Wiederholungstäter aus Lemgo: Das große Dilemma der Justiz

Detmold. Rechtsanwalt Johannes Salmen wusste es eigentlich schon vor Beginn der Verhandlung vor der zweiten Großen Strafkammer des Landgerichts Detmold: &bdquo;Mein Mandant wird heute ins Gefängnis gehen.“ Denn der 35-jährige Angeklagte, der unter gesetzlicher Betreuung steht und im betreuten Wohnen lebt, ist ein Wiederholungstäter. Er ist krank. Aber nicht krank genug, um im Maßregelvollzug zu landen.

Er wurde schon im Mai 2017 wegen eines ähnlichen Deliktes, 2018 wegen Betruges und zuletzt im November 2022 wegen Verbreitung von kinderpornografischem Material zu einer Haftstrafe mit einer Bewährungszeit von zwei Jahren verurteilt. Nun gestand der Mann vor Gericht über seinen Anwalt umfassend seine Schuld ein, er selbst äußerte sich nicht zur Tat.

Seit November 2022 hat er vier Videos auf Facebook hochgeladen, in denen unter anderem Kinder aufs Schlimmste sexuell missbraucht wurden. Außerdem hat er mehrfach mit einer gewissen &bdquo;Jessica“ auf Telegram gechattet, bei der er anhand des Profilbildes davon ausgehen musste, dass es sich um ein kleines Mädchen handelt. Wer sich dahinter verbirgt, konnte die Polizei nicht ermitteln, aber er hat &bdquo;Jessica“ unter anderem ein Video von sich beim Masturbieren geschickt.

Hunderte Missbrauchvideos Überdies hat die Polizei bei drei Durchsuchungen seiner Wohnung über 300 kinder- und jugendpornografische Videos sowie mehr als 100 Bilder auf Handys, Sticks und anderen Datenträgern gefunden, erst danach nahm sie ihn in Untersuchungshaft. Genau das kritisiert Verteidiger Johannes Salmen: &bdquo;Ich verstehe nicht, warum die Polizei ihn nicht sofort verhaftet hat, nachdem sie bei der ersten Durchsuchung so viel Material bei ihm gefunden hat. Dann wären die weiteren Taten gar nicht erst passiert, schließlich stand er ja unter Bewährung.“ Das sieht Staatsanwältin Jacqueline Kleine-Flaßbeck anders: &bdquo;Bei der ersten Durchsuchung hatten wir noch nicht die Handhabe, um ihn festzunehmen“, betont sie. Später wird Anke Grudda allerdings dem Anwalt recht geben: &bdquo;Das ist nicht gut für Ihren Mandanten gelaufen.“

Auf die Schliche gekommen sind die Ermittler dem Angeklagten über das Internet, weil er Videos auf Facebook hochgeladen hat. Die Beweislage ist sonnenklar, das Problem liegt im Täter selbst, der aus gutem Grund unter Betreuung steht: Er hat einen organischen Gehirnschaden. Sein Intelligenzquotient liegt den Unterlagen zufolge gerade mal bei 82. Dr. med. Gerhard Dankwarth aus Gütersloh sieht bei ihm eine &bdquo;psychosoziale und emotionale Reifestörung“, eine beeinträchtigte Auffassungsgabe und mangelndes Selbstwertgefühl.

&bdquo;Er macht sofort dicht“ Eine therapeutische Behandlung sei bis jetzt nicht möglich gewesen, auch der Gutachter sei nicht zu dem Angeklagten durchgedrungen: &bdquo;Wenn man ihm unangenehme Fragen stellt, macht er sofort dicht und antwortet nicht“, diese Erfahrung bestätigt Verteidiger Johannes Salmen. Darum sei auch eine ambulante Therapie nicht möglich, prognostiziert der Gutachter: &bdquo;Er würde sich entziehen.“

Dr. Dankwarth glaubt nur bedingt an die Einsichtsfähigkeit des Mannes. &bdquo;Und er ist nur sehr eingeschränkt in der Lage, alternative Handlungen zu entwickeln, um seinen erheblichen sexuellen Druck loszuwerden.“ Eine Therapie müsse stationär vonstatten gehen, &bdquo;sonst würde er sich dem entziehen“, ist Dr. Dankwarth überzeugt. Aber auch: &bdquo;Man kann ihm die pädophile Neigung nicht nehmen“, doch eine dauerhafte Therapie könne helfen, dass die sexuelle Prägung des 35-Jährigen nachreife und sich eher auf gleichaltrige Geschlechtspartner richte.

Bewusstsein für die Tat vorhanden Gleichwohl: Dass er sich mit seinem Verhalten strafbar gemacht hat, ist ihm sehr wohl bewusst, davon gehen alle Prozessbeteiligten aus. Darum fordert Staatsanwältin Jacqueline Kleine-Flaßbeck eine Haftstrafe von dreieinhalb Jahren. Um ihn in einer forensischen Psychiatrie dauerhaft unterzubringen, seien die Vergehen jedoch nicht geeignet: Auch wenn das keine Bagatelldelikte seien, habe er noch nie Hand an ein Kind gelegt.

Drei Jahre hinter Gittern Für die zweite Große Strafkammer mit der Vorsitzenden Richterin Anke Grudda ist genau dies das Dilemma, und in ihrem Urteil versucht sie einfühlsam, aber auch klar, dies dem Angeklagten begreiflich zu machen: &bdquo;Eigentlich lägen die Voraussetzungen für die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus vor, aber wir müssen uns fragen: Ist das noch verhältnismäßig?“ Das Gericht wisse: &bdquo;Die Haftstrafe wird vermutlich bei Ihnen nichts ändern“, sagt sie zu dem Lemgoer, dessen Mienenspiel weder Verständnis noch Unverständnis signalisiert.

Ausschlaggebend sei, erklärt ihm die Richterin, dass er sich bis jetzt nicht direkt körperlich an einem Kind vergriffen habe. &bdquo;Dr. Dankwarth hat gesagt, er habe keine Anhaltspunkte, dass Sie das mal machen könnten. Wir sehen die Gefahr jedoch durchaus. Aber eine Unterbringung könnte für Sie lebenslänglich bedeuten.“ Nun habe er nur die Chance, in der Haft zu lernen, anders mit seinen Bedürfnissen umzugehen. &bdquo;Jetzt ziehen wir Sie erstmal aus dem Verkehr.“ Nicht wie gefordert für dreieinhalb, sondern für drei Jahre.

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