zumindest das einheitliche Testverfahren nicht im europäischen Ausland ab? Gute Mediziner können auch die werden, die ein schlechteres Abitur machen.
Reform des Medizinstudiums: Mehr Patientennähe - und raus aufs Land
Berlin (dpa) - Mediziner sollen schon während ihres Studiums näher an die Patienten herangeführt und über Quoten häufiger als bisher für eine Niederlassung als Landarzt gewonnen werden. Dies sieht der im März von Bund und Ländern beschlossene «Masterplan Medizinstudium 2020» vor.
Detailfragen und Kosten soll in nächster Zeit eine Expertenkommission unter Leitung der früheren Generalbundesanwältin Monika Harms klären. Ziel der Reform: mehr Praxisnähe des Studiums und die Stärkung der Allgemeinmedizin gegenüber Spezialistentum.
Pro Jahr schließen nach Länder-Angaben etwa 10.000 Mediziner ihr Studium ab. Um mehr Landärzte zu gewinnen, soll den Ländern die Einführung einer Quote ermöglicht werden. Sie könnten dann bis zu zehn Prozent der Medizinstudienplätze vorab an bestimmte Bewerber vergeben - diese müssten sich aber verpflichten, «nach Abschluss des Studiums und der fachärztlichen Weiterbildung in der Allgemeinmedizin für bis zu zehn Jahre in der hausärztlichen Versorgung in unterversorgten beziehungsweise durch Unterversorgung bedrohten ländlichen Regionen tätig zu sein».
Die praktische und rechtliche Umsetzung gilt aber als schwierig. «Die eingegangene Verpflichtung wird mit wirksamen Sanktionen abgesichert», heißt es nun im Masterplan ohne nähere Details.
Der Weg zu einem der begehrten Medizinstudienplätze soll erweitert werden, erläuterten die zuständigen CDU-Bundesminister Johanna Wanka (Bildung) und Hermann Gröhe (Gesundheit). So sollen die Hochschulen in ihren Auswahlverfahren neben der Abiturnote mindestens zwei weitere Kriterien anwenden: Einerseits werden laut «Masterplan» soziale und kommunikative Fähigkeiten sowie Leistungsbereitschaft der Studienbewerber - etwa über Tests - stärker einbezogen, zum anderen wirken sich eine Ausbildung oder Tätigkeit in medizinischen Berufen positiv aus.
Ein besonderes Augenmerk soll im Studium dem Arzt-Patienten-Gespräch gelten. Zudem wird angestrebt, dass angehende Ärzte «neben den bisher im Mittelpunkt der Ausbildung stehenden hochspezialisierten Fällen an den Universitätskliniken auch ganz alltägliche Erkrankungen in der ambulanten und stationären Praxis kennenlernen».
Gröhe lobte die nach längerem Streit erzielte Bund-Länder-Einigung als «großen Schritt und dauerhafte Weichenstellung» für gut ausgebildete und motivierte Mediziner in Deutschland. Wanka und die Vorsitzende der Gesundheitsministerkonferenz, Eva Quante-Brandt (SPD), hoben hervor, dass nun alle politisch Beteiligten hinter dem Masterplan stünden.
Von der Kultusministerkonferenz (KMK) hieß es allerdings einschränkend, die volle Umsetzung der Reform sei «nur möglich, wenn zusätzliche Haushaltsmittel zur Verfügung gestellt werden. Hier stehen auch der Bund und die für die ärztliche Versorgung zuständigen Träger in der Pflicht.» Die KMK hatte kürzlich eine Zustimmung zum Masterplan noch abgelehnt, weil die Finanzierung nicht gesichert sei.
In Deutschland gibt es nach Darstellung des AOK-Bundesverbands zwar viele Ärzte, diese sind aber ungleichmäßig verteilt. Selbst im hausärztlichen Bereich habe es 2015 einen Gesamtversorgungsgrad von rund 110 Prozent gegeben, geht aus dem «Ärzteatlas 2016» des Wissenschaftlichen Instituts der AOK hervor. Demnach kamen auf 100 000 Einwohner 456 berufstätige Ärzten (1991: 304).
Der Unterversorgung in einigen Landstrichen steht laut AOK eine Überversorgung insbesondere in Ballungsgebieten oder den für Ärzte attraktiven Regionen gegenüber. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) verweist allerdings auf eigene Statistiken mit anderen Ergebnissen. Und der Deutsche Hausärzteverband verweist darauf, dass Hausärzte in Ballungsgebieten häufig auch Patienten aus den umliegenden ländlichen Regionen mit versorgen.