Wie eine 18-Jährige zur Heldin der Straße wird

Bad Salzuflen. Den Morgen des 29. Juni wird Jana Diser wohl ihr ganzes Leben lang nicht vergessen. An diesem Dienstag war die 18-Jährige mit ihrem Auto von ihrem Elternhaus in Leopoldshöhe aus auf dem Weg zum Lüttfeld-Berufskolleg in Lemgo, wo sie derzeit ihr Abitur macht. Die Schule sollte sie an diesem Tag aber nicht mehr erreichen, stattdessen wurde sie im Nachgang der Ereignisse zur &bdquo;Heldin der Straße“ gekürt.

Wie es dazu kam, berichtet die Abiturientin an einem nasskalten Tag im Dezember gut ein halbes Jahr später. Mittlerweile wohnt sie mit ihren Freund zusammen in Lage. Jana Diser hat in ihre neue Wohnung geladen, es gibt Kekse und Getränke. &bdquo;Ich musste wirklich unfassbar doll bremsen“

Am 29. Juni habe sie nach Lemgo wie immer den Weg über die Ostwestfalenstraße genommen. &bdquo;Ich hatte zur dritten Stunde Unterricht und bin entsprechend später losgefahren“, erinnert sie sich. &bdquo;Es war kurz vor den Ferien, und ich habe im Auto gesessen und an überhaupt gar nichts gedacht.“ Aufgrund eines plötzlich langsamer werdenden Lkw habe sie abrupt in die Pedale treten müssen. &bdquo;Ich musste wirklich unfassbar doll bremsen“, betont sie. Vor sich auf der Straße konnte sie dann ein quer stehendes Auto ausmachen, vor dem ein Mann auf der Straße lag, der stark am Kopf blutete.

Erst später erfuhr Jana Diser, was genau geschehen war. Die Feuerwehr schildert in einer Pressemitteilung vom selben Tag den Unfall so: &bdquo;Die Freiwillige Feuerwehr Bad Salzuflen und der Rettungsdienst des Kreises Lippe sind am Dienstagvormittag zu einem schweren Verkehrsunfall auf die Ostwestfalenstraße in Höhe Retzen alarmiert worden. Gegen 9.15 Uhr kam es im Kreuzungsbereich mit der Sylbacher Straße zum Zusammenstoß zwischen einem Traktor und einem Pkw. Durch die Wucht des Aufpralls wurde das Auto zusätzlich gegen einen Lastwagen katapultiert. Der Fahrer des Pkw schleuderte aus seinem Fahrzeug.“ Mit der Jacke versucht, Blutung zu stoppen

Als Jana Diser den verletzten Mann wahrnahm, hatte sich ihrer Erinnerung nach noch niemand um ihn gekümmert. &bdquo;Es standen aber einige Leute dort, die telefonierten und vermutlich den Rettungsdienst alarmierten.“ Jana Diser stellte ihren Wagen ab, schaltete das Warnlicht an und eilte zu dem blutenden Mann und brachte ihn mit Hilfe eines weiteren Ersthelfers in die stabile Seitenlage. &bdquo;Mit meiner Jacke habe ich versucht, die Blutung am Kopf zu stoppen“, berichtet sie. Der Mann sei nicht ansprechbar gewesen, habe aber schwach geblinzelt. Auch die Atmung sei noch feststellbar gewesen. Die Besatzung eines Müllwagens, der auch an der Unfallstelle war, kam dann ihrer Erinnerung nach zur Hilfe, brachte Rettungsdecken und räumte Trümmer zur Seite. Zwischenzeitlich hatten sich zwei Lastkraftwagen quer gestellt, um die Unfallstelle abzuschirmen und den entgegenkommenden Verkehr zu warnen. Als die Rettungskräfte eintrafen, kümmerte sich ein Feuerwehrmann auch um Jana Diser. &bdquo;Ich habe am ganzen Körper gezittert“, berichtet die Schülerin. &bdquo;Während ich geholfen habe, war ich zwar aufgeregt, aber bei klarem Verstand, erst danach habe ich angefangen zu weinen.“ Der Verletzte wurde schließlich mit einem Rettungshubschrauber von der Unfallstelle in ein Krankenhaus gebracht – er hat überlebt. Die weiteren Unfallbeteiligten blieben unverletzt.

