Corona bringt Pflegekräfte im Klinikum Lippe an die Grenzen

Kreis Lippe. Vor jedem Zimmer steht ein Wagen mit Material. Nina Müller-Seidlitz überlegt vorher sehr genau, was sie benötigt. Denn wenn sie das Zimmer betritt, muss sie eine komplette Schutzmontur tragen. Sie kann nicht einfach rein- und rausgehen, denn sie pflegt Corona-Patienten. Sie und ihre Kollegen gehen jeden Tag an ihre Grenzen, erleben die Angst ihrer Patienten und spüren ihre eigene.

Mitte vergangener Woche sind 88 Patienten in Lemgo und Detmold, 13 davon auf der Intensivstation. Dahin schauen alle, denn die Frage, ob und wie lange ausreichend Betten zur Verfügung stehen, wird in der Öffentlichkeit thematisiert. Dort geht es um Leben und Tod, das menschliche Drama ist fassbarer. Aber es beginnt vorher, dann, wenn die Patienten die positive Diagnose bekommen und mit Symptomen in die Kliniken eingeliefert werden. &bdquo;Viele haben Angst, sie wissen nicht, wie sich ihre Krankheit entwickelt. Und wir können ihnen das auch nicht sagen, das ist komplett anders als bei anderen Krankheiten, deren Verläufe man oft viel besser einschätzen kann. Wir nehmen uns Zeit für Gespräche, das ist sehr intensiv", sagt Nina Müller-Seidlitz. Als examinierte Krankenschwester habe sie gelernt, mit Patienten umzugehen, ruhig zu bleiben und Mut zu machen. Die eigenen Ängste müssen im Arbeitsalltag zurückstehen.

Und der ist nicht nur körperlich anstrengender, weil Schwerkranke zu heben, zu waschen oder umzubetten sind. Die Krankenschwestern sind der Puffer, der auch die Wut der Angehörigen abbekommt. Sie können ihren Liebsten auf den Isolierstationen nicht beistehen, und wenn die Patienten nicht telefonieren können, dann ist es besonders schlimm. Morgens um 8 Uhr klingle das Telefon, bis 16 Uhr gehe das so, bis die Schicht ende.

Die Angehörigen verstünden oft nicht, dass die Pflegekräfte überhaupt keine medizinischen Auskünfte geben dürften. &bdquo;Man muss die Ruhe bewahren, sachlich antworten", sagt die Stationsleiterin. Leicht sei das nicht immer, denn nicht selten ende das Telefonat mit Beschimpfungen, Klagen würden angedroht, Beschwerden. &bdquo;Das schüttelt man nicht immer ab, zumal wir durchaus Verständnis dafür haben, dass sich die Familie sorgt. Aber wir können nichts dafür, wir wollen helfen und arbeiten."

Bis zur völligen Erschöpfung Und es ist nicht so, dass die ganze Situation nichts mit denen macht, die professionell gelernt haben, mit Krankheit und Tod umzugehen. Ihre Kollegin Karin Zepnik hat eine kleine Familie, mit Freunden aber auch nur noch wenig Kontakt. &bdquo;Man zieht sich automatisch zurück. Wir sind hier sehr gut mit Schutzkleidung ausgestattet, sehen aber Kollegen, die krank werden. Schließlich hat jeder ein Privatleben und kann sich anstecken."

Die Bilder der völlig erschöpften Pflegekräfte, die immer wieder in den Medien gezeigt werden, seien keinesfalls übertrieben. Wobei es nicht um zusätzliche Schichten gehe. &bdquo;Man ist hoch konzentriert, darf sich keinen Fehler erlauben. Jeder Handgriff muss hinterfragt werden. Was muss wie desinfiziert oder aus- und angezogen werden, was muss ich mitnehmen für die Pflege – das ist sehr viel anstrengender", sagen beide. Nach einer Acht-Stunden-Schicht sei sie erschöpft. Um aufzutanken, gehe sie zwei Stunden in den Wald, sagt Müller-Seidlitz.

Die Stationsleiterin koordiniert, wer was macht, wer anderswo aushelfen kann. Denn mittlerweile sind sieben Stationen in Detmold und Lemgo für Corona-Patienten vorgesehen. Irgendwann lässt sich so etwas nicht mehr ausweiten, denn es gibt auch andere Patienten . Und ohne Leiharbeitskräfte wäre die aktuelle Situation nicht zu bewältigen, sind sich die Krankenschwestern einig. Bereits im Frühjahr, so der stellvertretende Pflegedienstleiter Sascha Hetmeier, habe man sich fünf ausgebildete Kräfte gesichert. &bdquo;Das kommt uns sehr zu gute. Und es ist insgesamt ein tolles Team, es funktioniert nur, wenn sich alle gegenseitig helfen", sagt er. Und wenn alle gesund blieben – körperlich und seelisch. Das Klinikum biete Supervisionen an, die Mitarbeiter könnten über ihre Sorgen sprechen, wieder Kraft tanken, um andere im Team zu motivieren. &bdquo;Wir lachen zusammen, das ist ganz wichtig, denn wir wollen und müssen anderen Zuversicht geben."

Und was sehen sie, wenn sie in die Welt des Abstands und der Regeln rausgehen? &bdquo;Ich habe das Gefühl, dass vielen der Ernst nicht bewusst ist", so Zepnik. Auf den Stationen lägen Patienten im Alter von 20 bis 100 Jahren. Auch Jüngere hätten schwere Verläufe und Sorge, dass Covid-19 gesundheitliche Spuren hinterlasse. Von der Solidarität in der Bevölkerung sei kaum noch was zu spüren. Was ihnen helfe würde, was sie sich wünschen? &bdquo;Alle sollen sich am Riemen reißen, damit die Zahlen runtergehen.

Ärzte bilden einen Pool Die Ärzte des Klinikums haben einen Pool gebildet, um die Kollegen bei der Behandlung der Covid-Patienten zu unterstützen. 25 Mediziner aller Fachbereiche stehen bereit, Schichten zu übernehmen. &bdquo;Die haben alle die notwendigen Fachkenntnisse, und da braucht auch keiner Sorge haben, dass auf der Intensivstation ein fachfremder Arzt Hand anlegt", sagt Dr. Hansjörg Weihe. So etwas gebe es nur im Katastrophenfall – und davon sei man noch weit entfernt. Dennoch sei es notwendig, die Internisten zu unterstützen. &bdquo;Die Zahlen stagnieren auf einem hohen Niveau. Derzeit kommen mehr Ältere, und es ist erschreckend, wie schnell sich der Zustand der Patienten verschlechtern kann." Dass jetzt über Lockerungen gesprochen werde, könne er nicht nachvollziehen. &bdquo;Ich verlange von der Bevölkerung Disziplin und von der Bundesregierung, dass sie klare Vorgaben macht, um das Virus und die Pandemie in den Griff zu bekommen."

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