Bielefeld/Gütersloh. 2050 Lipper, gut 2250 Bielefelder und rund 1300 Menschen aus dem Kreis Gütersloh haben seit 1992 bei der Bundesbehörde für die Stasi-Unterlagen (BStU) in Berlin einen Antrag auf Akteneinsicht gestellt. Das teilte die Behörde auf Nachfrage dieser Zeitung mit.
Eine Statistik zu den Gründen der Anträge auf Akteneinsicht gebe es bei der BStU generell zwar nicht. Aus der Erfahrung heraus sei die Vorgeschichte von Menschen, die in ihre mögliche Stasi-Akte schauen wollen, aber vielfältig, sagt Elmar Kramer, stellvertretender Pressesprecher der Behörde.
„Unter den Antragstellern befinden sich zum Beispiel oft ehemalige DDR-Bürger, die vor dem Mauerfall in die Bundesrepublik geflüchtet sind. Aber auch Menschen, die einen Bezug zur DDR hatten – etwa durch verwandtschaftliche Beziehungen oder grenzübergreifende Städtepartnerschaften“, sagt Kramer. „Wirtschaft und Forschungseinrichtungen sowie Universitäten waren nicht selten Ziel von Industrie- und Wirtschaftsspionage“, so Kramer.
Die Stasi nutzte für ihre Zwecke die vielen familiären Verbindungen zwischen Ost- und Westdeutschen. So konnten im Laufe der Zeit immer wieder Informanten und Spione rekrutiert werden. Bei Verwandtenbesuchen seien zum Beispiel West-Bürger von der Stasi ausspioniert worden. „So versuchte die Staatssicherheit auch inoffizielle Mitarbeiter zu gewinnen“, so Kramer. Hinzu kamen DDR-Spione, die in die Bundesrepublik eingeschleust wurden.
Dass der lange Arm der Stasi auch bis nach Gütersloh reichte, zeigt nicht zuletzt der Fall des Inoffiziellen Mitarbeiters „Amadeus“, ein freiberuflicher Musiklehrer, der sich aus eigenen Stücken der Stasi angeboten hatte.
Er besaß Kontakte zur britischen Rheinarmee und war dadurch in der Lage, der Stasi über britisches Militärpersonal im Raum Gütersloh und Bielefeld, aber auch über die britische Spionageabwehr und sogar über deutsche Verfassungsschutzmitarbeiter zu berichten.
Auch der Fall eines jungen Mannes aus Oerlinghausen zeigt das Agieren der Stasi in der Region rund um Bielefeld. Der heutige Rentner will seinen Namen in diesem Zusammenhang nicht nennen, sagt aber: „Meine damalige Freundin und ich wurden 1973 in Karl-Marx-Stadt, dem heutigen Chemnitz, von der Stasi angesprochen. Wir waren damals zu einem Besuch bei Verwandten in der Stadt. Das MfS wollte uns als West-IM gewinnen. Meine Freundin sollte an der Universität in Bielefeld unter den Studenten ein IM-Netz aufbauen. Die Stasi wollte mit unserer Hilfe Kontakte zur West-Intelligenz spinnen“, erinnert sich der Mann aus Oerlinghausen.
Als der Weg in die Illegalität führte, sprang das junge Paar ab. „Wir sollten falsche Pässe bekommen, mit denen wir von den BRD-Behörden unerkannt jederzeit in die DDR einreisen konnten. Das haben wir nicht mitgemacht, sind frühzeitig abgesprungen – und haben letztlich auch niemals eine Information an die Stasi weitergegeben.“
Wie akribisch die Staatssicherheit damals alles dokumentiert hat, zeigt alleine schon die Akte dieses kurzen Anwerbeversuchs. Sie umfasst 110 Seiten.
Die Zahl der Anträge aus Lippe an die Bundesbehörde für die Stasi-Unterlagen aus den einzelnen Kommunen: Augustdorf 42, Bad Salzuflen 385, Barntrup 48, Blomberg 77, Detmold 476, Dörentrup 33, Extertal 45, Horn-Bad Meinberg 69, Kalletal 90, Lage 195, Lemgo 230, Leopoldshöhe 75, Lügde 37, Oerlinghausen 111, Schieder-Schwalenberg 29, Schlangen 108.