Für Fleiß aber gegen den Sozialabbau: Julien Thiede will für die SPD in den Bundestag

Kreis Lippe. Wenn er das Direktmandat holt, wäre Julien Thiede mit seinen 26 Jahren einer der jüngeren Abgeordneten in Berlin: Schließlich liegt das Durchschnittsalter im Bundestag bei mehr als 47 Jahren. In der Lokalpolitik ist der SPD-Direktkandidat für den Wahlkreis Lippe 1 aber ein bekanntes Gesicht und seit 2019 Vorsitzender des SPD-Stadtverbands Lemgo. Wir haben ihn zum Kaffee eingeladen. 15 Minuten hat er Zeit, um zu erklären, was er bewegen möchte.

Die Kandidatur hat Thiede, der sich im Gespräch auch bei heiklen Themen ruhig und gelassen zeigt, vor allem deswegen übernommen, weil Jürgen Berghahn, der das Direktmandat 2021 für die SPD gewonnen hat, nicht mehr antritt. Gleich mehrere Genossen hätten seinen Namen ins Spiel gebracht, als es galt die Nachfolge zu klären. &bdquo;Ich habe dann tatsächlich lange darüber nachgedacht, warum ich das machen sollte“, erzählt Thiede. Schließlich sei er sehr zufrieden mit seinem Job als Fachkraft für Arbeitssicherheit.

Doch die Argumente seiner Parteifreunde überzeugten ihn, denn diese halten ihn besonders wegen seiner zahlreichen Ehrenämter für geeignet. Thiede ist nicht nur Vorsitzender der SPD in Lemgo, sondern auch der stellvertretende Vorsitzende des Zieglervereins Entrup, Ratsmitglied in Lemgo und Mitglied im Kirchenvorstand der evangelischen Kirchengemeinde St. Marien. &bdquo;Du bist eigentlich so in unserer Gesellschaft drin. Wenn nicht du, wer dann?“, hätten ihn Parteifreunde gefragt. Sich auf das Wohlwollen des Amtsinhabers verlassen zu können, sei eine Grundvoraussetzung für die Übernahme der Kandidatur gewesen: &bdquo;Herr Berghahn hat mich ganz wunderbar unterstützt und unterstützt mich auch weiterhin.“

Bürgergeld, Mindestlohn und Fleiß Die SPD sieht er als die Partei der Mitte, die es in der aktuellen Zeit brauche. Zwar gebe es auch bei anderen Parteien gute Ansätze, zum Beispiel, wenn Die Linke die Mitte der Gesellschaft um 6000 Euro im Jahr steuerlich entlasten will. &bdquo;Es geht bei mir aber auch um Realismus und da kommen diese Parteien ganz oft an ihre Grenzen“, findet Thiede.

Und auch Thiede möchte, wie auch von der Union gefordert, dass Fleiß sich lohnt. Doch das bedeutet für ihn nicht, die soziale Absicherung zu unterminieren oder den Sozialstaat als solches infrage zu stellen. &bdquo;Das Leben funktioniert nicht so, dass man mit Fleiß alles erreichen kann“, sagt der Kandidat. Das gelte besonders für Menschen in herausforderden Lebenslagen: &bdquo;Das Leben nimmt Kurven und da braucht es einen Staat, der diese Kurven auch mal ein bisschen entschärft und den Leuten hilft.“ Mit der Mütterrente, der Grundrente und dem Bürgergeld habe seine Partei bereits gute Ansätze verfolgt.

Dass sich wegen der Einführung des Bürgergeldes die Arbeit nicht mehr lohnt, glaubt Thiede nicht. &bdquo;Wenn ich mir überlege, wie ich mit 563 Euro klarkommen sollte, also davon würde ich nicht in saus und braus leben“, findet er klare Worte zu dieser &bdquo;falschen Darstellung“ der Sachlage. Die Art und Weise, wie die Diskussion um dieses Thema geführt wird, findet er &bdquo;ein bisschen hart“. Und fordert: &bdquo;Andersrum sollte man dann eher die Frage stellen, warum Arbeitnehmer so wenig verdienen, dass es sich nicht vom Bürgergeld unterscheidet.“ Einen Mindestlohn in Höhe von 15 Euro hält er für &bdquo;vollkommen in Ordnung“ - zumindest wenn sich die Lebenshaltungskosten auf dem aktuellen Niveau einpendeln. Die Inflation im Zaume zu halten sei deswegen eine wichtige Aufgabe.

