Wie die Germanen wirklich lebten

Oerlinghausen . Schild und Lanze über dem Bett, der Helm, natürlich der mit den zwei Hörnern, griffbereit daneben. Der Germane als ewiger Kämpfer. Das gefiel den Nazis – damals, als 1936 das Archäologische Freilichtmuseum gegründet wurde. Und Ewiggestrigen gefällt das auch heute noch. Karl Banghard, dem Leiter des Archäologischen Freilichtmuseums gefällt das gar nicht. Kürzlich veröffentlichte der Prähistoriker das Buch &bdquo;Die wahre Geschichte der Germanen“, das prompt auf der Spiegel-Bestseller-Liste landete. Banghard weiß, wovon er spricht und er kann sich herrlich echauffieren, wenn er die Dinge nennt, die auch heute noch den Germanen angedichtet werden.

Was ihn aber wirklich ärgert, ist die Intention, die hinter dem romantisierten Bild des Germanen steckt. Als die Nazis das Freilichtmuseum im Olympiajahr 1936 eröffneten, steckte nicht das Interesse an der Historie dahinter – jedenfalls nicht nur. Im ersten germanischen Freilichtmuseum der Welt wurde ein radikal neues junges Germanenbild präsentiert. Es sollte sich stärker an der Wissenschaft orientieren, doch dem stand die Ideologisierung der Inhalte gegenüber. Mehr als bei vergleichbaren nationalsozialistischen Anlagen. Und so wurden, wie Banghard berichtet, die Germanen als muskelbepackte, blauäugige Hünen dargestellt, die natürlich ihren Speer und ihren Schild griffbereit neben dem Bett an der weiß gekalkten Wand hatten.

Bereits vor zehn Jahren hatten Banghard, Moritz Ilemann, Vorsitzender des Trägervereins, und Museumsgeschäftsführer Klaus Stein die Idee, das Germanenbild wieder ins richtige Licht zu rücken. &bdquo;Damals ist die Idee an der Politik gescheitert“, erinnert sich Ilemann.

Jetzt ist die Zeit reif, die Idee konkret werden zu lassen, sind sich die drei einig. Denn &bdquo;die extreme Rechte nutzt das Thema Germanen bis heute intensiv zur Rekrutierung von Jugendlichen. Die Suche nach Identität und Sinn während des Erwachsenwerdens wird bekanntlich gerne durch Selbstinszenierungen begleitet, bei der Musik und Kleidung eine zentrale Rolle spielen. Die Aura der Vorgeschichte bietet dabei eine hervorragende Kulisse für die Selbstinszenierung etwa als Kämpfer oder als tragischer Held. Solche ideologisch verdichtete Identifikationsangebote finden sich in Musik, Living History oder im Gaming“, erklärt Karl Banghard.

In einem für 2026 bis 2027 geplanten Neubau wird das Mittlere der Germanenhäuser durch einen Neubau ersetzt. Dieses Haus wird dann mit einer großen Plexiglasscheibe in zwei Hälften geteilt. In einer Haushälfte wird die voll eingerichtete Inszenierung von 1936 präsentiert. Auf der anderen Seite ist diesem Bild der aktuelle Forschungsstand – ausgehend vom selben archäologischen Befund – gegenübergestellt. Auf einen Blick lässt sich so das Ausmaß des ideologischen Einflusses erkennen und das völkische Bild brechen.

Deutlich wird die Ideologisierung auch an einfachen Dingen, wie den Sitzmöbeln. Während des Pressegesprächs sitzt Karl Banghard auf einem verzierten Holzstuhl mit Armlehnen. Folgt man dem Bild des nationalsozialistisch interpretierten Germanen, war das ein normales Möbelstück. Belegt durch archäologische Funde ist aber längst klar, dass die Germanen eher auf niedrigen Hockern gesessen haben.

Banghard betont: &bdquo;Wir brauchen Lernorte, die nicht allein die Schrecken des Nationalsozialismus, sondern sein Verführungspotenzial begreifbar machen. Denn viele Jugendliche und junge Erwachsene nehmen Nazi-Verbrechen als fremde Größe wahr, wenn sie mit ihren Dimensionen konfrontiert werden. Es fehlt ein Zugang, der erklärt, wie man überhaupt einen Einstieg in eine sich schrittweise radikalisierende Gedankenwelt bekommen kann.“

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