Couragierte Zeugen helfen

Dass es für den Mann am Ende vergleichsweise gut ausging, hat er möglicherweise auch Jana Diser zu verdanken. &bdquo;Couragierte Zeugen übernahmen die sofortige Betreuung des Schwerstverletzten“, heißt es in dem Bericht der Feuerwehr. Warum sie so schnell und so zielgenau das Richtige tat, kann sich Jana Diser bis heute nicht erklären. &bdquo;Ich weiß auch nicht, warum ich noch wusste, wie die stabile Seitenlage geht, vielleicht noch vom Erste-Hilfe-Kursus, den ich in Vorbereitung für den Führerschein machen musste. Aber das war auch schon sechs Monate her.“ Ihre Mutter holte sie schließlich von der Unfallstelle ab und brachte sie nach Hause. &bdquo;Bis dahin hatte sich auch noch eine Polizisten um mich gekümmert und mich beruhigt“. Auch sei sie gefragt worden, ob sie mit einem Unfallpsychologen sprechen möchte. Das sei aber nicht nötig gewesen. Auch später habe die Polizei sich wieder bei ihr gemeldet und gefragt, ob sie mentale Unterstützung brauche. &bdquo;Das viele Erzählen hat gut getan“

Bis heute habe sie aber nicht das Bedürfnis gehabt, das Erlebte therapeutisch aufzuarbeiten. &bdquo;Ich glaube, mir hat geholfen, dass ich noch am selben Tag die Geschichte des Unfalls unfassbar oft erzählt habe“, sagt sie und lacht. &bdquo;Ich habe eine sehr große Familie.“ Neben ihrem Freund, ihren Eltern und ihren drei Brüdern wollte auch ihr Opa wissen, was passiert war. &bdquo;Das viele Erzählen hat gut getan“, sagt sie. &bdquo;Danach habe ich mich hingelegt und ein paar Stunden lang geschlafen, obwohl es erst nachmittags war.“

Im Nachgang wurde sie für ihre Geistesgegenwart und ihren Mut vom Landrat ausgezeichnet, und vom Automobilclub von Deutschland (AvD) und dem Reifenhersteller Goodyear bekam sie den Titel &bdquo;Held der Straße“ verliehen, der monatlich vergeben wird. Den Mann, dem sie geholfen hatte, hat sie mittlerweile noch einmal wiedergetroffen. &bdquo;Er und seine Frau haben mich zum Kaffeetrinken eingeladen. An den Unfall selbst konnte er sich gar nicht mehr erinnern.“ Jana Diser kann sich gut vorstellen, das Helfen zum Beruf zu machen. Als Leistungskurse hat sie Biologie und Gesundheitswesen belegt. Im kommenden Jahr macht sie ihr Abitur. Danach will sie als Soldatin im Sanitätsdienst zunächst zur Bundeswehr gehen. &bdquo;Jeder Mann aus unserer Familie geht für eine Zeit zur Bundeswehr, das ist so eine Art Tradition“, berichtet sie. &bdquo;Warum soll ich als Frau das nicht auch machen?“ Im Anschluss will sie dann wahrscheinlich Psychologie studieren. Oder Medizin.

Gaffer bleiben für die Feuerwehr ein Ärgernis Wenn es auf Deutschlands Straßen kracht, sind es zumeist Mitglieder der Feuerwehr, die als erste professionelle Einsatzkräfte am Unfallort sind. Nicht immer reagieren Zeugen so geistesgegenwärtig wie Jana Diser und leisten Erste Hilfe oder aktivieren den Notruf. Ein Ärgernis für die Feuerwehr sind immer noch die sogenannten Gaffer, die Rettungskräfte behindern, wie Daniel Hobein, Sprecher der Freiwilligen Feuerwehr Bad Salzuflen, berichtet. Zwar seien es nach wie vor Einzelfälle, aber vor allem bei stark befahrenen Straßen wie der Ostwestfalenstraße oder auf der Autobahn sei das Thema des Gaffens hin und wieder präsent. Hobein erinnert sich an einen Unfall auf der Ostwestfalenstraße zwischen Retzen und Holzhausen. &bdquo;Dort mussten wir einen Menschen aus einem Fahrzeug nach einem Unfall befreien. Die Straße war vollständig gesperrt. Ein Radfahrer hielt dann aber auf dem angrenzenden Radweg und zückte sein Handy, um die Situation zu filmen.“ In solchen Fällen informiere die Feuerwehr die Polizei. Übrigens gelte auch für die Einsatzkräfte an den Unfallstellen ein Handyverbot mit Ausnahme der Feuerwehrleute, die vom Einsatzleiter mit Dokumentationsaufgaben betraut worden sind. &bdquo;In der Regel ist das das Team der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit“, so Hobein. Einsatzkräfte Gefahren ausgesetzt

