Kälbchenglück und Existenzkampf in Schlangen

Kreis Lippe . Wenn sich die Besuchermassen nächste Woche in Berlin durch die Messehallen der Grünen Woche schieben, dann werden sie auch am großen Stand des Landes NRW vorbeikommen. Und möglicherweise Bekanntschaft mit Bettina Hörstmeier machen. Die Schlänger Landwirtin ist stellvertretende Vorsitzende des Vereins Mutterkuh NRW. Ein Hofbesuch.

Im Rest von Lippe überwiegt das Grün, doch kaum ist auf der Bundesstraße 1 die Egge überwunden, liegt alles rechts und links der Fahrbahn unter einer Schneedecke. Auf einem der Hügel drehen sich mächtige Rotoren im schwachen Wind. Bettina Hörstmeier hat schon gewartet, in Gummistiefeln kutschiert sie den Gast mal eben zum Rinderstall: &bdquo;Es ist zwar nicht weit, aber sehr glatt hier“, erklärt die fast 60-Jährige.

Die kleine Tür im riesigen Stalltor gibt den Blick frei auf eine große Halle, die Fensterreihen rechts und links lassen das blasse Winterlicht in die beiden großen Boxen zu beiden Seiten des Mittelgangs fallen. Ein sanftes Schnauben, ein vereinzeltes Muhen – Ruhe liegt über der Szenerie.

Tobestunde für Kälbchen

In Reih und Glied recken sich große, cremefarbene Köpfe durch die Gitter nach dem Silage-Futter, das Bettina Hörstmeier ihren Charolais-Rindern eben noch vorgesetzt hat. Die großen Ohren mit den gelben Ohrmarken bewegen sich sanft, doch das ist an den Köpfen das einzige Herausragende: Diese Charolais-Rinder haben von Natur aus keine Hörner.

&bdquo;Zum Füttern nutze ich das Gitter, dann haben die Mutterkühe Ruhe und können ungestört fressen, aber gleich lasse ich sie wieder frei“, erklärt die Landwirtin. Was vorn reinkommt, geht auch hinten wieder raus: Unter dem Spaltenboden sammelt sich die Gülle – unverzichtbares Düngemittel im Kreislauf des Hofes. Wie zur Bestätigung hebt sich gerade einer der Kuhschwänze, ein lautes Platschen ertönt.

Derweil ist dies für den Nachwuchs anscheinend die schönste Zeit des Tages: Denn während sich die Mamas auf dem Spaltbodenpodest die mächtigen Bäuche vollschlagen, sticht die Kälber im Stroh der Hafer; der Nachwuchs nutzt eine Stufe tiefer den hinteren Boxenteil als Rennbahn: Übermütig hüpfen und toben die Kälber umher. &bdquo;Die machen Speedy Gonzales, und sie lieben es“, sagt ihre Besitzerin lachend. &bdquo;Es ist wunderschön, das zu beobachten.“

Bulle Barney patrouilliert

Auch ein paar Gerne-Große sind darunter, strecken ihre kleinen Köpfe durch die Gitterstäbe und versuchen es schon mal mit der Silage. Die Bäuerin lächelt und streicht einem der Kälbchen über den Kopf: &bdquo;Na, Mathilde“, sagt sie. Jedes Tier bekommt einen Namen, aber Bettina Hörstmeier kann sich die Nummern auf den Ohrmarken besser merken: &bdquo;Ich bin ein Zahlenmensch“, und darum nennt sie die meisten eben einfach zärtlich &bdquo;Mathilde“.

Einige der Kleinen sind nach dem Toben schon wieder hungrig und docken schmatzend am nächstbesten Euter an, andere haben sich auch bereits in die duftige Strohschicht gekuschelt. Sie scheinen vollkommen unbeeindruckt von dem Koloss, der sich an den Winzlingen vorbeischiebt und hinauf auf das Podest steigt. &bdquo;Barney“ patrouilliert an seinem Harem entlang und testet mit seiner Nase an ihren Hinterteilen gemächlich, ob wohl schon eine wieder bullig ist. &bdquo;Er macht seinen Job“, Bettina Hörstmeier ist sichtlich stolz auf ihren Zuchtbullen, der ihr hoffentlich auch in dieser Saison wieder prächtigen Rinder-Nachwuchs bescheren wird.

