2016 alarmierte ein Vater die Behörden - Warum ist nichts passiert?

Kreis Lippe. 30 Jahre lang lebte ein 56 Jahre alter Mann auf dem Campingplatz Eichwald in Lügde in einem heruntergekommenden Blockhaus. Jetzt ist die Laube verwaist, das Gelände von der Polizei abgesperrt und der Dauercamper festgenommen – genauso wie zwei weitere Männer. Das Trio soll über Jahre hinweg mindestens 23 Kinder sexuell missbraucht und Kinderpornos gedreht haben. Es ist die Geschichte eines Verbrechens. Ob es ein eklatantes Versagen der Behörden war, prüft die Detmolder Staatsanwaltschaft.

Davon ist Jens Ruzsitska, Familienvater aus Bad Pyrmont, bereits überzeugt. Er hatte den Camper bereits 2016 wegen unsittlicher Berührungen seiner Töchter – damals acht und fünf Jahre alt – bei der Barntruper Polizei, dem Jugendamt Hameln-Pyrmont und dem Kinderschutzbund Bad Pyrmont angezeigt. &bdquo;Er war ganz offensichtlich pädophil und hat immer wieder kleine Kinder berührt", erinnert sich der Frührentner.

Der Vater erzählt in unserem Video, wie er den 56-Jährigen auf einer Geburtstagsparty erlebt hat:

Nach ein paar Wochen hätten sich Jugendamt und Polizei bei ihm gemeldet: &bdquo;Sie sicherten mir zu, dass beim Dauercamper alles in Ordnung sei. Ich solle vorsichtig sein mit meinen Äußerungen, da ich auch wegen Rufmordes und übler Nachrede angezeigt werden könnte."

Doch im Endeffekt sei überhaupt nichts passiert – niemand habe sich interessiert, &bdquo;sonst hätte man Missbrauchsfälle nach 2016 verhindern können", glaubt der 57-Jährige. Zudem habe der Camper sein damals sechsjähriges Pflegekind als Köder benutzt, um Kontakt zu anderen Eltern und Kindern aufzubauen. Er verstehe nicht, dass diesem Mann von den beteiligten Jugendämtern ein Pflegekind zugesprochen worden sei.

&bdquo;Die zuständigen Behörden haben in diesem Fall völlig versagt. Dies ist der Skandal im Skandal", betont der Familienvater. Er gehe davon aus, dass sich die Zahl der bisher 23 bekannten Missbrauchsfälle noch steigern werde. &bdquo;Er hat mir erzählt, dass er auch in einem Kinderdorf und in Schwimmbädern mit Kindern ,gearbeitet hat", sagt Ruzsitska. Davon sei den Ermittlungsbehörden nichts bekannt, &bdquo;aber wir werden dem nachgehen", sagt Oberstaatsanwalt Ralf Vetter. Er kenne die Aussagen von Jens Ruzsitska aus dem Jahr 2016. Die Vorwürfe gegen den heute Beschuldigten habe dieser jüngst während einer neuerlichen Vernehmung wiederholt. &bdquo;Es gibt auch Notizen über seine Meldungen bei den Behörden", sagt Vetter.

Unterbringung beim Dauercamper war ein Fehler Damals sei anscheinend nichts passiert, weil seine Informationen gegenüber der Polizei und den anderen Behörden nicht als Missbrauchsstrafanzeige, sondern als Verwahrlosung des Pflegekindes eingeordnet worden seien. &bdquo;Es gibt keinen Grund, Jens Ruzsitska nicht zu glauben. Er ist kein Spinner", erklärt Vetter. Das Verhalten der zuständigen Behörden sei bisher nicht nachvollziehbar. &bdquo;Aus heutiger Sicht war dies eine krasse Fehlentscheidung. Dazu gehört auch die Unterbringung eines Pflegekindes, das als Köder für Übergriffe genutzt wurde", so Vetter. Daher werde gegen Mitarbeiter in den Jugendämtern Lippe und Hameln-Pyrmont wegen Verletzung der Fürsorge- und Erziehungspflicht ermittelt. Im vergangenen Monat habe die Staatsanwaltschaft Unterlagen sichergestellt. Die beiden Behörden sicherten am Mittwoch vollständige Mitarbeit zu. Laut Vetter wird zudem ein Ermittlungsverfahren gegen die Polizei geprüft.

Kritik kommt auch von Rechtsanwalt Johannes Salmen, der den Dauercamper vertritt: &bdquo;Wie können Behörden einem ledigen, alten Mann, der seit 30 Jahren in einer solchen Behausung lebt, ein Kind in Obhut geben?" Hier müsse die Staatsanwaltschaft ordentlich und sauber recherchieren. Sein Mandant sitze seit dem 6. Dezember in Untersuchungshaft und schweige derzeit zu den Vorwürfen der Staatsanwaltschaft, die wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen, Anstiftung zum Missbrauch sowie Herstellung und Verbreitung von Kinderpornos ermittele.

