Bünde/Nieheim/Paderborn. Alme, Else und jetzt Emmer: Unfälle mit Gülle, Jauche und Silage verschmutzen immer wieder die Bäche und Flüsse in Ostwestfalen-Lippe. Die Folgen sind für die Natur katastrophal: Oft sterben nicht nur die Fische, sondern auch viele andere Flussbewohner, wie Krebse und Kleinstlebewesen; ein ganzes Ökosystem wird zerstört. Selten sind solche Unfälle nicht. Bundesweit traten im Jahr 2014 sogar sieben Millionen Liter Jauche, Gülle und Silagesickersaft sowie vergleichbare in der Landwirtschaft anfallende Stoffe (JGS) unkontrolliert in die Umwelt aus. Die Ursachen sind laut Statistik klar: In 56 Prozent der Fälle war menschliches Fehlverhalten der Grund, bei 22 Prozent lagen Materialmängel sowie das Versagen von Schutzeinrichtungen vor. In Nordrhein-Westfalen sah es nicht besser aus: Laut Statistischem Landesamt liefen 439.000 Liter aus. Dabei muss es nicht immer zu großen Katastrophen kommen. Viele Unfälle haben kaum Auswirkungen auf die Umwelt. Anders ist das bei den Fällen der Emmer im Kreis Höxter oder der Else im Kreis Herford. Zur Erinnerung: In Bünde waren im vergangenen Frühjahr zwischen 70 und 140 Tonnen einer Silage-Gülle-Mischung aus einer Biogasanlage in die Else geraten und hatten sowohl den Violenbach als auch große Teile der Else verschmutzt. Da der Unfall in Melle passierte, wird er im Kreis Herford nicht als Unfall in den Statistiken geführt. „Wir haben im Jahr etwa drei bis sechs Vorfälle in kleinerem Ausmaß", sagte damals Lothar Adamietz vom Umweltamt des Kreises Herford im Gespräch mit der NW. Statistisch erfasst werden sie erst, wenn eine „im Hinblick auf den Schutz der Gewässer nicht unerheblichen Menge" in die Umwelt gelangt, heißt es im Umweltstatistikgesetz. Gefahr durch Biogasanlagen Die Alme im Kreis Paderborn wurde gleich zweimal durch eine Biogasanlage verschmutzt. Zuletzt 2008, als 500 Kubikmeter Gärsubstrat aus Schweinegülle und Mais in die Umgebung gepumpt worden sind. Auch in Bünde war es eine Biogasanlage, die zur Umweltkatastrophe führte. Besonders prekär an diesen Stoffen ist, dass die darin enthaltene Gülle sich auf dem Boden des Gewässers ansammelt und sich die Silage mit dem Wasser vermischt. Beide Substanzen gelten als sehr sauerstoffzehrend. „Die Mikroorganismen im Wasser sterben ab und die Fische ersticken. Sogar tote Aale haben wir gefunden, die normalerweise sehr widerstandsfähig sind, weil sie weniger Sauerstoff benötigen als andere Fischarten. Es kann Jahre dauern, bis sich das wieder reguliert hat", erklärte Mario Kalakanis vom Bünder Angelverein. Auch die kleineren Vorfälle besorgen Naturschützer und Ämter. Zum Beispiel „das diffuse Eintreten von Stoffen aus landwirtschaftlichen Nutzflächen". Soll heißen: Einige Landwirte düngen falsch, erklärt Olaf Niepagenkemper vom Fischereiverband NRW. Dadurch sickern für das Ökosystem Fluss giftige Stoffe ins Gewässer, die zu langfristigen Schäden führen. Auch die Lagerplätze von Material für die Biogasanlagen sorgen immer wieder für Ärger. „Die Hofflächen sind häufig gepflastert", so Niepagenkemper. Bei starken Regen werden Schadstoffe ins Grundwasser gespült. Noch schlimmer seien Abflussrohre – wie sie an der Emmer zu finden sind. Abwasserpilz zerstört jegliches Leben Dort vermutet der Fischereiverein, dass durch eben diese Rohre Nährstoffe in den Fluss eingeleitet wurden – und sich so der gefährliche Abwasserpilz ausbreiten konnte. Nicht nur, dass die Schadstoffe „im höchsten Maß fischtoxisch sind", wie Niepagenkemper erklärt, im Falle der Emmer ist mit dem Pilz der gesamte Bodenkies überzogen, so dass der Laich der Fische nicht genug Sauerstoff bekommt und abstirbt. Zwar sind die Biogasanlagen nicht das Einzige, aber „im Zuge der zunehmenden Anzahl an Biogasanlagen ein zunehmendes Problem geworden", so Niepagenkemper. Denn viele Anlagen stehen in der Nähe von Gewässern. Immerhin: die neueren Anlagen müssen mit einem Wall umzogen sein, damit im Falle einer Havarie die Silage nicht in die Umwelt gelangt. „Wir haben aber im Fall von Bünde gesehen, dass das noch nicht ausreichend ist." Problematisch sind diese Vorfälle auch für den Gesetzgeber. Dann nämlich, wenn die Oberflächengewässer nicht in einem „guten" oder „sehr guten" ökologischen Zustand sind. Dafür soll die europäische Wasserrahmenrichtlinie (EG-WRRL) sorgen, die im Dezember 2000 in Kraft getreten ist. Sie wurde im Jahr 2002 durch Änderung des Wasserhaushaltsgesetzes in bundesdeutsches Recht umgesetzt, das in allen Bundesländern einheitlich gilt. Die Ziele, wie eben der gute ökologische Zustand von Bächen, Flüssen und Seen, sollten bis 2015 erreicht sein. „Davon sind wir aber weit entfernt", sagt Niepagenkemper. Zumindest in NRW seien gerade einmal acht Prozent der Gewässer in einem guten Zustand. Eine Verlängerung gibt es bis zum Jahr 2027, spätestens dann greifen aber Sanktionen. Die ist auch nötig: Die Else wird etwa sieben Jahre brauchen, bis sie sich wieder vollständig erholt hat. Bei der Emmer schätzen die Experten derzeit fünf Jahre. Neben der zerstörten Ökologie sind auch Steuergelder verloren, die für die Renaturierung von Flüssen ausgegeben wurden. Etwa 80 Millionen Euro investiert NRW jährlich in die Verbesserung der Gewässerstrukturen.