Benteler-Topmanager: „Investieren dreistelligen Millionenbetrag in grüne Transformation“

Mit grünem Stahl will Benteler aus Paderborn Abnehmer weltweit beliefern. Hohe Energiekosten, US-Strafzölle und billiger Stahl aus China gefährden das Geschäft. Thomas Michels ist Chief Operating Officer von Benteler Steel/Tube und hat die Leitung von Paderborn aus im Blick.

Herr Michels, Benteler gibt es seit 1923 in Paderborn. Warum ist Benteler Steel/Tube auch mit &bdquo;Made in Paderborn“ wichtig für die deutsche Wirtschaft und darüber hinaus?

Thomas Michels: Weil wir durch unsere Produkte beispielsweise Windenergie möglich machen. Dafür sorgen, dass Erntemaschinen effizient arbeiten. Einen unverzichtbaren Beitrag zur Mobilität leisten. Unsere Produkte sieht man selten, sie sind aber essenziell für zahlreiche Branchen – von der Automobilindustrie bis zur Energiewirtschaft. Die nahtlose Rohrindustrie hat in Deutschland und in Europa eine lange Tradition und große Bedeutung. Viele Unternehmen sind vom Markt verschwunden. Wir zeigen, wie moderne, nachhaltige Industrieproduktion aussieht: In unserem Elektro-Stahlwerk in Lingen produzieren wir Stahl aus recyceltem Schrott – ein nachhaltiger Beitrag zur Kreislaufwirtschaft. Mit dem Stahl versorgen wir vor allem unsere Walzwerke in Paderborn und Dinslaken, aber auch Kunden in Europa und den USA. Benteler ist damit ein sehr wichtiger Player in der Stahlindustrie.

Steel und Tube heißt übersetzt Stahl und Rohr. In welchen Produkten stecken denn eigentlich die Rohre, die Beschäftigte auch in Paderborn fertigen?

Sie finden sie in zahlreichen Produkten. In nahezu jedem Auto weltweit ist beispielsweise ein Airbagrohr, das in Paderborn hergestellt wurde. Genauso in vielen Bau- und Landwirtschaftsmaschinen, in Kränen, Kraftwerken und Leitungen.

Also gibt es eine Verbindung von Paderborn in die Welt?

Absolut. Wir stellen zwar keine Autos her, auf denen Benteler steht. Aber in all den genannten Endprodukten stecken unsere Teile. Wir sind eher ein Hidden Champion, weil die Produkte für Endkunden nicht fühl- oder sichtbar sind.

Macht das stolz in Zeiten, in denen andere Unternehmen mit KI oder Elektronik Geld verdienen?

Wir sind stolz darauf. Wir haben viele Mitarbeitende, die in der zweiten, dritten Generation in Paderborn, in Dinslaken oder Lingen tätig sind. Die Verbundenheit zum Unternehmen, von der Führungsetage bis zu den Mitarbeitenden, ist da. Natürlich gehen aber auch wir mit der Zeit und setzen unter anderem auf Künstliche Intelligenz, um unsere Produktionsprozesse effizienter und nachhaltiger zu gestalten. So verbinden wir traditionelle Industriekompetenz mit modernster Technologie.

Benteler brennt derzeit ein Thema unter den Fingernägeln: deutlich gestiegene Energiekosten für Gas und Strom. Allein die Standorte Paderborn, Schloß Neuhaus und Dinslaken verbrauchen jährlich 460 Gigawattstunden Gas – so viel wie sonst 30.000 Vier-Personen-Haushalte in einem Jahr. Welche Sorge hat Benteler?