Neben den Gaffern gibt es noch eine andere Spezies, die die Einsätze der Feuerwehr erschweren. &bdquo;Wenn Straßen gesperrt werden, passiert es immer mal wieder, dass diese Absperrungen bewusst umfahren werden“, berichtet Hobein. &bdquo;Auch haben Menschen kein Verständnis, dass wir an den Absperrposten meist keine genaue Auskunft geben können, wie lange eine Straße gesperrt ist. So kurzfristig und spontan wir oftmals in die Einsatzsituationen kommen, lassen sich auch die Sperren nicht planen.“ Besonders beim Beseitigen von Ölspuren seien die Einsatzkräfte immer mal wieder Gefahren des Straßenverkehrs ausgesetzt. &bdquo;Autofahrer hupen, fahren dicht auf oder beschweren sich über die Behinderung auf den Straßen“, so Hobein. Einige Fahrer führen dann mit überhöhter Geschwindigkeit an den Einsatzkräften vorbei. Ein Ärgernis sind für die Feuerwehr auch Falschmeldungen in den sozialen Netzwerken. &bdquo;Hieran beteiligen wir uns ausdrücklich nicht“, betont Daniel Hobein. Stattdessen informiere die Feuerwehr zeitnah über ihren Twitterkanal über größere Einsätze. Die Feuerwehr auf Twitter: twitter.com/fwbadsalzuflen

&bdquo;Die Eigensicherung geht vor“ Ruhe bewahren, die Rettungskräfte alarmieren und dann, wenn möglich, Erste Hilfe leisten – sich an einem Unfallort angemessen und richtig zu verhalten, ist oft gar nicht so einfach. Schließlich können der Schock und die Stresssituation die Sinne vernebeln. Ein paar Grundregeln sollte sich jeder Verkehrsteilnehmer deshalb gelegentlich in ruhigen Momenten immer mal wieder vor Augen führen, um sie im Ernstfall beherzigen zu können. &bdquo;Bei einem Unfall mit Personenschaden gilt es zunächst einmal Ruhe zu bewahren“, sagt Polizeisprecher Lars Ridderbusch. Das sei auch wichtig, um sich nicht selbst durch unvorsichtiges Verhalten zu gefährden. &bdquo;Die Eigensicherung geht vor“, sagt Ridderbusch. Gerade dort, wo bis zu Tempo 100 gefahren werden darf, sei die Gefahr riesengroß, selbst Opfer zu werden, wenn man zur Ersten Hilfe nach einem Unfall spontan auf die Straße laufe. Werde man Zeuge eines Unfalls mit Verletzten, sollte man als erstes zunächst 112 oder 110 wählen. Dabei gelte es, die sogenannten W-Fragen so genau wie möglich zu beantworten. Was ist passiert? Welche Verletzungen liegen vor? Wo ist es passiert? Wie viele Verletzte gibt es? Und nicht zu vergessen: Wer ruft an? &bdquo;Dann sollte man auf jeden Fall noch in der Leitung bleiben, falls es Rückfragen gibt“, sagt Ridderbusch. Hat man den Notruf abgesetzt, sollte man Erste Hilfe leisten, sofern man sich nicht selbst gefährdet. &bdquo;Als erstes sollte man eine Warnweste anziehen und die Unfallstelle mit einem Warndreieck absichern“, sagt Lars Ridderbusch weiter. Und erst dann mit dem Erste-Hilfe-Kasten zu den Verletzten gehen. Wichtig: Der Kasten sollte immer auf dem neuesten Stand sein und Handschuhe sowie ein Beatmungstuch enthalten, so dass die Ersthelfer sich im Zweifel bei der Ersten Hilfe vor Infektionskrankheiten schützen können.

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