„Angst ist ansteckender als das Coronavirus“

Kreis Lippe. Wenn man plötzlich Menschen, die man mag, nicht mehr umarmen darf, keinem mehr die Hand schütteln soll und nicht mehr weiß, ob Opas Husten oder der Schnupfen der Tante vielleicht eine Gefahr bedeuten, dann ist die Verunsicherung unter Kindern und Jugendlichen groß.

Dr. Ulrich Preuss (60) ist seit fünf Jahren Chefarzt der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie am Klinikum Lippe. Auch in seiner Klinik gibt es derzeit nur ein Thema – nämlich das Coronavirus. Er betont, dass Eltern ihren Nachwuchs ernst nehmen müssen, ohne ihn unnötig zu verängstigen.

Herr Dr. Preuss, wie sollen Eltern mit ihren Kindern über das Coronavirus sprechen?

Dr. Ulrich Preuss: Zuerst muss den Kindern erst mal die Angst und Unsicherheit genommen werden. Wenn plötzlich Kitas und Schulen geschlossen werden und die Besuche bei Verwandten und Freunden ausfallen, dann muss aufgeklärt werden.

Und wie?

Preuss: Eher entspannt – eine Belastung wird es für Kinder, Wenn die Eltern unruhig werden oder Angst zeigen. Das überträgt sich natürlich auf den Nachwuchs. Eltern müssen unbedingt darauf achten, Informationen rund um die Epidemie ruhig einzuordnen. Angst ist viel ansteckender als das Coronavirus. Kinder haben sehr feine Antennen. Deswegen ist es gerade für Eltern besonders wichtig, keine Panik zu zeigen, sondern gelassen zu bleiben. Bitte Normalität walten lassen und cool bleiben.

Das klingt einfach...

Preuss: Ist es auch. Die Eltern sollten mit den Kindern, die ja untereinander über das Thema reden, den Realitätscheck machen. Sie überprüfen gemeinsam mit den Kindern und Jugendlichen, wie wahrscheinlich es ist, dass sie sich überhaupt mit dem Virus anstecken oder gar daran sterben, wenn sie nicht vorerkrankt sind und davor nicht in einem Risikogebiet gewesen sind. Die Erwachsenen müssen das Thema entkatastrophisieren.

Und Hände waschen..

Preuss: Es gelten jetzt andere Hygienestandards, die natürlich unbedingt eingehalten werden müssen. Es ist Aufgabe der Eltern, da wirklich hinterher zu sein. Aber bitte, nicht drohen und sagen: &bdquo;Wenn du dir nicht ordentlich die Hände wäschst, können wir alle krank werden." Das macht Kindern Angst. Solche Sätze können sie schwer einordnen. Ein Virus ist eben auch etwas sehr Abstraktes.

Also eigene Sorgen gar nicht äußern?

Preuss: Grundsätzlich haben vermummte Menschen mit Masken wie aus dem Weltall etwas Bedrohliches. Natürlich kann das zu einer Belastung für Kinder- und Erwachsenenseelen werden, aber dagegen helfen Informationen. Wir sollten sprachlich sensibel damit umgehen, die Krankheit deutlich und klar beschreiben, dabei aber nicht übertreiben und nicht angstbesetzte Worte wie Panik, Pandemie nutzen oder von den Infizierten sprechen. Überall ist zu lesen und hören, dass weltweit Tausende Menschen am Coronavirus erkrankt sind, anstatt die Zahl in Relation zur Weltbevölkerung zu setzen. Gegen erwachsene wie auch kindliche Ängste hilft: sich informieren. Wenn mich also meine Tochter oder mein Sohn fragt: &bdquo;Was ist eigentlich dieses Corona, über das die Erwachsenen sprechen und von dem in den Nachrichten immer die Rede ist?" Dann sollte man kindgerecht, aber auch wahrheitsgemäß antworten.

Wie würden Sie es erklären?

Preuss: Es gibt Krankheiten, wie Husten und Schnupfen, die Du kennst, die werden durch Viren verursacht. Corona ist auch so ein Virus, das sowas verursacht, meist mit Fieber und Schnupfen. Oft ist das nicht so schlimm. Wenn ein Mensch vorher jedoch schon sehr krank und schwach ist, kann so ein Virus die Krankheit viel schlimmer machen und manchmal muss so ein Mensch dann ins Krankenhaus. Deswegen müssen wir alles tun, damit es sich nur langsam verbreitet, damit nicht so viele Menschen auf einmal ins Krankenhaus müssen, indem wir uns beispielsweise immer gründlich die Hände waschen, und Forscher so Zeit haben, um ein Gegenmittel entwickeln zu können. Das Virus ist für Dich eigentlich nicht gefährlich.

Für die Großeltern schon...

Preuss: Auch hier unemotional erklären, dass der Kontaktabbruch zu Großeltern nur vorübergehend ist, da Oma und Opa, insbesondere chronisch erkrankte Senioren, zur Risikogruppe gehören.

Schulen, Kitas, Sporteinrichtungen werden geschlossen, Supermärkte leer gekauft, Veranstaltungen abgesagt. Wie erkläre ich Kindern das?

Preuss: Ruhig und sachlich. Eltern sollten Kindern erklären, dass sich der Alltag eine Weile verändern wird, damit sich das Virus nicht so schnell verbreiten kann. Sie müssen auch erklären, dass das Kaufen von viel Toilettenpapier oder Nudeln nicht notwendig ist. Ich halte es auch für eine gute Idee, sich gemeinsam auf seriösen Internetseiten zu informieren, um sich vor Falschmeldungen zu schützen. Dann sehen Eltern und Kind: Aha, viele der Desinfektionsmittel aus Drogerien helfen überhaupt nicht gegen Viren. Mit Hamsterkäufen handelt man sehr egoistisch und sie bringen nichts.

Kinder haben andere Ängste und formulieren sie nicht immer unbedingt – was könnten Anzeichen dafür sein, dass es ihnen in Zeiten von Corona nicht gut geht?

Preuss: Wenn sie plötzlich schweigsamer sind. Ihr Zimmer nicht verlassen. Oder: Aus dem Zimmer gehen, wenn dort die Nachrichtensendungen laufen. Ja, Kinder haben andere Ängste. Manche glauben, unter ihrem Bett schlafe ein Drache. Und ob eingebildete oder reale Ängste: Man sollte immer darauf eingehen und mit ihnen darüber reden.

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