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Kreis Lippe
"Man braucht nur seine Hände": Worauf es bei einer Herzmassage ankommt
| von Astrid Sewing

Die Herzdruckmassage darf im Notfall nicht unterbrochen werden. Jana Kofski, die im Klinikservice arbeitet und regelmäßig geschult wird, will Martin Wall direkt ablösen und wartet darauf, dass er die Ansage macht. - © Astrid Sewing
Die Herzdruckmassage darf im Notfall nicht unterbrochen werden. Jana Kofski, die im Klinikservice arbeitet und regelmäßig geschult wird, will Martin Wall direkt ablösen und wartet darauf, dass er die Ansage macht. (© Astrid Sewing)

Kreis Lippe. Aus vollem Lauf stürzt Christian Eriksen, er atmet nicht mehr. Ein Schockmoment im EM-Auftaktspiel der Dänen gegen Finnland. Ein Millionenpublikum sieht zu, wie der 29-Jährige reanimiert wird. Im Nachhinein steht fest: Nur weil Mannschaftskollegen sofort eine Herzmassage gemacht haben, hatte er eine Chance. Die Dänen verloren später, aber Erikson überlebte. „Machen, handeln, man braucht nur seine Hände, aber man muss es tun", sagt der Chefarzt der Notaufnahme und Ärztliche Leiter des Klinikums Lippe, Daniel Fischer.

Im Klinikum wird Anne aus dem Koffer gepackt. Mit wenigen Handgriffen ist die Puppe startklar, auf dem Monitor werden ihre Herzschläge angezeigt, viel Technik im Inneren macht es möglich, sehr realistisch zu üben. Das müssen auch die Profis immer wieder. Martin Wall ist Notfallkoordinator, die Schulungen gehören zum festen Programm für alle Mitarbeiter. Je nachdem, wo sie arbeiten, müssen sie ein- oder zweimal im Jahr ran. Denn: „Es kann in jedem Bereich des Hauses passieren, dass jemand reanimiert werden muss. Und es kommt auf jede Sekunde an", sagt Fischer.

In den ersten Minuten nach einem Herzstillstand ist nicht die Beatmung entscheidend, denn die Sauerstoffvorräte im Körper reichen noch für 7 bis 8 Minuten. Pro Minute Herzstillstand sinken die Überlebenschancen um 10 Prozent. Fischer: „Entscheidend ist, den Blutfluss durch Herzdruckmassage wieder in Gang zu bringen, damit der Sauerstoff ins Gehirn gelangt. Wird es nicht mit Sauerstoff versorgt, sterben Gehirnzellen ab. Wenn Sie im Schnitt davon ausgehen, dass professionelle Retter sieben Minuten im Schnitt brauchen, bis sie bei einem Patienten sind, dann ist die Gefahr sehr groß, dass der Patient, selbst wenn er wiederbelebt wird, schwerste Hirnschäden davonträgt."

Daniel Fischer zeigt die korrekte Herzdruckmassage. Der Ärztliche Leiter des Rettungsdienstes wirbt für mehr Schulungen. - © Astrid Sewing
Daniel Fischer zeigt die korrekte Herzdruckmassage. Der Ärztliche Leiter des Rettungsdienstes wirbt für mehr Schulungen. (© Astrid Sewing)

Mini-Kreislauf sichern

Es geht darum, den im Blut vorhandenen Sauerstoff im Körper zu verteilen. Es funktioniert wie bei einem Schwamm. Das Herz, in dem Fall der Schwamm, wird durch die Brustkorb-Kompression geleert, das Blut verteilt sich. Lässt der Druck nach, fließt Blut ins Herz zurück. Ein Minimalkreislauf wird künstlich aufrecht erhalten. 100, noch besser 120 Mal pro Minute sollte die Arbeitsfrequenz sein.Anne liegt mittlerweile auf dem Boden, Martin Wall zieht ihr die Jacke aus und zeigt, wie man den Druckpunkt findet: Den Handballen auf die Mitte des Brustbeines aufsetzen, zweite Hand auf den Handrücken der ersten platzieren und drücken. Mit durchgedrückten Armen, nicht, indem man sich auf den Oberkörper des Patienten quasi drauflegt.

Die Übungspuppe ist mit Sensoren ausgestattet und mit einem Computer verbunden. So sieht man, ob man die Herzdruckmassage richtig macht. - © Astrid Sewing
Die Übungspuppe ist mit Sensoren ausgestattet und mit einem Computer verbunden. So sieht man, ob man die Herzdruckmassage richtig macht. (© Astrid Sewing)

Ein Tablet zeigt, wie gut die Druckmassage läuft. Nicht tief genug runter, zu hektisch, nicht im grünen Bereich, die Hände rutschen nach rechts – keine Frage, einfach ist das erstmal nicht. Nur mit dem Handballen wird gedrückt, die Belastung muss punktuell sein. Es hilft, in Gedanken einen Song abzuspulen, „Highway to Hell" oder „Atemlos" oder die Bee Gees mit „Stayin Alive" – egal, Hauptsache der Rhythmus passt. Doch mit wenigen Korrekturen zeigt sich, es geht, der Zeiger schwingt in den grünen Bereich – wenn nicht die Arme lahm würden, sähe es ganz gut aus.

Hilfe organisieren

„Auf keinen Fall aufhören. Wenn man in so einer Situation ist und mehrere Leute drumherum stehen, dann sprechen Sie einige direkt an, damit Sie sich spätestens nach zwei Minuten abwechseln können. Verteilen Sie die Aufgaben, sorgen Sie dafür, dass einer die Rettung anruft, ein anderer vielleicht einen Defibrillator sucht – aber unterbrechen Sie auf keinen Fall die Herzdruckmassage", erklärt Fischer. Zwei sollten immer bei dem Patienten bleiben.

