Düsseldorf. Die Debatte um das Turbo-Abitur an Gymnasien in NRW geht auch in den Sommerferien weiter. Mit der FDP bereitet die erste Partei, die bisher zu den Befürwortern des achtjährigen Gymnasiums (G8) zählte, einen schulpolitischen Kurswechsel vor. Die Gymnasien sollen in Zukunft selbst entscheiden können, ob sie zum alten Abschlussmodus nach neun Jahren (G9) zurückkehren.
Bis auf die Piratenpartei lehnen die anderen Parteien im NRW-Landtag, SPD, Grüne und CDU, eine Rückkehr zum G9 strikt ab. Der Generalsekretär der FDP, Johannes Vogel, empfiehlt dem Landesvorstand, die Wahlfreiheit in den Entwurf für das Landtagswahlprogramm aufzunehmen. Die letzte Entscheidung trifft ein Parteitag im November. Für eine Zwangsrückkehr werde sich die FDP aber nicht einsetzen, ergänzt die Schulexpertin der Liberalen in NRW, Yvonne Gebauer. Die Landtagsabgeordnete kenne viele Schulen, an denen das verkürzte Abitur gut umgesetzt werde. Gleichwohl nehme die Partei wachsende Unruhe an vielen Gymnasien wahr. „Deshalb können wir uns mehr Autonomie vorstellen."
Der Elterninitiative „G9 jetzt in NRW" macht der Kurswechsel der FDP Hoffnung. Die Initiative strebt ein Volksbegehren für die Rückkehr zum G9 an und hatte bereits 2015 den Landtag mit 100.000 Unterschriften für eine Volksinitiative dazu gezwungen, sich erneut mit dem G9 zu befassen. Allerdings wurde der Antrag abgelehnt.
Viele Eltern lehnen das Konzept G8 ab
Für die Umstellung der Schulzeit engagiert sich auch die Landeselternschaft der Gymnasien in NRW. Im April hat eine Befragung der Landeselternschaft, die bisher zu den G8-Unterstützern zählte, für Aufsehen gesorgt. Rund 80 Prozent der Eltern sprachen sich für eine G9-Rückkehr aus.
Allerdings stößt der Vorschlag der FDP auch auf Kritik. Die großen Lehrergewerkschaften in NRW lehnen den Vorschlag ab. „Das Modell ist nicht durchdacht", moniert die Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) in NRW, Dorothea Schäfer. Die GEW fordert ein neues Konzept für das G8. „Um die Durchlässigkeit des Schulsystems zu gewährleisten, sollte die Sekundarstufe I wieder auf sechs Jahre verlängert werden und eine variable Oberstufe geschaffen werden."
Der Verband Bildung und Erziehung (VBE) in NRW warnt davor, dass sich bei einer Rückkehr Gymnasien kaum noch von Gesamtschulen unterscheiden. „Das Gymnasium ist heute schon die heimliche Gesamtschule. 40 bis 50 Prozent der Schüler eines Jahrgangs besuchen je nach Region diese Schulform. Eltern und Kinder behandeln das Gymnasium damit zwar als heimliche Gesamtschule, die Schulform bietet jedoch nicht die Fördermöglichkeiten der Gesamtschule", erklärt VBE-Vorsitzender Udo Beckmann. „Dass das zu Unzufriedenheit führt, wundert mich nicht."
Die Entwicklung hin zu Gesamtschulen erster und zweiter Klasse habe steigende Ungerechtigkeit zur Folge, denn gymnasiale Förderung finde oft in Nachhilfeschulen statt. Der VBE fordert daher eine Förderung der Schulen des längeren gemeinsamen Lernens.