Nichts zu essen ist auch ein Hilferuf - die Ursachen können vielfältig sein

Detmold. Anorexie (Magersucht) ist eine psychische Erkrankung und weist immer auf tieferliegende Ursachen hin, weiß die Psychologin und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin in Ausbildung Bleona Marku vom Klinikum Lippe: &bdquo;Es ist oft Ausdruck einer inneren Not.“ Neben Bulimie (&bdquo;Ess-Brech-Sucht“) und der Binge-Eating- Störung (immer wiederkehrende Essanfälle, ohne nachher ein Erbrechen zu provozieren) zählt Anorexie zu den Essstörungen - ernsthafte Erkrankungen, die laut Bundesinstitut für Öffentliche Gesundheit unbedingt behandelt werden müssen.

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Viele dieser Essstörungen treten nicht in Reinform auf. &bdquo;Die Schwere der Erkrankung zeigt sich in den verschiedenen Verhaltensweisen“, sagt Bleona Marku. Von der Anorexie Betroffene nehmen bewusst ab, indem sie sehr wenig essen, extrem viel Sport treiben oder Abführmittel verwenden. Häufig entwickeln sie ein außergewöhnliches Wissen über Nahrungsmittel und ihre Zusammensetzung und kontrollieren genau, wie viele Kalorien in ihrem Essen stecken. Doch mit der Zeit verlieren sie die Kontrolle über ihr Verhalten, nehmen weiter ab und riskieren schwere körperliche Schäden. Diese extremen Veränderungen können lebensgefährlich werden. &bdquo;Oft merken die Eltern erst spät, dass ihr Kind an einer Essstörung leidet, auch weil der Körper nicht selten durch weite Kleidung verborgen wird oder belastende familiäre Situationen dazu führen können, dass frühe Warnzeichen übersehen werden.“

Mehrere Auslöser können zusammenkommen Die Ursachen können vielfältig sein - dazu können psychische Belastungen, familiäre oder soziale Konflikte, Mobbing, Perfektionismus, traumatische Erfahrungen, gesellschaftlicher Druck oder auch biologische Gründe gehören. Oftmals kommen mehrere auslösende Faktoren zusammen. Durch ihren (Nicht)-Konsum haben die Erkrankten wenigstens das Essen unter Kontrolle. Es kann in einigen Fällen auch ein Hilferuf sein, nach dem Motto: &bdquo;Wenn ich normal esse, verliere ich vielleicht die Kontrolle über das, was mir Halt gibt“, erklärt Bleona Marku.

Manche Patientinnen und Patienten erleben zu Hause wenig emotionale Aufmerksamkeit und beschreiben ihr Essverhalten als eine Möglichkeit, überhaupt wahrgenommen zu werden. Soziale Medien verstärken den Druck auf Jugendliche, bereits in sehr frühem Alter bestimmten Körperidealen zu entsprechen. Diese Ideale sind rund um die Uhr präsent und der ständige Zugang über das Handy sorgt dafür, dass der Druck konstant bleibt. Krankenkassen bestätigen die Einschätzung Markus, dass die Zahl der Betroffenen seit Jahren steigt.

Interdisziplinärer Behandlungsansatz Sie betont, dass gerade bei Essstörungen ein interdisziplinärer Behandlungsansatz sehr wichtig ist. &bdquo;Psychotherapie, Ernährungsberatung, das Erlernen von Entspannungstechniken und normalem Bewegungsverhalten sowie Beschäftigung im Alltag greifen ineinander und unterstützen die Jugendlichen in ihrem Heilungsprozess.“ In der psychosomatischen Abteilung der Kinderklinik in Detmold stehen hierfür sechs Plätze zur Verfügung, die Behandlung ist sehr intensiv und wird individuell auf die Bedürfnisse abgestimmt. Es werden überwiegend Mädchen behandelt, die unter einer Essstörung leiden; Jungen sind deutlich seltener betroffen.

Die Therapien konzentrierten sich unter anderem auf die Normalisierung des Essverhaltens, den Aufbau von Strategien zur Stressregulation und darauf, zu lernen, mit Emotionen zu umzugehen. &bdquo;Während der Therapie stehen wir in ständigem Kontakt mit den Eltern, um eine kontinuierliche Unterstützung zu gewährleisten. Am Wochenende werden die Patienten beurlaubt, damit sie zu Hause die Strategien und Methoden festigen können.“

Mahlzeiten über den Tag verteilt Die Ökotrophologin Dr. Bettina Schlößer leitet die Ernährungsberatung und die Küchen in der Kinderklinik. Vorrangiges Ziel sei es, Betroffenen bei der Normalisierung ihres Essverhaltens zu helfen: &bdquo;Für sie ist es wichtig, einen neuen, gesünderen Umgang mit Gedanken, Gefühlen und Verhaltensweisen rund ums Essen zu finden.“ In Einzelgesprächen werden ausgewogene Mahlzeiten über den Tag verteilt zusammengestellt und Portionsgrößen besprochen. Essenspläne und ein Zeitrahmen geben Betroffenen Struktur und Anleitung im Alltag. Wichtig ist es, nach und nach &bdquo;verbotene“ oder &bdquo;schwierige“ Lebensmittel und Mahlzeiten, die häufig über einen längeren Zeitraum vor dem Klinikaufenthalt vermieden wurden, in den Alltag einzubeziehen. &bdquo;Essen soll wieder mit Genuss verbunden werden, Freude machen und schließlich etwas ganz Selbstverständliches sein.“

In der Gruppe geht es darum, auf körpereigene Signale von Hunger und Sättigung zu hören und ihnen zu vertrauen, es wird die Bedeutung der Lebensmittel für den Körper und vieles mehr besprochen. Außerdem gehen die Ernährungsberaterinnen mit den Patientinnen und Patienten einkaufen, backen, kochen und essen gemeinsam.

Wenn das Essverhalten sich schließlich schrittweise normalisiert hat, hilft die Ernährungsberatung, eine achtsame und intuitive Ernährungsweise zu entwickeln und aufrechtzuhalten. &bdquo;Ziel ist es, eine nachhaltig entspannte und positive Beziehung zum Essen wiederzuerlangen und im Alltag mit all seinen Herausforderungen aufrechtzuhalten. Aber die Erkrankung zu erkennen und sich frühzeitig Hilfe zu suchen ist das Allerwichtigste. Man kann viel erreichen, wenn dieser erste Schritt getan wurde.“

Esstörungen nehmen zu Langfristige Betrachtungen in verschiedenen Ländern zeigen eine klare Zunahme von Essstörungen, schreibt das Bundesinstitut für Öffentliche Gesundheit und verweist auf Zahlen der AOK Nord-Ost. Diese beobachte bei ihren Versicherten seit 2016 etwa doppelt so viele neu festgestellte Essstörungen wie noch in 2010. Seit Beginn der Corona-Pandemie haben Essstörungen, insbesondere die Magersucht, weltweit zugenommen. Auch in Deutschland berichteten große Krankenkassen wie die DAK und die KKH, dass die Zahl der Krankenhausbehandlungen aufgrund von Essstörungen seit 2020 gestiegen sei. Konkrete vergleichende Zahlen zur Entwicklung von Essstörungen in Deutschland in den vergangenen 20 Jahren gebe es allerdings kaum.

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