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Tierarzt macht kranke Schildkröte mit Lego-Gehhilfe wieder mobil

Enger. Langsam setzt die kleine Schildkröte ein Bein vor das andere, drückt sich mit aller Kraft vorwärts. Sie reckt und streckt sich, kämpft um jeden Zentimeter. Ihr Bauch schwebt knapp über dem Boden, gestützt auf vier kleine Lego-Räder. Tierarzt Dr. Carsten Plischke aus Enger erklärt, warum er der kranken Schildkröte mit dieser ungewöhnlichen Behandlung geholfen hat.

"Ich habe Ende September gemerkt, dass irgendetwas nicht mit ihr stimmt", sagt Schildkröten-Mutter Iris Peste. "Sie war komplett neben der Spur, kraftlos und hat sich nur in ihrem Terrarium verkrochen." Ein ungewöhnliches Verhalten des zuvor putzmunteren Tiers.

Iris Peste befürchtet Wurmbefall und möchte ihrer Schildkröte helfen. Im Internet stößt sie auf Tierarzt und Reptilienspezialist Dr. Carsten Plischke.

Er bestätigt ihr: Die griechische Landschildkröte hat tatsächlich Würmer und eine Wachstumsstörung, durch die ihre Knochen zu weich geworden sind. Die drei Jahre alte Schildkröte ist schon so geschwächt, dass sie sich selbst nicht mehr auf den Beinen halten kann. Ihre Muskeln drohen zu verkümmern, ihre Beine zu versteifen.

Der Veterinärmediziner hat eine clevere Idee. Er leiht sich Legosteine und die dazu passenden Räder von seinem Sohn und klebt sie der Schildkröte mit einem hautverträglichen Mittel unter den Panzer. Die Behandlung schlägt an. Schon bald kann sich die Schildkröte auf den Rädern fortbewegen. Heute, nur acht Wochen später, kann sie wieder ohne die rollende Gehhilfe leben.

Und sie ist auch wieder bei ihren Schildkröten-Geschwistern Emma und Blanca eingezogen: Bis vor Kurzem musste sie isoliert von den beiden in einem eigenen Terrarium leben. Denn mit den Rollen wäre sie im Sand ihres eigentlichen Zuhauses steckengeblieben.

"Ich bin überglücklich, dass es ihr wieder gut geht", sagt die Bielefelderin Iris Peste. Mittlerweile hat sie auch einen neuen Namen für das Tier gefunden: "Blade", wie Rollerblade.

Was amüsant aussieht, hat jedoch einen ernsten Hintergrund. "Natürlich sieht das putzig aus, ich finde es aber überhaupt nicht lustig, wenn mir andere Leute den Ratschlag geben, doch mal ein Schildkrötenrennen zu veranstalten", empört sich Iris Peste. Denn ohne die Räder hätte die Schildkröte wahrscheinlich nie wieder laufen können.

Für Plischke ist es keine außergewöhnliche Therapie. "Ich habe schon fünf oder sechs Schildkröten vor ,Blade? so behandelt", sagt der 45-Jährige und erklärt: "Für Menschen gibt es Gehhilfen, Rollatoren oder Prothesen. Für Tiere jedoch gibt es keine Firmen, die so etwas herstellen. Es gibt keinen Markt, weil sich durch die Größenunterschiede der Tiere keine einheitlichen Produkte herstellen lassen. Da müssen eben kreative Lösungen her. Jedes Tier braucht eine eigene Behandlung."

Der Tierarzt arbeitete vorher in mehreren Zoos, wo er für verschiedene Tiere Gehhilfen anfertigte. Einem einbeinigen Pinguin zum Beispiel half er einst mit einer Prothese. Aktuell behandelt er Tiere nicht nur in seiner Praxis Widukind in Enger, sondern auch im "Zoo am Meer" in Bremerhaven.

"Blade" kann sich jetzt bis April erholen. Über die weitere Behandlung werden Peste und Plischke erst beraten, wenn die Schildkröte aus dem Winterschlaf erwacht ist. Und für den wird es höchste Zeit.

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