Bielefeld. Wenn der Verdacht auf Kindeswohlgefährdung besteht, dann ergreifen Jugendämter vorläufige Schutzmaßnahmen. So auch im aktuellen Fall einer 16-jährigen Mutter aus dem Kreis Gütersloh, bei dem das Jugendamt Bielefeld drei Tage nach der Geburt eingriff. Die Anzahl solcher Maßnahmen ist NRW-weit gestiegen, in OWL allerdings geht sie zurück.
872 Kinder und Jugendliche wurden 2013 in der Region vorläufig aus ihren Familien genommen. Ein Jahr zuvor traf das noch auf 998 Personen zu. Damit weist die Statistik einen Rückgang von rund 13 Prozent aus. In NRW dagegen stieg die Zahl um 6,8 Prozent an. OWL entwickelt sich gegen den Landestrend.
Beispiel Bielefeld: 229-mal zog dort das Jugendamt 2013 die Notbremse. Das sind 53 Fälle weniger als im Jahr zuvor. Anke Berkemeyer, Geschäftsbereichsleiterin erzieherische Hilfen, führt das auf die guten Präventionsmaßnahmen seitens des Jugendamtes zurück. Etwa durch die Fachstelle Kinderschutz und das Netzwerk frühe Hilfen sowie das Patinnenmodell des Deutschen Kinderschutzbundes.
Wenn es zu Schutzmaßnahmen kommt, so Berkemeyer, "dann haben mehrere Fachkräfte einen Fall intensiv bearbeitet und gemeinsam einen solchen Schritt entschieden". Der Weg beginnt oft morgens zwischen 8.30 Uhr und 9.30 Uhr. Da hat jeder Mitarbeiter seine sogenannte Festzeit, in der er telefonisch für die Bevölkerung erreichbar ist. "Manche Anrufe stammen von Mitmenschen, die einen Verdacht äußern", so Berkemeyer. Andere gehen in Richtung Hilfe zur Erziehung.
Inobhutnahme von Kindern als letztes Mittel der Wahl
Wenn der Verdacht auf Kindeswohlgefährdung besteht, müssen sich die Mitarbeiter von Jugendämtern an standardisierte Vorgehensweisen halten. "Der Mitarbeiter prüft bei solch einer Meldung bestimmte Kriterien und geht dann zu einer weiteren Fachkraft. Gemeinsam schätzen sie den Handlungsbedarf ein", erklärt Berkemeyer. Im Zweifelsfall fahre das Team lieber einmal zu viel als zu wenig zu einem Hausbesuch, vor allem wenn es sich um kleine Kinder handelt. "Bei einem Besuch werden unterschiedliche Kriterien betrachtet. Am wichtigsten ist die Sicherstellung von Grundbedürfnissen", so Berkemeyer. Die Einschätzung der Lage sei manchmal schwerer, wenn etwa die Familie dem Jugendamt unbekannt ist. Nach dem Hausbesuch werden Gespräche geführt.
Die Inobhutnahme dient laut Hermann Hutsch, Leiter des Paderborner Kreisjugendamts, dem Schutz der Kinder "und ist für uns das letzte Mittel der Wahl. Denn für die Kinder, egal wie schlimm es in der Familie zugeht, ist die Trennung von den Eltern dramatisch und belastend." Im Kreis Paderborn kam es zu 96 vorläufigen Eingriffen, im Jahr zuvor wurden 93 gezählt. In OWL ist Paderborn die einzige Region, in der sich die Anzahl leicht erhöht hat.
Neben den Schutzmaßnahmen ist auch die Anzahl von Meldungen zur Kindeswohlgefährdung beim Kreisjugendamt gestiegen. Während sich 2012 lediglich 261 Personen an das Jugendamt gewandt haben, waren es 2013 345. "Die Sensibilität in der Bevölkerung ist gestiegen, und das ist gut", sagt Hutsch. Zu schnelles oder zu spätes Eingreifen - Jugendämter stehen immer wieder in der Kritik. Das weiß auch Anke Berkemeyer: "Hinter solchen Entscheidungen liegt eine große Verantwortung." Deswegen sei Transparenz gegenüber Betroffenen wichtig.
Bei einer Inobhutnahme holt das Jugendamt ein Kind oder einen Jugendlichen aus seiner Familie heraus. Die Betroffenen werden in einem Heim oder einer Pflegefamilie mit Bereitschaftsfunktion untergebracht. Die Dauer der Inobhutnahme hängt von mehreren Faktoren ab. Kernfrage ist, ob und wann ein Kind in seine Familie zurückkehren kann oder ob es langfristig woanders untergebracht werden muss. Anlässe können sein: Gewalt, Anzeichen für Misshandlung oder Missbrauch, Vernachlässigung, Überforderung der Eltern, Kriminalität, Suchtprobleme und andere Probleme.