Die Gesellschaft und die Politik wollen grüne Energie. Als Unternehmen wollen wir CO2-freie Energie einsetzen. Allerdings fällt die Transformation mit ihren riesigen Investitionen in eine Zeit, in der durch den Ukraine-Krieg Gas knapp und Energie teuer geworden ist. Die Gas- und Stromkosten sind ungefähr zweieinhalb mal so teuer wie vor der Krise. Dazu kommt, dass sich die Netzentgelte durch den Umbau zur grünen Energie verdoppelt haben. Das ist ein ungesunder Mix für die Grundstoffindustrie, also Stahl, Zement und Chemie. Sie braucht schlichtweg sehr viel Energie. Auch für Benteler ist das ein großes Thema im internationalen Wettbewerb.

Benteler spricht bei der grünen Transformation von einer Mammut-Aufgabe. Das kostet auch viel Geld. Für die Rohrproduktion soll es bis 2045 die CO2-Neutralität geben. Ist das Ziel zu halten?

Bei Steel/Tube tun wir definitiv alles, um unseren Beitrag zu leisten . Wir haben einen großen Vorteil mit unserem Elektro-Stahlwerk in Lingen. Dort können wir grünen Strom einsetzen im Gegensatz zu Hochofen-Stahlwerken mit Koks, Kohle oder Gas. Das heißt, dass der Stahl aus Lingen schon heute um bis zu 85 Prozent weniger CO2-Emissionen verursacht als Stahl aus einem Hochofen. Aber die elektrische Energie und die Netzentgelte sind extrem teuer geworden. Damit gerät die grüne Transformation aus Kostengründen ins Straucheln. Die nächste Bundesregierung, die Gesellschaft und die Unternehmen müssen einen ehrlichen Fahrplan aufstellen, für das, was nötig ist. Auch mit notwendigen Förderungen. Das wird eine Mammutaufgabe.

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Schauen wir auf den Strom. Was muss jetzt passieren aus Ihrer Sicht?

Wir wollen auf dem Weg zur grünen Transformation nicht die heimische Industrie verlieren. Das würde bedeuten, dass der Stahl morgen aus China kommt. Dann hätten wir für das Klima nichts gewonnen. Das hat die Politik erkannt. Insbesondere für die Zeit der Transformation brauchen wir günstige Energie- und Industriestrompreise.

Hätte man aus Sicht von Benteler eigentlich die Atomkraftwerke länger am Netz behalten sollen?

Wir brauchen schnell laufende Kraftwerke. In Zeiten der Dunkelflaute, die wir im Herbst deutlich beobachtet haben, sind das Grundlastkraftwerke, die sehr schnell ans Netz gehen können. Das sind eher Gaskraftwerke als Kohle- oder Atomkraftwerke. Die sind nicht so schnell steuerbar.

Teure Energie, internationaler Wettbewerb. Als Unternehmen muss Benteler eine Strategie haben, in die Zukunft denken. Gibt es da eigentlich ein Szenario, bei dem Sie befürchten, dass das alles nicht mehr klappt?

Als Benteler Steel/Tube müssen wir mittlere, dreistellige Millionenbeträge investieren, um grün zu werden. Das wollen wir machen. Aber wir benötigen dafür Planungssicherheit, und wir müssen schauen, wo wir am Ende landen. Ein Ziel kann sein, dass Wasserstoff Erdgas ersetzt. Wasserstoff ist aber schon bei der Erzeugung mit Kosten von mindestens neun bis zehn Euro das Kilogramm zweieinhalb mal so teuer wie Erdgas. Zudem kann Wasserstoff nicht zu 100 Prozent in Deutschland hergestellt werden. Wir haben nicht genug Strom aus regenerativen Energiequellen. Damit wird Wasserstoff aus Regionen kommen, wo deutlich mehr Strom aus Sonne und Wind zu günstigeren Preisen erzeugt werden kann. Es gibt also noch viele Fallstricke bei der Transformation.

Schauen wir auf die Weltwirtschaft. US-Präsident Donald Trump will sein Land mit Strafzöllen auf Stahl und Aluminium schützen. Besorgt Sie das?

