Lemgo-Leese. Staatspolitische Verantwortung konnte Joschka Fischer als Außenminister nachweisen, in Tübingen ist Boris Palmer Oberbürgermeister, in Baden-Württemberg regiert bereits seit zehn Jahren Winfried Kretschmann. Was sie alle eint? Ihre politische Heimat: Bündnis 90/Die Grünen. Bereits vor 25 Jahren mischte einer bei den Grünen mit, der sich damals mit Protest auskannte: Hartmut Giebel. Der 62-Jährige lebt in Leese. Herr Giebel, aus der aktuellen Politik der Grünen halten Sie sich trotz Parteibuch mittlerweile raus. Bekommen Sie trotzdem mit, was gerade rund um die Partei los ist? Hartmut Giebel: Selbstverständlich bin ich politisch nach wie vor interessiert. Den Kontakt zum Ortsverband habe ich nicht komplett verloren und den Höhenflug der Grünen in den Umfragen verfolge ich mit Zuversicht und Hoffnung. Das Bild ruckelt, die Stimmen hallen, die Gesichter sind schlecht ausgeleuchtet – Kommunikation findet gerade auf Videoplattformen statt. Schon irgendwo teilgenommen? Giebel: Nein, da ich nicht mehr aktiv bin, war das nicht notwendig. Aber mir scheint, wenn ich den Bundesparteitag richtig verfolgt habe, dass die Grünen das inhaltlich und technisch ganz gut geregelt bekommen. Die Grünen waren mal so richtig „links". Mal politisch gefragt: Empfinden Sie heute die Maßnahmen rund um Corona als „tiefgreifende Grundrechtseinschränkungen" oder als „alternativlos"? Giebel: Ich weiß nicht, ob die Kategorie „link" dahin gehört. Es gibt ja einen breiten Konsens über die Notwendigkeit des Handelns und ich empfinde eher die Querdenker in Verbindung mit rechtsradikalen Kräften als populistische Bedrohung. Dass die Einschränkungen sehr viel bittere Medizin bedeutet, insbesondere für die Schwächsten der Gesellschaft, finde ich tragisch. Und kaum jemand redet mehr über das Klima. Wie beurteilen Sie die Nähe Ihrer Partei an den aktuellen Umweltfragen? Giebel: Ich finde, dass gerade jetzt – jedenfalls unter den Parteien – insbesondere die Grünen das Thema immer wieder nach vorne schieben, denn langfristig ist die Gefahr, die mit dem Klimawandel einhergeht, größer als die durch das Virus. Und bei den regenerativen Energien, beim Flächenverbrauch, beim Artensterben und weiteren klimabedingten Bedrohungen sind die Grünen trotz Dannenröder Forst die glaubwürdigsten. War in den 1980er und 1990er Jahren weniger Mainstream? Giebel: Ist doch klar. Die Grünen haben Themen, die randständig waren, in den Mittelpunkt gerückt. Heute kommt man in den anderen Parteien nicht drumherum, Themen wie Frauenquoten oder die Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften in den Programmen zu thematisieren. Erinnern Sie sich an einen permanenten Diskurs zwischen Führung und Basis in Lemgo, Lippe oder NRW? Gibt es den überhaupt noch? Giebel: Auf Kreisverbandsebene hat es damals schon die Auseinandersetzung um Fundamentalopposition und Realpolitik gegeben, die ja lange das Bild der Grünen geprägt hat. Diese Zeit ist vorbei. Die Grünen standen einst am Rand und „meckerten". Jetzt sind sie mittendrin. Haben Sie das vor 25 Jahren geahnt? Giebel: Gehofft habe ich es schon. Aber Winfried Kretschmann als Ministerpräsident in Baden-Württemberg hat mich ebenso überrascht wie Umfragewerte jenseits der 20 Prozent. Zum Schluss ein Blick in die Glaskugel: In diesem Jahr wird die Nachfolge von Angela Merkel geregelt. Hat Robert Habeck eine Chance? Giebel: Oder Annalena Baerbock, das ist ja noch nicht entschieden. Mir gefällt das Duo gut, und beide wären sicherlich um Längen besser als Friedrich Merz oder Armin Laschet. Für Söder zumindest sind sie erste Konkurrenz.