Acht Monate an der Milchbar

Denn die Charolais auf dem Hörstmeierschen Hof dienen nicht nur der Fleischproduktion: Das zweite Standbein ist die Zucht zum Weiterverkauf an andere Betriebe. Zwischen 3000 bis hin zu 7000 Euro kann so ein Prachtexemplar schon bringen. Seit 2002 arbeiten Bettina und ihr Mann Friedel Hörstmeier an ihrer Herdbuch-Zucht. &bdquo;Damit begonnen haben wir vor 20 Jahren, als es noch Milchseen und Butterberge gab. Wir haben unsere Milchviehhaltung aufgegeben und einen anderen Geschäftszweig gesucht, der wirtschaftlicher zu betreiben ist“, erklärt sie.

Mit 30 Tieren hat sie angefangen, in Hochzeiten waren es 160 Rinder insgesamt, davon mehr als 60 Mutterkühe. Im Stall hier sind es gut 40 Kühe, Platz hätte sie für 80. Im Sommer dürfen alle wieder raus auf die Weide. Gut acht Monate lang bleiben die Kleinen bei der Mama und nutzen die Milchbar. &bdquo;Einige Mutterkühe sind es schon nach sechs Monaten leid, andere sind da geduldiger.“ Es könne sogar vorkommen, dass auch noch erwachsene Kühe versuchen, sich an fremden Eutern zu bedienen, doch das versucht die Züchterin zu unterbinden.

Bissiges Kälbchen

So behaglich die Szenerie auch wirkt, eines muss man wissen: &bdquo;Das sind keine Kuscheltiere“, betont Bettina Hörstmeier. &bdquo;Wenn es um die Kälber geht, dann können Mutterkühe auch wirklich gefährlich sein. Da muss man als Halter wirklich aufpassen, an einige gehe ich auch nicht allein heran.“ Denn wenn einen so ein 900 Kilo schwerer Fleischkoloss an die Wand drückt, kann es schon mal lebensgefährlich werden. &bdquo;Sie folgen ihrem Instinkt und wollen ihr Kalb schützen.“

Manche der puscheligen Kälber sind sogar &bdquo;bissig“, wie sich beim Besuch in der Box gegenüber zeigt. Eines der etwas älteren Bullenkälbchen hat offensichtlich einen Narren an seiner Besitzerin gefunden. Es kommt angelaufen und drängt sich mit dem Kopf immer wieder an ihre Beine, um sich ein paar Streicheleinheiten abzuholen und auf Rindviecherart welche zu verteilen: Der kleine Bulle leckt mit der langen Zunge, beginnt aber auch mit den Zähnen, zu knabbern – geeignet für die Kuh- aber nicht für zarte Menschenhaut: &bdquo;Heh, nicht beißen“, ruft die Landwirtin und schiebt ihn lachend zurück: &bdquo;So machen sie es mit ihren Artgenossen, und sie haben noch nicht begriffen, dass ich kein Rind bin.“

Es reicht kaum noch

So idyllisch das Stallleben auch wirken mag, dahinter steckt viel Arbeit, das Ringen um jedes einzelne Kalb und ums Tierwohl. Dass ein Teil dieser Tiere am Ende beim Schlachter landet, gehört zur Wahrheit dazu.

Die Hörstmeiers vermarkten das Fleisch über Westfleisch. Die Schlachttiere gehen in den Schlachthof nach Lübbeke, auch wenn sie viel lieber auf einen kleineren, heimischen Schlachthof zurückgreifen würde. &bdquo;Aber die sind ja sehr rar gesät und haben immer weniger Kapazitäten“, erklärt die Landwirtin bedauernd. Die Mutterkuhhaltung ist aufwendig und kostspielig, weil eben nicht alles auf Optimierung ausgelegt ist und das Tierwohl im Herdenverband wie die Landschaftspflege eine große Rolle spielen. Das schlägt sich in Zeiten von Billigfleisch im Supermarkt aus ihrer Sicht nicht angemessen im Fleischpreis nieder, aber Bettina Hörstmeier ist fest von dem überzeugt, was sie tut, liebt den Kontakt mit ihren Tieren und ihre Arbeit.

Und doch: &bdquo;Um eine Familie zu ernähren, reicht diese Form der Landwirtschaft kaum noch, es wird immer schwerer, und die Perspektive für die nachfolgenden Generationen fehlt.“ Während sich die Stalltür hinter ihr schließt, schweift ihr Blick über die Hofgebäude und die schneebedeckten Hügel hinauf zu dem Windrad auf der anderen Seite der B1, das auf ihrem Grund und Boden steht. Die Hörstmeiers sind daran beteiligt. &bdquo;Ohne das dort oben kämen wir sicher nicht zurecht“, sagt sie.

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