Hebamme: „Die Ängste der Eltern haben spürbar abgenommen“

Kreis Lippe. Mit der Corona-Pandemie hat sich auch für werdende Eltern viel verändert. Die Hygienestandards im Kreißsaal sind schon jeher besonders hoch, berichtet Susann Grabsch, die leitende Hebamme am Klinikum Lippe. Denn auch vor Corona gab es Infektionskrankheiten, vor denen sowohl die werdenden Eltern als auch das Klinikpersonal geschützt werden mussten. Viele Eltern hadern mit ihrem Schicksal, dass die Zeit mit dem Partner vor und nach der Geburt begrenzt ist. Abgenommen haben hingegen die meisten Unsicherheiten der werdenden Eltern, denn seit dem ersten Lockdown haben sich die Abläufe eingespielt.

Das gibt Sicherheit auf beiden Seiten, hat Susann Grabsch die Erfahrung gemacht. Der Termin mit der LZ ist eine Ausnahme – denn eigentlich kommt in das Klinikum nur rein, wer medizinische Hilfe benötigt. Doch das Klinikum will auch der Öffentlichkeit zeigen, dass werdende Eltern den Aufenthalt im Klinikum Lippe nicht zu fürchten brauchen. Seit einigen Wochen bietet die Familienklinik virtuelle Kreißsaalführungen im Netz. Das kommt bei den Eltern gut an, sagt Susann Grabsch bei der Führung durch den Kreißsaal. Für die Hebammen hat sich viel geändert.

Frau Grabsch, wie und was hat die Corona-Pandemie bei Ihnen verändert?

Susann Grabsch: Verändert haben sich für die Hebammen die Arbeitsabläufe. Es sind viele Tätigkeiten hinzu gekommen. Abstriche bei den werdenden Eltern, dann das Tragen der FFP2-Masken, was ja schon ziemlich erschöpft bei acht Stunden Arbeit. Aber mittlerweile geht es schon so lange, dass man sich an alles gewöhnt. Jeder Arbeitsschritt wird von uns dokumentiert. Es fühlt sich zumindest besser an als beim ersten Lockdown im vergangenen Frühjahr. Das liegt daran, dass sich anfangs die Regeln ständig geändert haben und die Kommunikation mit den Eltern sehr schwierig war. Jetzt haben wir eine sehr stabile Lage seit vielen Wochen. Die Männer dürfen zur Geburt, wir haben die Familienzimmer, wir haben jetzt eine virtuelle Kreißsaalführung, die Partner dürfen eine Stunde am Tag zwischen 15 und 19 Uhr zu Mutter und Kind. Und das ist jetzt draußen angekommen.

Welche Erfahrungen machen Sie mit Eltern, die sich momentan auf die Geburt vorbereiten?

Grabsch: Es kommt viel viel häufiger vor, dass die schwangeren Frauen in regelmäßigen Abständen bei uns anrufen und sich darüber informieren, wie im Moment die Regelungen bei uns im Kreißsaal sind. Es sind viel mehr Ängste zu spüren mangels Geburtsvorbereitung. Sie hatten sich beispielsweise so auf ihr erstes Kind gefreut, wollten einen Partnerkurs belegen. Das alles ist nahezu gestrichen. Virtuell gibt es ein paar Möglichkeiten. Aber es fehlt diese Gruppendynamik, weil Geburtsvorbereitung nicht nur die Vorbereitung auf die Geburt ist. Die Paare in den Kursen stellen ja auch fest, dass sie die gleichen Sorgen, Nöte, Ängste haben und häufig entstehen langjährige Freundschaften.

Welche Fragen werden Ihnen gestellt?

Grabsch: Ich habe in sechs Wochen Entbindungstermin, darf mein Mann dabei sein? Haben Sie Familienzimmer? Wie wird es ablaufen, wenn ich mit einer Einweisung komme und noch gar keine Wehen habe? Das sind Fragen, die jeden Tag am Telefon mehrfach gestellt werden.

Wie läuft eine Geburt unter Coronabedingung ab?

Grabsch: Die Geburtsanmeldung gibt es auch weiterhin uneingeschränkt. Uns ist es wichtig, die Frauen im Vorfeld der Geburt einmal gesehen zu haben. Dabei wird eine Entbindungsakte angelegt. Die enthält Allergien, vorangegangene Geburten, Grunderkrankungen. Das sind wichtige Informationen, die auch Auswirkungen auf die Geburt haben können. Deswegen ist es wichtig, dass die Frauen sich nach wie vor in der Klinik anmelden, damit man eben nicht im Ausnahmezustand nach irgendetwas zu fragen braucht. Diese ambulanten Termine, die werden telefonisch vereinbart und die Frauen kommen zum Gespräch alleine über den Haupteingang. Dort ist bekannt, dass sie bei uns einen Termin haben. Das läuft sehr gut und auch sehr sicher. Im Umkehrschluss haben die Frauen natürlich auch die Möglichkeit, spezielle Fragen oder Wünsche zu äußern, was ihre Geburt anbelangt.