&bdquo;Die Anklagepunkte gegen meinen Mandanten, der keine einzige Vorstrafe hat, sind sehr umfangreich. Wenn die Ermittlungen abgeschlossen sind, werden wir entscheiden, ob er eine Aussage macht", so Johannes Salmen. Die Verteidiger der beiden anderen Verdächtigen aus Steinheim und Stade, die ebenfalls keine Vorstrafen haben, waren nicht zu erreichen.

&bdquo;Wenn die Vorwürfe vor Gericht bewiesen werden, drohen dem Trio mehrjährige Haftstrafen oder gar Sicherungsverwahrung", sagt Oberstaatsanwalt Vetter. Der Prozess soll im Juni dieses Jahres am Detmolder Landgericht beginnen.

Jugendämter verteidigen ihre Entscheidung Zuständig für das Pflegekind ist das Jugendamt des Kreises Hameln-Pyrmont. Die unter anderem von der Staatsanwaltschaft heftig kritisierte Unterbringung auf einem Campingplatz verteidigt der Landkreis: &bdquo;Weder der Gesundheitszustand, die finanzielle Lage noch das Führungszeugnis des Mannes gaben Grund zur Beanstandung."

Entscheidend seien die gute Bindung des Kindes zu dem Pflegevater, dessen Einsatz für das Kind und deutliche Verbesserungen des Entwicklungszustandes gewesen. Die Situation sei wöchentlich überprüft worden. &bdquo;Die Wohnsituation war sicherlich nicht optimal, hat im Vergleich zu einer funktionierenden sozialen Bindung allerdings einen deutlich geringeren Stellenwert und ist kein Indiz für die Feststellung für eine Kindeswohlgefährdung. Sie entspricht einem winterfesten Wochenendhaus mit einem Schlafbereich für das Kind, das in gutem Pflegezustand vorgefunden wurde." Der Pflegevater habe sich seinen Lebensmittelpunkt geschaffen, Freizeitaktivitäten koordiniert, sei in das Umfeld eng eingebunden gewesen.

Dem Jugendamt Lippe ist Ende 2018 die Strafanzeige bekannt geworden. &bdquo;Das Kind wurde am selben Tag in Obhut genommen und in einer Bereitschaftspflegefamilie untergebracht. Hameln-Pyrmont übernahm schließlich die Obhut des Kindes." Bereits Ende 2016 sei eine Kindeswohlgefährdung angezeigt worden. &bdquo;Diese bezog sich auf den Verdacht der Verwahrlosung – nicht eines möglichen Missbrauchs", betont Pressesprecherin Lydia Penner. Aber: &bdquo;Das Kind lebte in keinem verwahrlosten Umfeld."

Campingplatz-Besitzer kennt den Verdächtigen 30 Jahre Frank Schäfsmeier, 54, ist fassungslos. Der Besitzer des Campingplatzes kennt den Verdächtigen als &bdquo;stillen, hilfsbereiten Zeitgenossen." Vor 20 Jahren habe er einen Sommer für ihn gearbeitet. &bdquo;Auch nach vielem Nachdenken gibt es im Nachhinein nichts Anstößiges, was mir an ihm negativ aufgefallen wäre. Ich hätte für ihn meine Hand ins Feuer gelegt."

Seit Montag seien zahlreiche Journalisten aus ganz Deutschland bei ihm gewesen, die großen Sender und Magazine waren da – er sorge sich um den Ruf seines Platzes, den seine Eltern 1973 gegründet hatten. Aber: &bdquo;Es geht hier nicht um mich, es geht um die Kinder." Gefreut habe ihn, dass viele Dauergäste angerufen hätten. &bdquo;Sie haben fest zugesagt, weiterhin auf meinen Campingplatz zu kommen." Er habe zahlreiche Mails und Anrufe erhalten. Die Gemeinschaft der Camper halte eben zusammen – nach dem Motto: &bdquo;Der Tatort kann ja nichts für die Tat."

Unbegreiflich findet Schäfsmeier, dass der 56-Jährige ein Pflegekind in Obhut bekommen habe: &bdquo;Das hat mich gewundert. Nicht wegen meines Dauercampers, sondern weil seine Parzelle schon unordentlich war. Ich hatte ihm meine Bedenken auch geäußert. Und das Jugendamt war oft hier, um nach dem Rechten zu sehen." Von der Verhaftung Anfang Dezember habe er erst Tage später erfahren: &bdquo;Der Mann hatte eine Wohnung gefunden und musste renovieren – ein Campingplatz als fester Wohnsitz ist ja seit zwei Jahren verboten." Schäfsmeier hatte seine beiden Töchter dann sofort gefragt, ob sie Kontakt zu dem Mann gehabt hätten – &bdquo;aber sie sagten Gott sei Dank Nein."

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