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Am "Bellevue" waren einst Steuern fällig

Das ehemalige Gasthaus versperrte im 19. Jahrhundert die Straße mit einem Schlagbaum

Marlen Grote

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Keine Gäste: Das ehemalige Restaurant "Bellevue" steht seit 1998 leer. Früher trugen die Wirte Tabletts mit Leckereien über die Hamelner Straße zum heute verwilderten Biergarten. - © Foto: Grote
Keine Gäste: Das ehemalige Restaurant "Bellevue" steht seit 1998 leer. Früher trugen die Wirte Tabletts mit Leckereien über die Hamelner Straße zum heute verwilderten Biergarten. (© Foto: Grote)

Lemgo. Auf der Hamelner Straße am „Bellevue" geht es heute meistens zügig voran. Im 19. Jahrhundert versperrte dort ein Schlagbaum den Weg. Später lud die Gaststätte zur Rast ein. Das ist lange her, das denkmalgeschützte Chausseehaus steht seit 1998 leer. „Es gibt logischerweise einen Reparaturstau", sagt Ralf Niemeyer, zuständig für Denkmalpflege bei der Stadt, über den Zustand.

Mehr als 200 Jahre hat das Haus schon überstanden. 1803 wurde es gebaut, damit dort Mitarbeiter der Stadt Lemgo „Chausseegeld" erheben konnten. Denn zuvor war die Straße über den Rieper Berg als erste „Kunststraße" Lemgos aufwendig befestigt worden. Um den Unterhalt der Straße zu finanzieren, war am Chausseehaus vor einem Schlagbaum eine Abgabe fällig. Die Kasse ist in dem Gebäude erhalten geblieben.

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Denkmalpfleger im Einsatz

Die Bretter vor den Fenstern des „Bellevue" hat die Stadt angebracht. Die Denkmalpfleger sehen nicht tatenlos zu, wenn ein Baudenkmal verfällt. Zunächst werde aber immer das Gespräch mit dem Eigentümer gesucht, erklärt Ralf Niemeyer von der Stadt. Laut NRW-Denkmalschutzgesetz ist der Eigentümer grundsätzlich verpflichtet, sein historisches Gebäude zu erhalten. Greift die Stadt ein, werden ihm die Kosten in Rechnung gestellt. Beim „Bellevue" wurden unter anderem Schäden am Dach repariert, damit keine Feuchtigkeit eindringen kann.

Verschiedene Pächter lebten mit ihren Familien in dem Haus. Der Verein „Alt Lemgo" hat ihre Geschichten recherchiert. Um die Stadt zu entlasten, sollten sie neben dem Eintreiben des Chausseegeldes noch ein Einkommen haben. Der steile Berg erwies sich als Geldquelle, da viele Gespanne nicht stark genug waren, die Kutschen und Fuhrwerke bis nach oben zu ziehen. Ein Pferdestall wurde an das Haus angebaut, und der Pächter bot Vorspanndienste an. Mit den zusätzlichen Pferden wurden die Wagen bergauf geschafft.

Geld eintreiben, Pferde vorspannen – das dauerte. Eine neue Einkommensquelle tat sich auf. Schon der erste Pächter, Rudolff Bunte, hatte die Idee, die Wartenden zu bewirten. Das trug ihm Ärger ein, denn er schenkte ohne Erlaubnis Branntwein aus. Sein Nachfolger Simon Henrich Richter bemühte sich um die Konzession, erst 1820 wurde ihm der Betrieb einer Gastwirtschaft gestattet. Die Grundlage für das „Bellevue" war gelegt, 1887 wird der Name erstmals genannt.

Das Gasthaus blieb bestehen, auch nachdem 1897 die Maut aufgehoben wurde. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite war früher der Biergarten der Gaststätte. Sie war zu einem beliebten Ausflugsziel geworden, die Lemgoer genossen ihren Kaffee im Garten. Selbst eine Kegelbahn war auf dem Gelände angelegt, die Kegelhütte ist von der Straße aus in dem verwilderten Garten noch zu sehen. Heute ist es kaum vorstellbar, dass die Bedienung Kaffee und Kuchen über die Hamelner Straße trug.

Die letzte Wirtin im „Bellevue" war Irmgard Horlacher. Ihre Eltern hatten das Haus 1904 übernommen. Irmgard Horlacher führte es bis Mitte der 90er-Jahre. Aus dieser Zeit kennen einige Lemgoer den Landgasthof noch: „Es hieß immer nur, wir gehen zu Puttchen Horlacher", erinnert sich Helga Kern. „Puttchen" war der Spitzname von Irmgard Horlacher. Als sie 1998 starb, endete auch die Geschichte des „Bellevue".

Das Haus selbst habe wirtschaftlich kaum noch einen Wert, urteilt Ralf Niemeyer, obwohl die Bausubstanz noch in Ordnung sei. „Es hat aber einen ideellen Wert." Außerdem sichere es den Wert des Grundstücks, das im Außenbereich heute nicht mehr neu bebaut werden dürfte.

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