Und wenn die Wehen einsetzen?

Grabsch: Die Frauen werden meist von ihren Partnern bis zum Haupteingang gebracht und treten den Weg zum Kreißsaal erst einmal alleine an. Wir nehmen sie dann in Empfang. Wenn die Geburt eingesetzt hat, der Muttermund also 3-4 Zentimeter geöffnet ist, geht es in den Kreißsaal und klären auch zeitnah ab, ob wir den Partner hinzuholen können. Denn im Kreißsaal darf der Partner dabei sein. Bei allen Frauen wird bei der Aufnahme ein Schnelltest gemacht. Dann wissen wir innerhalb von 15 Minuten, was Phase ist. Es gibt einen Anamnese-Zettel, die Temperatur wird gemessen. Generell sollten Schwangere in den letzten Wochen der Schwangerschaft die Kontakte so gering wie möglich halten. Wenn der Partner hinzukommt, dann wird bei ihm – bevor er den Kreißsaal betritt – die Temperatur gemessen. Einen Antigen-Schnelltest machen wir bei ihm, wenn ein Kaiserschnitt bei der Frau ansteht oder es in Familienzimmer geht. Mit einer FFP2-Maske darf der Partner dann zur Mutter.

Ab da läuft alles wie gehabt?

Grabsch: Frauen mit kräftigen Wehen sind die einzigen hier im Klinikum, die eine Maskenbefreiung bekommen. Es ist ganz wichtig, dass viel Sauerstoff in der Situation beim Baby ankommt. Der Partner darf seine Maske auch abnehmen, wenn er mit seiner Partnerin alleine ist. Sobald wir an die Tür klopfen, setzt der Partner sofort die FFP2-Maske auf. Ist das Baby geboren, bleiben ja die Frauen noch zwei Stunden nach der Geburt im Kreißsaal. Da wird die U1 gemacht, das erste Stillen findet statt, die junge Familie lernt sich kennen. So lange bleibt auch der Partner. Erst wenn die junge Mutter mit dem Neugeborenen auf die Station gebracht wird, muss sich der Partner am Fahrstuhl verabschieden.

Wie reagieren die jungen Familien darauf?

Grabsch: Es fällt ihnen schon schwer. Ich hatte eine Geburt, wo die junge Mutter mir sagte, dass sie von der Regelung wusste, es sich aber dennoch ganz komisch angefühlt habe, dass der Vater so schnell gehen muss. Auf der Wochenbettstation gibt es ein Besuchszeitfenster für die Partner zwischen 15 und 19 Uhr. Bei Alleinerziehenden darf eine Person der Wahl zu der jungen Mutter, beispielsweise die Schwester oder die Mama. Es kommt nur eine einzige Person als Kontaktperson hier in die Klinik. Und über unsere Hotline melden die Papas oder der ausgewählte Angehörige den Besuch an. In der Regel gibt es Zweibettzimmer und die beiden Mamas sprechen sich ab, weil nicht beide Väter zur gleichen Zeit kommen dürfen. Der Besuch findet mit FFP2-Maske statt.

Ist das Verständnis der Lipper gewachsen?

Grabsch: Ja. Anders war es bei den ständigen Regeländerungen im vergangenen Jahr. Man musste sich immer erklären, warum hier nicht und warum dort nicht. Dieses ganze Unruhige ist weg. Die Väter wissen, wenn sie hier drin sind, bleiben sie drin, bis ihr Baby zwei Stunden alt ist. Sie kriegen Essen, sie kriegen Trinken, sie haben ein Bad, es ist für alles gesorgt. Und dadurch, dass das klar ist, ist es nicht mehr so schwierig.

Wie sind die Reaktionen der Eltern auf all diese Veränderungen? Und wie funktioniert die Nachsorge?

Grabsch: Es ist schon so, dass die Eltern die Situation sehr bedauern. Familien können eben nicht mehr im großen Ganzen teilhaben an der Geburt. Wir dürfen bei Hausbesuchen auch nur die Mutter und das Kind besuchen, weil von denen wissen wir ja in der Regel, sie waren vor 48 Stunden negativ und das gibt uns auch ein Stück weit Sicherheit. Es dürfen keine anderen Familienmitglieder im Haus sein, es muss vorher gut gelüftet sein.

Gibt es auch positive Äußerungen?

Grabsch: Die Frauen äußern, dass sie mehr Zeit haben, sich dem Kind und dem Stillen zu widmen, das viele Dinge entspannter sind, weil man halt genau weiß, was wann kommt. Es ist ruhiger geworden im Haus.

Was fehlt besonders?

Grabsch: Es ist ja Tradition gewesen, dass sich die Paare hier nachts die Bildergalerien angeschaut haben, die Ausstellungen, die wir im Haus haben, um einfach noch ein bisschen die Geburt durch Bewegung voranzutreiben. Das hat sich jetzt irgendwie umgekehrt, weil sie halt versuchen, möglichst früh in den Kreißsaal zu kommen, damit der Partner dabei ist.

