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vor Gericht steht immer der Mensch im Fokus, der auf der Anklagebank sitzt. Das liegt in der Natur der Sache. Schließlich müssen Richterinnen und Richter herausarbeiten, ob die der Person gemachten Vorwürfe zutreffen. Ist jemand schuldig oder nicht? Und welche Strafe ist angemessen, sollten sich die Anklagepunkte bewahrheiten?

Opfer spielen dagegen im Strafverfahren meist nur eine Nebenrolle, selbst wenn sie als Nebenklägerinnen und Nebenkläger unter den Prozessbeteiligten sitzen. Dabei kommt es in vielen Fällen für die Strafzumessung eben doch darauf an, welche tatsächlichen Konsequenzen die eigentliche Straftaten mit sich bringen. Manche sind lebensverändernd.

Deshalb hört sich beispielsweise die für sexuelle Gewalt an Kindern zuständige Kammer in Detmold die Opfer an, selbst wenn ein vollständiges Geständnis des Täters vorliegt. In solchen Fällen geht es der Kammer dann nicht mehr um Tatdetails, sondern einzig darum, sich einen Eindruck davon zu machen, wie es den Opfern inzwischen geht. Wie läuft der Alltag? Wie fühlen sich die Kinder körperlich, wie psychisch? Manche Konsequenzen lassen sich erst Jahre später absehen.

Opfer wollen gehört werden

Auch wenn ein Urteil an sich streng nach Gesetz und den dazugehörigen Paragrafen erfolgen muss, geht es bei solch schweren Delikten auch um die betroffenen Menschen dahinter. Sie lassen sich nicht einfach ausblenden. Und sie wollen gehört werden.

Das zeigt auch ein Fall, der im Februar vor dem Amtsgericht Lemgo verhandelt wurde. Hier geht es nicht um eine schwere Form körperlicher Übergriffe, sondern um grenzüberschreitendes Verhalten, das die betroffenen Frauen noch heute belastet.

Drei Jahre ist es her, dass ein ehemaliges Vorstandsmitglied zehn Frauen in einem lippischen Sportverein heimlich in der Umkleide nackt gefilmt hat. Der Mann wurde zu einer Geldstrafe verurteilt. Den betroffenen Frauen fällt es auch Jahre später schwer, diesen tiefen Einschnitt in ihre Privatsphäre so einfach abzuschütteln. Er steckt in den Köpfen fest, ist im Alltag präsent. Wie ein Geschwür.

Die Wut bleibt

Die Wut richtet sich dabei nicht nur gegen den Täter selbst. Drei Betroffene haben uns geschildert, wie enttäuscht sie von der juristischen Aufarbeitung dieses Verfahrens sind. Nicht nur das aus Sicht der Betroffenen zu milde Urteil spielt eine Rolle, es geht ihnen vor allem darum, dass keine der Frauen vor Gericht gehört wurde.

Ihre Gedanken und Gefühle dazu machen deutlich, wie wichtig es ist, Opfern eine Stimme zu geben. Nicht bloß vor Gericht, sondern auch als Teil der Gesellschaft. Nur so können wir ein Bewusstsein für Menschen schaffen, die von sexualisierter Gewalt oder übergriffigem Verhalten betroffen sind - und dabei selbst wachsamer werden.

Den Text dazu lesen Sie hier. Gibt es sonst noch ein Thema aus der Kriminal- oder Gerichtsberichterstattung, das Sie bewegt oder über das Sie mehr erfahren möchten? Schreiben Sie gern eine Mail an jkoenig@lz.de. Ich freu mich auf den Austausch mit Ihnen.

Viele Grüße aus der Redaktion

Janet König