Beliebt als Diät-Spritze und deshalb aus: Bünderin kommt nicht an ihr Diabetes-Medikament

Bünde/Kirchlengern/Rödinghausen. &bdquo;Im Augenblick ist wirklich nichts zu kriegen“, sagt Annette Aßbrock. Sie ist Diabetikerin und hatte zuletzt mehrere Apotheken abklappern müssen, um an ihr Medikament zu kommen. Konkret geht es um das Diabetes-Medikament &bdquo;Trulicity“. Der enthaltene Wirkstoff wird bei Diabetes-Typ-2 verschrieben, um den Blutzuckerspiegel zu regulieren.

Auch online hat sie versucht, an den Wirkstoff zu gelangen, &bdquo;obwohl ich lieber in eine Apotheke gehe.“ Aber auch dort hieß es nur: &bdquo;Derzeit nicht lieferbar.“ Immerhin eine kleine Hilfe gab es: &bdquo;Ein Apotheker in Lübbecke gab noch einzelne Spritzen raus, sodass man wenigstens für eine kürzere Zeit überbrücken kann“, sagt sie.

Obwohl es schon im vergangenen Jahr bundesweit zu Engpässen gekommen ist, ist Aßbrock nun zum ersten Mal unmittelbar betroffen. &bdquo;Eine Bekannte war sogar in 15 Apotheken im Umkreis. Aber auch da war nichts zu machen“, sagt sie.

&bdquo;Off-Label-Use“ ist einer der Gründe für den Mangel

Der Grund für den Mangel des Medikaments sei laut kassenärztlicher Bundesvereinigung der weltweit gestiegene Bedarf, der, zumindest in Teilen auf einen sogenannten &bdquo;Off-Label-Use“, also auf eine Anwendung, die nicht dem ursprünglichen Zweck entspricht, zurückzuführen sei.

Einige Menschen verwenden den Wirkstoff neben der Behandlung von Diabetes nämlich zur Gewichtsreduktion, da seine Wirkung der eines bekannten Medikaments gegen Übergewicht entspreche. Dieses sei unter dem Namen &bdquo;Wegovy“ auf dem deutschen Markt erhältlich, allerdings in einer anderen Wirkstärke und zu einem deutlich höheren Preis. Außerdem falle &bdquo;Wegovy“ laut Bundesvereinigung nicht unter die Kassenleistungen, muss also immer selbst bezahlt werden.

Der Bünder Apotheker Alec Schade empfindet die aktuelle Situation als &bdquo;schrecklich“. Den Grund für die Verbreitung des Trends, bei dem die Diabetes-Spritzen zur Gewichtsabnahme zweckentfremdet werden, vermutet er in den sozialen Netzwerken. Über Instagram, TikTok und Co. sei der &bdquo;vorteilhafte“ Nebeneffekt des Wirkstoffs bekannt geworden, &bdquo;das hat dann schnell große Wellen geschlagen“, sagt Schade.

Enorme Mehraufwände für Ärzte und Apotheker

Darüber hinaus lasse sich als Grund für die Knappheit laut Schade mutmaßen, dass die Hersteller der Medikamente beim Verkauf in andere Länder deutlich lukrativere Geschäfte machen als bei der Auslieferung nach Deutschland.

Die Problematiken, die aus den Lieferengpässen und auch aus dem &bdquo;Off-Label-Use“ des Diabetesmedikaments für Apotheker und Patienten resultieren, empfindet er als überaus aufwendig und umständlich. &bdquo;In Deutschland sind Medikamente wie &bdquo;Trulicity“ verschreibungspflichtig. Diabetiker kriegen sie auf Kassenrezept, andere Personen lassen sie sich auf Privatrezept verordnen. In den USA ist der Wirkstoff zum Beispiel überhaupt nicht rezeptpflichtig.“

Wenn die Wirkstoffe in den Apotheken nicht mehr verfügbar sind, müssen betroffene Diabetiker umgestellt werden, sagt Schade. &bdquo;Entweder auf andere Stärken, andere Wirkstoffe oder wieder zurück zu Antidiabetika in Tablettenform. Das ist immer ein riesiger Aufwand wegen der Kommunikation mit Ärzten, der Anforderung eines neuen Rezepts und der Umstellung und Aufklärung der Patienten.“

&bdquo;Missbrauch von Medikamenten ist immer schlecht“

Von der Verwendung von Diabetesmedikamenten zur Gewichtsreduktion hält Schade daher wenig. &bdquo;Einige finden es einfacher, sich zu spritzen, anstatt Sport zu treiben oder weniger zu essen. Das ist aber nicht ganz so einfach, denn wenn man mit dem Mittel startet, muss man eigentlich auch dran bleiben und das ist aufgrund der Lieferengpässe fast unmöglich.“

Den enormen Aufwand, der mit der Knappheit einhergeht, bestätigt auch Annette Hempen, Geschäftsführerin des Bünder Ärztenetzwerks MuM. &bdquo;Missbrauch von Medikamenten ist immer schlecht“, und eine falsche Verordnung sorge sowohl bei Ärzten, die Diabetes-Patienten behandeln, als auch bei Apotheken aufgrund der Beschaffungsprobleme für sehr hohe Mehraufwände, sagt sie.

Auch Hempen unterscheidet deutlich zwischen dem Medikament zur Gewichtsreduktion &bdquo;Wegovy“ und dem Diabetes-Mittel &bdquo;Trulicity“, das Annette Aßbrock in keiner Apotheke finden konnte. &bdquo;Die Ärzte bei uns im Ärztenetzwerk dürfen diese Mittel nicht für fremde Zwecke auf Privatrezept ausstellen“, sagt sie. In diesem Fall unterliegen die Praxen strengen Vorgaben vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte.

Situation in Bünder Apotheken weiter schwierig

Hempen warnt aber davor, Medikamente zur Gewichtsreduktion grundsätzlich zu verteufeln. &bdquo;Es gibt viele Menschen, bei denen diese Mittel enorme Erfolge erzielen und die unter ihrer Adipositas sehr leiden“, sagt sie. Hempen warnt außerdem vor den Nebenwirkungen, die sich etwa in starken Verdauungsbeschwerden äußern können. &bdquo;Für die letzten fünf Kilo sind Wirkstoffe zur Behandlung von Adipositas, insbesondere aufgrund der Nebenwirkungen – etwa starke Verdauungsprobleme – nicht geeignet.“

Auch, wenn Aßbrock zufällig fündig wurde, bleibt die Sorge, auch zukünftig nicht an den Wirkstoff zu kommen. Apotheker Schade schätzt die Lage in den Apotheken weiterhin als schwierig ein. &bdquo;Vermutlich haben alle Wartelisten und irgendwann sind die Apotheken eben abgegrast.“

Nachfragen der NW in weiteren Apotheken im Bünder Land bestätigen das. Bei allen gilt &bdquo;Trulicity“ als nicht lieferbar, alle geben das Medikament immer wieder zur Nachorderung auf und erhalten gelegentlich geringe Mengen, wissen jedoch nie, wann. Eine der Apotheken habe das Führen einer Warteliste aufgrund des enormen Aufwands aufgegeben. Wenn gerade etwas vom Wirkstoff vorhanden sei, habe man eben Glück, sagt die Apothekerin.

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