Wie läuft die Kommunikation mit den Eltern und wie wichtig sind Smartphones?

Grabsch: Die Kommunikation mit den Eltern findet für uns meist direkt statt. Und unter der Geburt ist das Handy sowieso auf Flugmodus, weil die Funkgeräte sich nicht miteinander vertragen. Nach der Geburt, wenn die Eltern uns nicht unbedingt brauchen, lassen wir sie natürlich schon auch gerne diese neue Dreisamkeit genießen und nachher halten die Mütter natürlich auch darüber Kontakt zu ihren Partnern.

Welche Probleme sehen Sie?

Grabsch: Es ist manchmal schwierig, bei Frauen mit sehr rudimentären Deutschkenntnissen die Zeit zu überbrücken, bis der Partner kommt, der in der Regel deutlich besser Deutsch spricht. Da ist das Handy schon im erheblichen Einsatz, damit wir bestimmte Dinge klären können.

Was hat sich an den Hygienemaßnahmen und Standards im Kreißsaal geändert?

Grabsch: Nicht viel. Bei uns wurde schon immer auf peinliche Sauberkeit geachtet. Jetzt verwenden wir vielleicht noch mehr Desinfektionsmittel, weil wir uns darauf trainiert haben und alle auch noch einmal geschult worden sind. Wir haben schließlich alle Familie und möchten ja auch nichts mit nach Hause nehmen.

Hatten Sie auch Corona positive Schwangere?

Grabsch: Ja, das war nicht anders als bei anderen Frauen mit einer Infektionskrankheit.Wir haben ja immer wieder Schwangere mit HIV, Hepatitis B oder C, wir haben hier Frauen mit Noroviren. Es ist ja nicht so, dass Schwangere von Infektionen befreit sind. Dann müssen diese Frauen geschleust werden, die Hebammen ziehen sich komplett neu an, nach jedem Rein- und Rausgehen aus dem Kreißsaal. Es gibt eine separate Müllentsorgung und so weiter. Jetzt ist Corona noch dazu gekommen.

Gibt es eine Geburtsform, die nicht angeboten wird?

Grabsch: Wir bieten die Wassergeburt an, wir bieten die Hockergeburt an. Alles ist weiterhin so wie vorher. Darauf hat Covid keinen Einfluss. Es gibt Infektionen, die eine Wassergeburt ausschließen, aber das war auch schon immer so. Wer eine infektiöse Grunderkrankung hat, der darf nicht in die Wanne. Aber das hat nichts mit Covid zu tun. Und wir sind auch sehr froh darüber, dass wir das Angebot der Familienzimmer weiter haben. Natürlich auch unter erhöhten Sicherheitsbedingungen. Dort darf der Vater nur mit einem negativen PZR-Test rein, den wir hier machen.

Was würden sie abschließend werdenden Eltern raten? Was sollen sie machen und was sollen sie lassen?

Grabsch: Eltern sollten angstfrei in die Klinik gehen. Dass sie sich trauen, sich bei uns zu melden, wenn Unklarheiten sind. Unklarheiten machen Ängste, Ängste machen Verspannungen, Verspannungen verzögern den Geburtsprozess und manchmal bekommt man so eine Riesenhürde, die es vielleicht für die Frau ist, mit zwei Sätzen aus dem Weg geräumt und die Situation ist viel entspannter. Natürlich raten wir den Frauen, gerade Richtung Entbindungstermin, sich zu reduzieren in ihren Kontakten, damit eben das Risiko einer Infektion reduziert wird. Das war vorher auch schon so. Mütter sollten möglichst gesund in die Geburt gehen, sich regelmäßig an der frischen Luft bewegen. Das tut dem Kreislauf gut. Der Partner darf bei der Geburt dabei sein, das hat sich nicht geändert. Wir brauchen die Partner auch, ohne die geht es nicht. Wenn Frauen hier alleine ihr Kind bekommen, sind die Geburten immer schwieriger, die Frauen emotionaler, sie können weniger loslassen und sind meist angespannter, was die Geburt in die Länge ziehen kann. Geburtshilfe ist echtes Teamwork.

Hebamme: „Die Ängste der Eltern haben spürbar abgenommen“

Im Kreißsaal am Klinikum Lippe haben Hebammen bald noch mehr Verantwortung

Hausgeburt? Das sollten werdende Eltern wissen

Immer weniger Kreißsäle in NRW - Hebammen alarmiert

Immer weniger Kreißsäle in OWL: Frauen müssen mehr als 40 Minuten fahren

Schwanger! Was sollte ich nun nicht mehr essen?

Wegen Schwangerschaft: Schwimm-Ass verliert Sponsoren

Lippische Landes-Zeitung: Nachrichten aus Lippe, OWL und der Welt

Weiterlesen mit LZplus!

0,99 Euro im ersten Monat

Weiterlesen mit LZplus