1969: Wollte ein 15-Jähriger seine vierzehn Jahre ältere Geliebte umbringen?

Lage-Hörste. "Auf der Polizeistation Lage erscheint der 15-jährige Hans K.* aus Leopoldstal. Im Kötterhaus in Hörste habe er die 29-jährige Gerda L. aus Detmold morgens tot aufgefunden." Doch nicht alles war, wie es zunächst aussah.

"Fünfzehnjähriger ermordete seine 29-jährige Geliebte" Hans K. sagte der Polizei in diesem ersten Treffen, er habe zuvor die Nacht mit Gerda L. in dem Haus verbracht. Gemeinsam wollten sie Selbstmord begehen. Die 29-jährige Mutter von drei Kindern lebte in Trennung von ihrem Ehemann. Mit Hans K. war sie seit vier Jahren bekannt, aus der Freundschaft habe sich ein Verhältnis entwickelt, sagte K. der Polizei. "Im April habe ihm Frau L. eröffnet, dass sie ein Kind von ihm erwarte. Man habe eine Heirat erwogen, sobald er etwas älter sei." (LZ, 12. September 1969). Doch in K. wuchsen Zweifel. Er fühlte sich zu jung, um Vater zu werden. Mit Schlaftabletten hätten sich beide ins Kötterhaus begeben. "Während Gerda L. die ihr zugedachte Dosis Tabletten geschluckt hätte, habe er nur einige wenige eingenommen." Am nächsten Morgen habe Hans K. einen Arzt verständigen wollen, aber keinen erreichen können. Zurück im Kötterhaus habe Gerda L. gezuckt und geröchelt, er habe dem Zustand ein Ende machen wollen und sie gewürgt.

Würgspuren fand die Polizei auch am Tatort. Allerdings auch Indizien dafür, dass der Leichnam der jungen Frau bewegt worden war. Die erste Obduktion ergab, dass Gerda L. an Herz- und Kreislaufversagen gestorben war. Die Staatsanwaltschaft erließ dennoch einen Haftbefehl unter der Annahme, dass Hans K. geplant hatte, seine Geliebte beiseite zu schaffen.

"War es Mord oder Selbstmord?" Ein Dreivierteljahr später startete der Prozess vor dem Detmolder Landgericht. Die Anklage: Versuchter Mord. Starb Gerda L. bereits in der Nacht an den Tabletten, die sie freiwillig genommen hatte? Oder erst durch die Hände ihres Geliebten? Dass das ungleiche Paar eine enge Bindung hatte, zeigten leidenschaftliche Liebesbriefe, in denen Gerda bekundete, was für ein großartiger Liebhaber Hans sei. "Nächtelang blieb Hans K., der der liebeshungrigen Frau hoffnungslos verfallen war, in der Wohnung seiner Geliebten. Seine Eltern, rechtschaffende Leute, versuchten das ungleiche Paar zu trennen", heißt es in der LZ vom 11. Juni 1970. Hans' Vater habe sogar eine gerichtliche Verfügung erwirkt, wonach es Gerda unter Androhung von Strafe verboten war, den 15-Jährigen wiederzusehen. Gründe, die zu der Selbstmordidee führen sollten.

Vor Gericht hatte die Jugendkammer allerdings Probleme mit der Wahrheitssuche. Die Aussagen waren widersprüchlich. "Unklar blieb, wann ihn die Mutter von drei kleinen Kindern zum erstenmal geküsst hat; wann sie von einem Tag zum anderen ihre Familie im Stich gelassen hat und wann sie den Beschuldigten telefonisch mit der Nachricht aufgeschreckt hat, sie erwarte ein Kind von ihm. Nur das Verlobungsdatum stand fest, eingraviert in zwei Ringe, die Hans K. für 150,- DM gekauft hatte."

Nachdem das Amtsgericht Horn dem Paar den Kontakt verbot, soll Gerda den Vorschlag des gemeinsamen Selbstmords gemacht haben. "[Gerda] meinte: die reißen uns doch auseinander. Sie wollte Tabletten nehmen, ich konnte es ihr nicht ausreden", sagte Hans K. vor Gericht. Aus dieser und den weiteren Zeugenaussagen zeigte sich: Hans K. wollte unbedingt leben, Gerda L. hatte keine Angst vorm Sterben. Und auch der Gerichtsmediziner fand keine Hinweise für einen Angriff, keine Kratzspuren, die auf eine Gewaltanwendung deuteten.

Anders jedoch der Bericht der Polizei. Vor Gericht sagte der damals involvierte Kriminalhauptkommissar aus, Hans K. habe erklärt, die Frau habe noch geatmet, sich bewegt. Er habe gesagt "da sie ja sterben wollte, habe er eben den Hals zugedrückt, bis sie nicht mehr röchelte." Das psychatrische Gutachten ergab zudem keine Hinweise darauf, dass Hans K. ein falsches Geständnis abgelegt hätte. Doch was stimmte nun?

"Fast im eigenen Lügengewebe erstickt" Hätte Hans K. Gerda L. gewürgt, wäre dies vor dem Gesetzgeber wie ein versuchter Mord geahndet worden. Die Staatsanwaltschaft sah diesen Bestand erfüllt. Sie forderte unter Anrechnung vieler beeinflussender Faktoren eine Jugendstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten. Doch: das einzige Beweismittel war das Geständnis des Angeklagten. Vor Gericht hieß es damals: "Sie können den Angeklagten nur dann verurteilen, wenn Sie das Geständnis für richtig halten. Wenn Sie den geringsten Zweifel daran hegen, muss der Angeklagte freigesprochen werden." Und so kam es dann auch.

* alle Namen wurden von der Redaktion geändert.

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