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Missbrauchskandal in Lügde: Neue Vorwürfe gegen die Polizei

Janet König und Erol Kamisli

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Tatort: Der Campingplatz „Eichwald" wird erneut durchsucht. - © Vera Gerstendorf-Welle
Tatort: Der Campingplatz „Eichwald" wird erneut durchsucht. (© Vera Gerstendorf-Welle)

Lügde/Düsseldorf. Die Ereignisse im Skandalfall um den jahrelangen Missbrauch auf dem Campingplatz „Eichwald" in Lügde überschlagen sich: NRW-Innenminister Herbert Reul hat nach der „fahrlässigen Arbeitsweise" der Polizei jetzt auch den lippischen Polizeichef Bernd Stienkemeier versetzt. Außerdem hat die Ermittlungskommission einen weiteren Tatverdächtigen im Visier.

Dabei soll es sich laut Oberstaatsanwalt Ralf Vetter um einen 16-Jährigen handeln, der aus der Region stammt. Der Beschuldigte stehe im Verdacht, kinderpornografisches Material besessen zu haben, das auf dem Campingplatz entstanden sein soll. Auf die Spur gekommen sind die Ermittler dem Verdächtigen offenbar bei der Auswertung der Datenträger, die bei den Hauptverdächtigen sichergestellt worden sind. Auf einer Videodatei habe es einen Hinweis auf den Beschuldigten gegeben. In welcher Beziehung der 16-Jährige zu den Hauptverdächtigen steht, dazu wollte Vetter keine näheren Angaben machen.

Die Bielefelder Polizei gab bekannt, dass sie seit vergangenem Montag einen „vagen Hinweis" auf ein Sexualdelikt im Jahr 2002 habe – darin soll der Hauptverdächtige Andreas V. verwickelt sein. „Ob an dieser Sache etwas dran ist, wissen wir nicht. Aber wir gehen jedem Tipp, der aus der Bevölkerung kommt, nach", so Sprecherin Sonja Rehmert. Oberstaatsanwalt Vetter kann zu dem Vorfall nichts sagen: „Ich weiß nichts von dieser Sache." Er könne aber bestätigen, dass vergangene Woche ein Vermerk der lippischen Polizei aus 2008 aufgetaucht sei, der auf ein „Sexualdelikt" durch den Hauptbeschuldigten hinweist. „Er soll damals einem 13-jährigen Heimkind in Lügde ein Handy geschenkt haben. Anschließend ist es zu sexuellen Gesprächen gekommen", sagt Vetter. Das Mädchen habe ihre Erzieher informiert, die Anzeige bei der Polizei in Lügde erstattet hätten. „Was dann passiert ist, können wir nicht mehr nachvollziehen", erklärt Vetter. Entweder wurde dies nicht an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet oder die Ermittlungen wurden eingestellt. „Wir haben intensiv in unseren Unterlagen gesucht, aber nichts zu dem Vorfall gefunden", so Vetter.

„Ohne Rückhalt kein Vertrauen"

Ein Kommentar von Dirk Baldus

Schwerwiegende Fehler im eigenen Jugendamt, unfassbares Versagen in der Kreispolizeibehörde: Lippes Landrat Axel Lehmann muss sich als Behördenleiter weiterhin die Frage gefallen lassen, ob er die politische Verantwortung im Lügder Missbrauchsfall übernimmt.

Um Kreisverwaltung und Polizei in dieser schwierigen Zeit zu leiten, benötigt Lehmann Sicherheit, Selbstbewusstsein und Führungsstärke. Dem entgegen steht der schwindende Rückhalt. Innenminister Reul rasiert ihm – offiziell in Absprache – die Polizeispitze weg. Die Aufarbeitung der Polizeifehler übernehmen Spezialisten des Landeskriminalamtes. Und zu allem Überfluss schwindet die Unterstützung aus der lippischen Politik. Selbst seine Genossen mosern hinter vorgehaltener Hand über seine Kommunikationsfehler. Ja, der Landrat hat sich im Windschatten Reuls in Düsseldorf geäußert. Und ja: Er bekam per E-Mail die Empfehlung, im Polizeibeirat nichts zu den verschwundenen Asservaten zu sagen. Aber warum hat er nicht zumindest seine Fraktionsvorsitzenden umgehend und vertraulich mit ins Boot geholt?

Lehmanns bittere Realität: Auch wenn er keine der grausamen Taten persönlich hätte verhindern können, hält er als oberster Dienstherr für das Handeln seiner Mitarbeiter den Kopf hin.

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