Auch wenn die Rettungskräfte in Sicht seien, müsse die Herzmassage weiterlaufen. Beim Abwechseln muss einer das Kommando geben. „Auf Drei übernehmen Sie." Und schon geht es weiter. Rauf, runter – alles für Annes Kreislauf, und so schwer ist die Aufgabe nicht, wenn man sicher sein kann, dass es mehrere machen, die ein Ziel verfolgen.

Aber wenn Anne nun aus Fleisch und Blut wäre – könnte ich ihr schaden? Im Brustkorb der Puppe ist eine Feder untergebracht, sie simuliert die Elastizität des Brustkorbes eines 25-Jährigen. Steigt das Lebensalter, werden Knochen brüchiger – und dann? „Sie müssen sich vor Augen führen: Der Mensch vor Ihnen ist tot – und er bleibt es, wenn Sie nicht helfen. Sie können nichts falsch machen, nur Leben retten", stellt Fischer fest. Juristisch sei die Ersthilfe auch abgedeckt.

Das Deutsche Rote Kreuz, die Johanniter, die Malteser oder auch der Arbeiter-Samariter-Bund bieten Schulungen an. Die Erste Hilfe umfasst mehr als die Herzdruckmassage. „Jeder sollte sich klar machen, dass er auch mal selbst auf Hilfe angewiesen sein könnte. In Betrieben reicht deshalb nicht ein Ersthelfer, es müssten mehrere sein", sagt Fischer.

Mit Musik geht alles besser

Wenn das Herz plötzlich stehen bleibt und der Kreislauf herunterfährt, wird die betroffene Person innerhalb weniger Sekunden bewusstlos. Doch nicht jede bewusstlose Person erleidet einen Herz-Kreislauf-Stillstand. Daher sollten die Ersthelfer vorher prüfen: Reagiert die Person auf Rütteln oder Rufen und atmet sie normal? Bei Leuten mit normaler Atmung schlägt das Herz noch. Bei Menschen mit Herz-Kreislauf-Stillstand dagegen setzt die Atmung aus.

„Es kommt manchmal auch zu unregelmäßigen Atemzügen, der Schnapp-Atmung. Das ist kein Anzeichen dafür, dass die Person noch einen normalen Kreislauf hat", sagt Chefarzt Daniel Fischer. „Dann ist eine Herzmassage dringend erforderlich." Die Frequenz, in der man eine Wiederbelebung durchführt, ist für viele schwierig einzuschätzen. 100 Schläge pro Minute ist ideal.

Wer zu Songs, die diesen Rhythmus vorgeben, eine Herzdruckmassage durchführt, macht in aller Regel alles richtig. Das wohl bekannteste Lied, das die meisten Leben gerettet hat, heißt „StayinAlive" von den Bee Gees. Der Takt von 103 Schlägen pro Minute macht den Disco-Song zum idealen Lebensretter.

Links zum Thema

Von Rock bis Schlager ist für jeden Geschmack etwas dabei. Unter anderem "Treasure" (Bruno Mars), "I Will Survive" (Gloria Gaynor), "Just Dance" (Lady Gaga), "Yellow Submarine"  (Beatles). Bei Musik-Streamning-Anbietern wie etwa Spotify finden sich unter dem Suchwort "CPR" etliche Playlists mit Liedern, die sich für Herzmassage eignen (CPR = Cardiopulmonary Resuscitation).

Lebensretter fehlen

Mehr als 70.000 Menschen jährlich erleiden deutschlandweit außerhalb eines Krankenhauses einen plötzlichen Herz-Kreislaufstillstand. Nur jeder zehnte Betroffene überlebt.Bei Erwachsenen ist zu etwa 60 Prozent eine Herzproblematik die Ursache eines Herzstillstandes, oft ausgelöst durch Kammerflimmern. Aber auch eine Embolie oder ein Stromschlag können Ursachen sein.Eine gut ausgeführte Basismaßnahme in Form der Herzdruckmassage versorgt das Gehirn weiter mit im Blut gelöstem Sauerstoff und erhöht die Überlebenswahrscheinlichkeit der Patientinnen und Patienten um das Dreifache.

Der Deutsche Rat für Wiederbelebung (German Resuscitation Council; GRC) und viele andere setzen sich seit Jahren dafür ein, dass mehr Menschen in Sachen Laienreanimation aufgeklärt und ausgebildet werden. Die Herzdruckmassage sei etwas, was Laien am ehesten ausführen könnten. Die abwechselnde Beatmung des Patienten sei viel komplexer und sollte trainierten Ersthelfern vorbehalten bleiben. Am 25. März sind die aktualisierten Reanimationsleitlinien des European Resuscitation Council (ERC) erschienen.Ziele: Im Jahr 2025 soll eine Laien-Reanimationsquote von 65 Prozent erreicht werden. Derzeit liegt sie bei 40 Prozent.

Bundesweit sollen alle Schülerinnen und Schüler ab Klasse 7 in Wiederbelebung ausgebildet werden. „In Schweden und Norwegen hat man da sehr gute Erfahrungen gemacht. Kinder haben viel weniger Scheu und lernen so früh, dass das Helfen wichtig ist", sagt Chefarzt Daniel Fischer.Die Leitstelle im Kreis Lippe hat ihren Standort in Lemgo. Sie unterstützt bereits seit Jahren per Telefon bei der Reanimation. „Das klappt sehr gut. Es gibt den Helfern ein Gefühl der Sicherheit." Künftig, so Fischer, soll es auch eine App geben, mit der Ersthelfer im Umfeld eines Notfalls identifiziert und zu Hilfe gerufen werden können. Die Ersthelfer-Alarmierungssysteme sollen bundesweit aufgebaut werden.

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