Falsche Schwerpunkte beim Thema Migration? Das die Union und ihr Vorsitzender Friedrich Merz Ende Januar einen Entschließungsantrag mit einem Fünf-Punkte-Plan zur Migrationspolitik im Bundestag mit Stimmen der AFD durchgebracht hat und bei einem Gesetzentwurf ebenfalls auf die Stimmen der in Teilen als gesichert rechtsextrem geltenden Partei setzte, ist für Thiede &bdquo;Wahlkampfkalkül“. Von der SPD im Oktober eingebrachte Vorschläge zum Thema, die im Bundestag eine Mehrheit fanden, seien von der Union im Bundesrat gestoppt worden: &bdquo;Jetzt tut man so, als ob man der Heilsbringer ist. Das fand ich schon schwierig.“

Dass es sich bei der Union zu einem Muster entwickeln könnte, in Zukunft Mehrheiten regelmäßig mit Hilfe der Rechtsaußenpartei zu besorgen, kann sich Thiede &bdquo;durchaus vorstellen“. &bdquo;Wenn man einmal mit so was durchgekommen ist, fällt es beim zweiten Mal leichter“, sagt der Kandidat, der in Deutschland ganz klar einen Rechtsruck in Politik und Gesellschaft ausmacht.

Die Migrationsdebatte sieht er häufig falsch geführt. Es werde oft so getan, als würden &bdquo;alle schlimmen Dinge, die in Deutschland passieren, durch Migration ausgelöst“. Er ist der Ansicht, dass Straftaten, die durch Personen mit Migrationsgeschichte verübt werden, ein zu hoher Stellenwert in der medialen Berichterstattung eingeräumt wird und deshalb ein falscher Eindruck der Lage entstehe.

Thema nicht ausblenden Auch wenn der Anschlag von Magdeburg, bei dem der Täter mit einem Auto auf den Weihnachtsmarkt raste und sechs Menschen tötete, von einem Mann begangen wurde, der aus Saudi Arabien stammt, sei es belegt, &bdquo;dass das jemand mit rechtem Gedankengut war, der mit der Migrationssituation unzufrieden war und es deshalb getan hat“. Trotzdem werde der Fall vor allem mit Blick auf die Herkunft des Täters behandelt.

Andererseits würde das Thema Femizide, also das Töten von Frauen, weil sie Frauen sind, medial deutlich zurückhaltender aufgegriffen. &bdquo;Deutsche Männer, die ihre deutschen Frauen umbringen, darüber berichtet niemand“, sagt Thiede. Zwar relativiere das eine Thema nicht das andere, doch das Beispiel zeige, &bdquo;wo der Fokus in der Gesellschaft, der Mediengesellschaft und bei den Bürgern liegt“.

Dennoch will er das Thema nicht ausblenden: &bdquo;Als Partei jetzt zu sagen, dem müssen wir uns nicht stellen, wäre fahrlässig.“ Der Fall Aschaffenburg habe gezeigt, das besonders die Kommunikation zwischen Behörden besser funktionieren müsste. &bdquo;Grenzschließungen entsprechen nicht dem europäischen und dem deutschen Recht. Man müsste die vorhandenen Gesetzte einfach mal umsetzten“, so Thiede weiter.

Für Fleiß aber gegen den Sozialabbau: Julien Thiede will für die SPD in den Bundestag

Die Bundestagswahl in Lippe in Bildern

Sieger und Verlierer: Vieregge und Haase feiern, einstige SPD-Hochburg ist Geschichte

Bürgergeld-Gegner bei SPD sammeln Tausende Unterschriften

SPD Bad Salzuflen will Gemeinsamkeit und keine Spaltung

Fahimi warnt vor «völlig falschem Fokus» auf Sozialkürzungen

Bundestagswahl in OWL: CDU gewinnt sechs von sieben Wahlkreisen

Lippische Landes-Zeitung: Nachrichten aus Lippe, OWL und der Welt

Weiterlesen mit LZplus!

0,99 Euro im ersten Monat

Weiterlesen mit LZplus