Lügde. Im Fall des massenhaften sexuellen Missbrauchs in Lügde-Elbrinxen ist insbesondere das Jugendamt im niedersächsischen Hameln-Pyrmont in die Kritik geraten. Der 56-jährige mutmaßliche Haupttäter wurde von der Mutter des sechsjährigen Mädchens mit dessen Erziehung betraut. Er soll das Kind dazu benutzt haben, Kontakte zu anderen Kindern zu knüpfen.
Der Landkreis Hameln-Pyrmont verteidigt die heftig kritisierte Unterbringung auf einem Campingplatz: „Weder der Gesundheitszustand, die finanzielle Lage noch das Führungszeugnis des Mannes gaben Grund zur Beanstandung." Doch das Pflegekind soll zu den Missbrauchsopfern gehören.
"Der Elternwille überwiegt"
Aber wie entscheiden Behörden, ob Pflegeeltern geeignet sind? Angehende Pflegeeltern müssen beispielsweise ein Gesundheitszeugnis vorlegen, erklärt Anke Berkemeyer, Leiterin der Abteilung erzieherische Hilfen beim Jugendamt Bielefeld. Viele Jugendämter betonen, dass die Pflegeeltern bereit sein müssen, eng mit dem Jugendamt zusammenzuarbeiten.
Wünschenswert sei, dass die Kinder Privatsphäre durch ein eigenes Zimmer bekommen. Außerdem sollten Pflegeeltern über ein eigenes Einkommen verfügen. Grundsätzlich können auch alleinstehende Personen ein Pflegekind aufnehmen.
Anders sei das jedoch bei der „Netzwerkpflege". So nennt man Pflegeverhältnisse mit Bekannten der Familie – so wie es auch in Lügde der Fall war. Dabei müssen potenzielle Pflegeeltern lediglich ein Gesundheitszeugnis und ein polizeiliches Führungszeugnis vorlegen und zudem einwilligen, eng mit dem betreuenden Jugendamt zusammenzuarbeiten.
„Der Elternwille überwiegt dabei", sagt Berkemeyer. Wenn Eltern ihr Kind bei einer Vertrauensperson in Obhut geben, kann das Jugendamt lediglich eingreifen, wenn es Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung feststellt.
"Die Wohnsituation war sicherlich nicht optimal"
Für das Jugendamt in Hameln-Pyrmont seien die gute Bindung des Kindes zum Pflegevater und Verbesserungen des Entwicklungszustandes entscheidend gewesen. Die Situation sei wöchentlich überprüft worden. „Die Wohnsituation war sicherlich nicht optimal, hat im Vergleich zu einer funktionierenden sozialen Bindung allerdings einen deutlich geringeren Stellenwert und ist kein Indiz für die Feststellung für eine Kindeswohlgefährdung. Sie entspricht einem winterfesten Wochenendhaus mit einem Schlafbereich für das Kind, das in gutem Pflegezustand vorgefunden wurde."
Der Pflegevater habe sich seinen Lebensmittelpunkt geschaffen und sei in das Umfeld eng eingebunden gewesen. Dem Jugendamt Lippe wurde Ende 2018 die Strafanzeige bekannt. „Das Kind wurde am selben Tag in Obhut genommen und in einer Bereitschaftspflegefamilie untergebracht." Bereits 2016 wurde eine Kindeswohlgefährdung angezeigt. „Diese bezog sich auf den Verdacht der Verwahrlosung – nicht eines möglichen Missbrauchs", so eine Sprecherin. Die Staatsanwaltschaft bezweifelt allerdings, dass es keine Indizien dafür gab.
Besteht für ein Jugendamt der Verdacht, dass ein Kind sexuellem Missbrauch ausgesetzt ist, so sind die Beamten verpflichtet, einen Hausbesuch vorzunehmen und sich einen unmittelbaren Eindruck vom Kind und seinem Umfeld zu verschaffen. „Das wird stets zu zweit gemacht", erklärt Berkemeyer. Damit sichern sich die Beamten nicht nur ab, sondern haben die Möglichkeit, Eindrücke auszutauschen. Bewahrheitet sich die Vermutung, so ziehen die Beamten externe Experten für sexuellen Missbrauch hinzu.
Speziell geschulte Betreuer gibt es in den Jugendämtern nur auf freiwilliger Basis. Vorschriften, nach denen Jugendämter Mitarbeiter mit dieser Kompetenz beschäftigen müssen, gibt es nicht, erklärt Wibke Op den Akker, Sprecherin des NRW-Familienministeriums.