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Philosophie im Alltag: Lemgoer will Menschen dabei helfen, sich selbst zu verstehen

Vasco Stemmer

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Klaus Rudolf Berger hat Philosophie studiert und über Jahrzehnte als Schulleiter und Lehrer gearbeitet. - © Vasco Stemmer
Klaus Rudolf Berger hat Philosophie studiert und über Jahrzehnte als Schulleiter und Lehrer gearbeitet. (© Vasco Stemmer)

Lemgo. Ist Philosophie lebensfern, akademisch und abstrakt, oder bringt sie konkreten Nutzen im Alltag? Für den Lemgoer Klaus Rudolf Berger ist die Antwort auf diese Frage klar. Er beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit dem Thema und hat ein philosophisches Modell entwickelt, das dabei helfen soll, die eigene Persönlichkeit zu entwickeln und bestimmte Lebensphänomene zu verstehen.

„Es ist nicht so, dass ich eine Philosophie habe, nach der man glückselig wird. Sondern ich habe einen Ansatz, ein Personenmodell entwickelt, von dem ich ausgehe, dass das existenziell konstitutiv für die Entwicklung der Person und die Identität der Person wichtig ist“, erläutert Berger im Gespräch mit der LZ.

Als eine Suche nach dem Sinn des Lebens hat Berger die Philosophie für sich nie gesehen, denn den habe er bereits zuvor in seinem christlichen Glauben gefunden. Dennoch sei auch die Sinnsuche eine legitime Herangehensweise an den Begriff. Berger hat zahlreiche Bücher veröffentlicht und unter anderem seit 1992 das Berufskolleg der Stiftung Eben-Ezer in Lemgo aufgebaut und geleitet. Philosophie hat er zwischen 1976 und 1982 an der Universität Bielefeld studiert. Im April wird er die erste „Philosophische Praxis“ in Ostwestfalen-Lippe in Lemgo-Lieme eröffnen, in der er Beratungsangebote, die auf seinem philosophischen Modell basieren, realisieren möchte.

Ein wichtiger Aspekt sei dabei, überhaupt in die Lage versetzt zu werden, die eigenen Bedürfnisse zu verstehen und zu beschreiben. Dabei orientiere er sich auch an dem Schweizer Philosophen Peter Bieri. „Wir wollen selbstständig sein, wir wollen nicht die Tyrannei, wir wollen auch nicht Bevormundung der Eltern, sondern wir wollen zu dem finden, was für uns bedeutet: Was denke ich, was möchte ich und wie kann ich es in Handlungen umsetzen“, beschreibt Berger diesen Ansatz.

Die Persönlichkeit von Kindern fördern

Eltern sollten deshalb zum Beispiel in die Lage versetzt werden, die Persönlichkeit ihrer Kinder zu fördern, diese anzunehmen und auszuhalten. „Ich möchte Eltern Mut machen, dass sie ihren Kindern so viel Freiheit wie möglich zugestehen, sodass sie ihre Persönlichkeiten entfalten können“, erläutert Berger. Dabei müssten natürlich gewisse Normen und Grenzen berücksichtigt werden. „Ich möchte nicht einen Egozentrismus fördern, sondern ich möchte die Persönlichkeit wertgeschätzt wissen“, das habe sich sowohl für seine eigenen Kinder, als auch seine Schüler als vorteilhaft erwiesen.

„Alles, was in dir schon vermittelt ist, durch bestimmte Prägungen, das können wir nicht rausschieben“, sagt Berger. Es sei wichtig, einen Schritt zurückzutreten und darauf zu schauen, wer man ist. Geprägt etwa durch Herkunft, Namen und Erziehung. „Ich entdecke jetzt in mir, dass ich einiges davon gut finde, anderes aber nicht übernehmen kann“, erläutert Berger das mögliche Resultat einer solchen Beobachtung. Dabei gehe es zumeist tatsächlich nicht ums Wollen, sondern ums Können. Wenn Eltern also ein fest geformtes Bild ihrer Kinder hätten, sei das „tragisch“. Dabei sei es egal, ob es dabei um die Kompensation eigener nicht verwirklichter Wünsche oder um das Anknüpfen an den eigenen Erfolg gehe.

Freude am Denken, Weisheit, Neugier

Doch das sei keine Einbahnstraße: „Du hast auf der einen Seite die Verpflichtung, für deine Kinder zu sorgen. Du hast auf der anderen Seite aber den berechtigten Anspruch, denen etwas zu vermitteln, was dir wichtig ist“, erläutert Berger. Dabei sei ganz entscheidend, dass das, was den Eltern wichtig ist, in einem Modus der Freiheit gesagt wird: „Ich erzähl dir mal, wie ich mir das vorstelle, wenn du mich fragst, warum das meine Gründe sind, aber ich erwarte nicht von dir, dass du das auch so tun musst“, fasst Berger zusammen.

Philosophie ist laut Berger Freude am Denken, Neugier und Weisheit. Dennoch sei es wichtig, aus dem Ursprung der Philosophie des Staunens herauszukommen: „Ihr findet etwas, ihr nehmt es auf und schaut es euch mal vorbehaltlos an, von verschiedenen Seiten. Wenn ihr die Fakten aufgenommen habt, dann versucht ihr mal, das Phänomen zu beschreiben - und dann kommt ihr erst möglicherweise zu einer Beurteilung.“ Auf diese Weise möchte er dazu beitragen, dass Vorurteile abgebaut werden. Allerdings schließe sich dadurch nicht aus, dass man selbst in den Fragen, die einem persönlich sehr wichtig sind, auch gefestigt ist.

Bei Angst vor mündlichen Prüfungen könne dieser Aspekt eine entscheidende Rolle spielen: Wer gelernt hat und seinen Stoff kennt, sollte eigentlich in der Lage sein, sachkundig seine Sache zu vertreten. Das Problem sei aber häufig, dass sich die Menschen zu viel Gedanken darum machen, was das Gegenüber hören will.

Jeder hat gewisse Möglichkeiten

Das etwa Reinhold Messner den Mount Everest als erster Mensch ohne die Hilfe von Sauerstoffflaschen bestiegen hat, sei darauf zurückzuführen, „weil das in seiner Person liegt, weil er sich das vorstellen kann, dass zu schaffen“. Angewandt und verallgemeinert heiße das, „dass jeder in sich gewisse Möglichkeiten hat. Wenn er die für sich entdeckt, dann wird das was ganz Tolles und dann ist da plötzlich für die Menschen auch Lebenssinn.“

Allerdings gelte Gleiches auch zuweilen für Menschen, die einen destruktiven Ansatz verfolgen. Als Beispiel nennt Berger die Persönlichkeiten von Donald Trump oder Wladimir Putin. Generell sei alles menschliche Denken zumindest gegensätzlich, aber auch häufig hoch komplex. „Wenn eine Gesellschaft Philosophie als obsolet empfindet, dann wird ihr wesentliches fehlen an Reflexion, an Nachdenklichkeit und an vorausschauendem Denken“, ist sich Berger sicher.

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