Tief ins Maul geschaut: Unterwegs mit dem "Pferdezahnarzt" aus Lage

Lage. Neugierig schnuppert die 19-jährige Friesin Raukje an dem Strick, der vor ihrem Kopf baumelt. Noch ahnt die Stute nicht, dass daran später eine Halterung für ihren Kopf befestigt wird. Denn heute steht bei dem Pferd eine Zahnbehandlung an. Durchführen wird sie Tierarzt Dr. Marc- Philipp Müller aus Lage, der seit 2021 als mobiler "Pferdezahnarzt" unterwegs ist.

"Das bei Raukje ist eine Routineuntersuchung. Ich schaue mir am sedierten Pferd alle Zähne genau an, ob sie gut übereinander liegen und ob alles in Ordnung ist. Dann werden sie beschliffen", fasst Müller vor der Behandlung kurz zusammen. "Die Beschleifung ist nötig, damit die Zähne gut übereinander stehen und das Futter optimal verarbeitet werden kann." Ideal wäre eine solche Zahnkontrolle bei einem mittelalten Pferd einmal im Jahr. Bei jungen und alten Pferden halbjährlich, damit sich keine Entzündungen bilden. Der Grund: Das Futter der Hauspferde sei in der Regel zu weich, damit sich die Zähne gleichmäßig abreiben könnten. Denn diese kommen Jahr für Jahr einige Millimeter aus dem Zahnfach heraus. Pferde sind Steppentiere und frei lebende Tiere kauen täglich auf hartem Steppengras, sodass sich ihr Gebiss natürlich abreibt. Bei den Hauspferden hilft der Tierarzt nach.

Die Behandlung beginnt "Raukje hat schon angefangen, immer etwas von ihrem Kraftfutter zu verlieren. Das war ein Zeichen, dass es wieder soweit ist, die Zähne behandeln zu lassen", sagt Besitzerin Silke Möller. Sie streichelt ihre Stute und beruhigt sie, während Marc- Philipp Müller zunächst von außen die Kiefermuskulatur und das Gelenk abtastet, ob vielleicht schon eine Verletzung zu spüren ist. Dann wirft er einen Blick auf die vorderen Schneidezähne. Danach hört er einmal das Tier ab und versichert sich bei Silke Möller, dass keine Infektionen vorliegen.

Erst dann sediert er das Pferd. "Das ist keine Vollnarkose. Das Pferd bleibt stehen und ist während der Behandlung entspannt. Ohne Sedierung wäre die Verletzungsgefahr für das Tier und mich zu groß", erklärt der Tierarzt, der von 2007 bis 2013 Veterinärmedizin in Wien studiert hat. Nach Beendigung seiner Doktorarbeit begann er, in einer T ierarztpraxis am Tegernsee zu arbeiten, wo er seine Passion für &bdquo;Pferdezahnmedizin“ entdeckte. 2019 legte er vor der Bayerischen Landestierärztekammer die Prüfung für die Zusatzqualifikation Zahnheilkunde (Pferde) ab, und vor zwei Jahren kehrte der 36-Jährige zurück in seine Heimatstadt Lage.

Raukje ist indessen etwas weggetreten. Ihr Kopf wird in einer speziellen Vorrichtung befestigt und dann geht es los. Ähnlich wie beim Menschen schaut Marc- Philipp Müller zunächst mit einem großen Spiegel in das Maul. Hier und da spült er Futterreste weg. Dann nimmt er einen großen Diamantschleifer und beginnt die Schneidezähne abzuschleifen. Danach geht es an die hinteren Backenzähne. Auch eine Endoskop-Kamera und eine Bürste kommen zum Einsatz, denn so ein Pferdekiefer ist groß. An einer Stelle hängt noch ein Futterrest fest, der sich da wohl schon länger befindet. Der Tierarzt entfernt ihn, der wird Raukje nicht mehr stören. Die Zahnfleischtaschen werden schließlich auch noch bearbeitet.

Ein wenig taumelt die Friesin während der Behandlung, doch fängt sich auch schnell wieder. Kein Grund zur Besorgnis. Nach etwa 45 Minuten ist es geschafft. "Die Zähne gleiten wieder schön übereinander. Es passt alles soweit", sagt Müller. Raukje wirkt noch etwas benommen, lässt sich aber aus der Box führen. Für den Tierarzt beginnt nun die Dokumentation.

In Lippe einzigartig Als ein rein auf Pferdezähne spezialisierter Tierarzt ist Marc-Philipp Müller im Kreis Lippe einzigartig. Den Begriff "Pferdezahnarzt" gebe es so nicht, er diene lediglich zur Veranschaulichung gegenüber den Kunden. Natürlich führen auch andere Großtierärzte Zahnbehandlungen am Pferd durch. Doch bei größeren, komplizierteren Sachen, wie einer Zahnextraktion oder einer Füllung - denn auch Pferde können an Karies leiden - komme er oft ins Spiel. "Implantate, außer Reimplantate , mache aber auch ich nicht", sagt Müller. Doch es gebe Tierärzte, die noch spezialisierter seien. Sogar Pferdezähne aus dem 3D-Drucker gebe es.

Nach Raukje wartet schon das nächste Pferd auf die Behandlung, ebenfalls eine Routineuntersuchung. Diese kostet bei dem 36-Jährigen zusammen mit dem Bearbeiten der Schneide- und Backenzähnen rund 260 bis 270 Euro. Dazu kommen noch Anfahrt und Hausbesuchzuschlag nach der Gebührenordnung für Tierärzte.

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