Uns besorgt dieser Protektionismus wegen der unberechenbaren Folgen sehr. Besonders für Deutschland als Exportnation ist das ein großes Problem. Wenn die USA Stahlimporte stoppen, strömen chinesische Überproduktionen wieder nach Europa. Dann werden wir in Europa von beiden Seiten in die Zange genommen.

Benteler hat Standorte in den USA, wie in Shreveport im Bundesstaat Louisiana. Dort hat das Unternehmen 2024 noch 20 Millionen Euro in das Werk investiert. Ist das jetzt ein Vorteil, mitten im USA-Markt zu sein?

Aus unserer Sicht ist es im Moment ein Vorteil, dass wir in den USA sind, wir dort im Markt produzieren können und die Strafzölle nicht haben. Ein Nachteil ist, dass wir aus unseren Werken in Dinslaken und Lingen in die USA liefern. Das wird natürlich deutlich schwieriger.

Sie sind gerade in Shreveport. Ist die US-Politik Thema bei den Benteler-Kollegen dort?

Ja, aber auch die Amerikaner haben berechtigterweise ihre Sichtweise auf ihre Probleme. Die USA sind ein Land mit einem großen Handelsdefizit. Andererseits importieren die USA jedes Jahr 25 Millionen Tonnen Stahl. Und diese Menge wird jetzt 25 Prozent teurer. Letztlich zahlt der Endverbraucher in den USA die Kosten.

Kommen wir zurück nach OWL. Teil der Benteler-Strategie könnte sein: Läuft das Unternehmen, geht es auch den Beschäftigten gut.

Und auch der Region. Hier haben wir 5.000 Beschäftigte. Zudem haben wir nahezu 300 Auszubildende und dual Studierende in OWL. Und mit deren Familien sowie den Zulieferbetrieben ist die Benteler-Gruppe ein starker Faktor. Sicher ist: Wenn die Industrie verschwindet, dann verschwinden tarifgebundene und gut bezahlte Arbeitsplätze. Das müssen wir vermeiden. Denn wir leben von diesem Wohlstand, den industrielle Arbeitsplätze erzeugen.

Die Automobilindustrie in der Krise, die Welt im Umbruch und die Energiekosten: Sehen Sie eine Gefahr für Arbeitsplätze auch in Paderborn?

Aktuell sehe ich das nicht. Aber die nächste Bundesregierung muss mit uns allen gemeinsam ein klares Handlungskonzept haben, wie wir industrielle Arbeitsplätze in Deutschland sichern wollen. Die nächsten Jahre sind entscheidend.

Zuletzt hat es im Tarifstreit in der Metall- und Elektroindustrie auch Warnstreiks bei Benteler gegeben. Müssen Beschäftigte zur Sicherung der Arbeitsplätze Abstriche beim Lohn machen?

Es geht mehr um die Arbeitszeiten in der Industrie. In Deutschland haben wir im Vergleich zu anderen großen Volkswirtschaften die niedrigsten Arbeitszeiten mit 1.290 Stunden pro Jahr. Darüber hinaus muss man in die Zukunft denken, gerade in Bezug auf den demografischen Wandel. Uns werden Fachkräfte fehlen.

Aber die Höhe der Löhne bleibt ein Thema?

Solange wir die Produktivität steigern, wir also immer besser werden, sind wir auch in der Lage, höhere Löhne zu zahlen. Was wir aber seit Corona sehen, ist, dass die Produktivität seitdem nicht mehr steigt, dafür aber die Arbeitskosten. Das macht Druck bei der Wettbewerbsfähigkeit, zusätzlich zu den hohen Energiekosten.

Zum Schluss geht’s zum Nahwärmenetz in Schloß Neuhaus. Darin speist Benteler Abwärme aus dem gasbetriebenen Werk. Wenn Gas aber teurer wird: Ist dann das Wärmenetz in Gefahr?

Solange wir produzieren, fällt die Abwärme an. Und wir nutzen sie im Betrieb sowie für die Wärme im Schloss, in der Schule, im Schwimmbad und in der Behörde. Da besteht keine Gefahr.

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