NRW-Landesregierung will das Abitur nach neun Jahren wieder einführen

Bielefeld. Alles wieder auf Anfang. Das Abitur nach neun Jahren soll in NRW ab dem Schuljahr 2019/2020 wieder zum Regelfall werden, dazu haben sich CDU und FDP innerhalb ihrer Koalitionsverhandlungen entschlossen. Ein endgültiges Aus für das &bdquo;Turbo-Abi" heißt das nicht, denn Schulen dürfen auf eigenen Wunsch bei G8 bleiben. Die Ausnahmeregelung ist einer der Gründe, warum G9-Befürworter den schulpolitischen Richtungswechsel mit Vorsicht genießen. Zu viele Fragen seien noch ungeklärt.

Kritikern fehlt es bei der nordrhein-westfälischen Entscheidung für G9 an Konsequenz. &bdquo;Wenn jede Schule die Wahl hat, kann das nur für Unmut sorgen", sagt Dieter Cohen, Vorstandmitglied der Landeselternschaft Gymnasien in NRW. Der Kurswechsel sei zwar lang erhofft und damit generell zufriedenstellend, dennoch hätte man sich eine klarere Linie wie in Bayern gewünscht. Dort wird G9 bereits im Schuljahr 2018/2019 flächendeckend eingeführt, Schüler können das &bdquo;Turbo-Abi" jedoch weiter durch den Besuch von Zusatzkursen absolvieren. Gleiches gilt für Niedersachsen, das schon vor zwei Jahren zu G9 zurückgekehrt ist. Auch dort können leistungsstarke Schüler das Abitur freiwillig nach acht Jahren erreichen.

Für die Möglichkeit, sich individuell für den richtigen Zeitpunkt des Abiturs entscheiden zu können, spricht sich auch die Landesschülervertretung NRW aus. &bdquo;Wir wollen ein flexibles Modell", sagt Vorstandsmitglied Daniel Rosenkaymer. Nicht leistungsstärkere Gymnasien müssten geschaffen, sondern der Schüler wieder in den Mittelpunkt gestellt werden. Daher sei eine Schule für alle das Ziel. &bdquo;Wenn sich jede ihre Form aussuchen kann, endet das in einem Kuddelmuddel", fürchtet der 17-jährige Oberstufenschüler aus Solingen.

Kurz nach dem schulpolitischen Richtungswechsel schwingt bei Schüler- und Elternvertretungen daher nicht nur grenzenlose Erleichterung, sondern auch etwas Skepsis mit. Klar sei noch nicht, ob wirklich alle Schüler von der Umstellung profitieren könnten – oder die neue Regelung nur für neu eingeschulte Fünftklässler in Kraft trete. Daher soll auch das laufende Volksbegehren &bdquo;G9-jetzt" nicht vorschnell abgebrochen werden.

&bdquo;Wir müssen erst einmal abwarten, was genau passiert", sagt Marcus Hohenstein, Vertrauensperson des Volksbegehrens. 500.000 Unterschriften hätten die Unterstützer bisher gesammelt, damit sei gut die Hälfte der geforderten Unterschriften zusammengekommen. Aus Sicht der Initiatoren des Volksbegehrens könne sich ein vorschneller Abbruch der Aktion negativ auf das Gesamtziel auswirken.

Kritisiert werden vor allem die neu formulierten Koalitionsziele, nach denen zusätzliche Stellen für die Wiedereinführung von G9 gebraucht würden. &bdquo;Das klingt wie eine Drohung", meint Hohenstein. Schließlich sei dieses Argument schon bei der Einführung von G8 verbraucht worden. Damals hätte man mehr Stellen benötigt, um den zusätzlichen Nachmittagsunterricht überhaupt besetzen zu können. Für die Initiatoren sei nun wichtig, dass die Politik klare Ziele formuliert.

Dieser Meinung ist auch Eiko Jürgens, Professor für Schulpädagogik an der Universität Bielefeld. &bdquo;Man darf nicht einfach zum Alten zurückkehren, sondern muss generell über Bildungsreformen nachdenken." Es müsse mehr Wert darauf gelegt werden, was im Unterricht passiert und wie die Zeit bestmöglich zum Lernen genutzt werden kann. Diese Problematik hätte es im deutschen Schulsystem auch schon unter G9 gegeben – mit G8 hätte sich der Konflikt nur weiter verdichtet. Die Entscheidung für ein Abitur nach neun Jahren sieht der Erziehungswissenschaftler als Schritt in die richtige Richtung.

&bdquo;Lernen braucht Zeit", sagt Jürgens. Dabei geht es nicht nur um die effektive Lernzeit in Unterrichtsstunden, sondern auch um den persönlichen Reifungsprozess der Schüler – Erfahrungen sammeln, die Freizeit selbst gestalten, eigene Moralvorstellungen entwickeln. Und auch wenn sich Kinder durchaus auf ein kürzeres Schulsystem einstellen könnten, bleibe immer die Frage, welchen Bildungsauftrag man vermitteln möchte. &bdquo;Jetzt hat die Vernunft gesiegt", sagt Jürgens.

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