

Oerlinghausen. Die Entdeckung kam gerade noch rechtzeitig im Jubiläumsjahr. Der unscheinbare "Sensationsfund", so Karl Banghard, verlängere die Besiedlungsgeschichte Oerlinghausens locker um das Dreifache.
Manchmal muss der Zufall ein wenig nachhelfen, um versteckte Schätze zu erkennen. Bereits vor fast zwei Jahrzehnten, im Jahr 1992, hatte die ehemalige Mitarbeiterin des Archäologischen Freilichtmuseums, Roswitha Nestler, während eines Spazierganges zwischen Schopketal und Menkhauser Berg einen so genannten Kantenkratzer aufgelesen. Die Bestätigung, dass dieser Fund der Nachweis der bisher ältesten menschlichen Besiedlung auf dem Stadtgebiet ist, glückte erst jetzt.
Zu verdanken ist dies Dr. Birgit Gehlen von der Universität Köln, die bei ihren Recherchen für ein Schwerpunktprojekt der Deutschen Forschungsgemeinschaft nach Oerlinghausen gekommen war. Bei dieser Gelegenheit hatte Museumschef Banghard der Steinzeitexpertin den Fund vorgelegt. Gehlen, so Banghard, gehöre zu den nur wenigen Spezialisten, die ein solches Gerät mit Gewissheit von anderen steinzeitlichen Artefakten unterschieden könnten.
Die Autopsie sei in der Zwischenzeit durch eine weitere Autorität zu Neandertaler-Artefakten, Dr. Utz Böhner vom niedersächsischen Landesamt für Denkmalpflege in Hannover, bestätigt worden.
Datiert wird der Kantenkratzer, mit dem nach Meinung Gehlens sehr wahrscheinlich vor allem Holz bearbeitet worden ist, auf die Zeit zwischen 70.000 bis 40.000 vor Christus. "Funde aus dem so genannten Mittelpaläolithikum haben in Nordwesteuropa Seltenheitswert", betont Banghard.
Zwar sei durch einen gerade in der Zeitschrift "Nature" publizierten Artikel bekannt, dass die bislang ältesten Knochen des modernen Menschen Nordwesteuropas aus Kents Cavern im englischen Devon bereits aus der Zeit um 42.500 vor Christus datieren. "Man kann aber trotzdem davon ausgehen, dass der Menkhauser Klingenkratzer von einem Neandertaler gefertigt worden ist."
Ebenso wie Banghard hebt auch Gehlen die hohe handwerkliche Kunst des Neandertalers hervor. "So ein gut gearbeitetes Stück in dieser Qualität findet man nicht alle Tage", bestätigt die Wissenschaftlerin. "Die Hände des Neandertalers haben kraftvoller und präziser arbeiten können als die des Jetztmenschen", ergänzt Banghard. Birgit Gehlen glaubt, dass der Kantenkratzer "sehr wahrscheinlich bis kurz vor dem Auffinden im Boden gelegen hat." Nur wenige dieser "ungestörten" Funde gebe es. Für Dr. Utz Böhner stellt sich nun die Frage, "ob noch mehr dahintersteckt", sprich, ob an der Fundstelle noch mehr Artefakte gefunden werden könnten.
Dafür muss die genaue Stelle aber erst einmal eingegrenzt werden. "Wir wissen nur ungefähr, wo sie sein könnte", sagt Banghard. In Oerlinghausen existiere zwar eine der höchsten Fundstellendichten Deutschlands, "aber auf so einen Fund haben wir lange gewartet".