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Als Schnee und eisige Kälte noch zum Winter gehörten

Horst Biere

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Oerlinghausen. Sibirische Kälte herrschte im Winter 1928/29. Ganz Deutschland lag unter einem Eispanzer. Selbst die ostfriesischen Inseln ließen sich zu Fuß übers Eis erreichen. Rhein und Weser waren komplett zugefroren.

Der mit Abstand kälteste Winter des 20. Jahrhunderts führte auch in Oerlinghausen zu großen Problemen - vor allem bei der Wasserversorgung. In vielen Ortsteilen, zum Beispiel am Steinbült, an der Robert-Koch-Straße und am Landerweg, mussten die Bewohner von Januar bis April 1929 ohne fließendes Wasser auskommen, denn die erst 20 Jahre alten Wasserleitungen waren komplett eingefroren.

Die Anwohner holten ihr Trink- und Waschwasser in Eimern und Wannen aus der kleinen Landerquelle im Schopketal, die man mühsam eisfrei hielt. Andere Wohngebiete der Bergstadt litten ebenfalls unter der gnadenlosen Kälte. Vielerorts sank das Thermometer im bitterkalten Februar auf -25 Grad, zum Teil sogar unter -30 Grad.

Doch auch die Kriegswinter 1939 bis 1942 zählten zu den härtesten des vergangenen Jahrhunderts. Während die Oerlinghauser Männer an allen Fronten des Krieges eingesetzt waren, versuchten die Frauen das winterliche Leben in der Stadt zu meistern. Die Straßen waren nur spärlich geräumt, es gab ja kaum Autos in der Stadt. Wer von Bielefeld nach Oerlinghausen gelangen wollte, der ging entweder zu Fuß durch tiefen Schnee oder nahm die Eisenbahn bis Asemissen und wanderte dann langsam über die verschneite Straße den Berg hinauf.

Schwangere Frauen wurden vor große Probleme gestellt. Wolfgang Hüls, der Anfang 1942 zur Welt kam, erzählt: "Als meine Geburt unmittelbar bevorstand, gab es keine Möglichkeit für meine Mutter von der Reuterstraße mit einem Fahrzeug ins Mariannenstift zu kommen. Also musste sie - von meiner Großmutter begleitet - mühevoll durch den tiefen Schnee waten. Zum Glück für mich ist sie rechtzeitig zur Entbindung an der Robert-Koch-Straße angekommen."

Wintersport auf der Straße

Allein die Kinder hatten viel Spaß mit Eis und Schnee. Die Hanglage am Tönsberg bot viele Schlittenabfahrten und Skitouren an, die zugefrorenen Teiche luden zum Schlittschuhlaufen ein. Kaum noch vorstellbar ist der Wintersport auf Oerlinghauser Hauptstraßen. Werner Höltke beschreibt die Situation: "Die Detmolder Straße bot gute Bedingungen zum Schlittschuhlaufen. Die wenigen Autos oder Pferdefuhrwerke, die langsam vorbeifuhren, waren für uns keine Gefahr."

Der Krieg aber bestimmte mehr und mehr auch die winterlichen Kinderspiele. Zu Weihnachten 1941 bekam Werner Höltke ein Paar "richtige" Skier, die zwar gebraucht aber in guten Zustand waren. Zwei Winter lang unternahm er mit seinen Freunden abenteuerliche Schneetouren bis zu den Rethlager Quellen und entlang der Senne. Dann appellierte das damalige Winterhilfswerk wieder einmal an die Bevölkerung. Höltke: "Als im Jahr 1943 für die Soldaten in Russland gesammelt wurde, haben meine Freunde und ich uns von unseren Skiern getrennt. Wir bekamen 30 Reichsmark und das Versprechen, nach dem gewonnenen Krieg, ein Paar neue Skier zu erhalten."

Holzsuche im Nachkriegswinter

Auch im harten Nachkriegswinter 1946/47 fror und hungerte ganz Deutschland furchtbar. Es gab kein ausreichendes Essen und kein Brennmaterial. Viele Oerlinghauser zogen zum Barkhauser- oder Menkhauser Berg, um etwas brennbares Holz zu organisieren. Immer aber lief man Gefahr, vom Förster Behnke, dem Bewacher des Forsts, gestellt und bestraft zu werden.

In einen riesigen Eisschrank verwandelte sich das Land ein weiteres Mal im sehr strengen Winter 1962/63. Eine erste Kältewelle begann ab Mitte November, dann zog sich der klirrende Frost bis in den März. Frieren musste seinerzeit niemand mehr in der Bergstadt, aber der ohnehin schon geringe Straßenverkehr kam vollständig zum Erliegen.

"Ski und Rodel gut" hieß es da in ganz Oerlinghausen. Klaus Biere wartete als Zehnjähriger oft abends auf seinen Vater, der von seiner Arbeitsstelle mit dem Bus aus Bielefeld zurückkam. "Zu dieser Zeit habe ich ihn mit dem Schlitten abgeholt. Und das letzte Stück sind wir dann gemeinsam von der Holter Straße die Friedrichstraße ("Im Winkel") hinunter gerodelt bis zum Kiffestift."

Eine große Wintersportlandschaft entstand auf "Diekhofs Wiese" in jenen Jahren. Am Ortsausgang Richtung Asemissen trafen sich alle Jugendlichen, um die steile Abfahrt Richtung Niederbarkhausen hinab zu sausen. "Dutzende von Schlitten, Bobs und Skiläufern aus unserem Gebiet, Hanegge, Bruchweg, und Marienstraße kam hier zusammen - an jedem Nachmittag bis in die Dunkelheit", erinnert sich Roland Müller, der seine Kindheit dort verbracht hat.

Reges Wintertreiben herrschte auch auf vielen Wegen am Tönsberg und am Barkhauser Berg. Unmittelbar am Kalkwerk existierte eine große "Skikuhle" in der die Kinder aus dem Gebiet Welschenweg, Triftweg, Wehrenteich mit ihren einfachen Tourenskiern einen kleinen Hügel hinabrutschten. Der mit hohen Buchen bewachsene Berg aus Kalkstein existiert nicht mehr, da das Gestein im Kalkwerk längst zu Baumaterial verarbeitet wurde.

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