Bielefelder Historiker: Drei AfD-Strömungen wachsen im Westen zusammen

Bielefeld. Als die AfD 2017 erstmals in den Bundestag einzog, sprachen Historikerinnen und Historiker von einer &bdquo;Zäsur“. Acht Jahre später ist die Partei zweitstärkste Kraft im Parlament - und erfreut sich auch im Westen stark steigender Zustimmungswerte. Vier Historiker, die damals ein Buch zum Erstarken der AfD verfasst hatten, versuchen nach der jüngsten Bundestagswahl erste Rückschlüsse zu ziehen.

Norbert Frei (Uni Jena), Maik Tändler (Uni Jena) sowie Franka Maubach und Christina Morina (beide Uni Bielefeld) hatten sich in dem 2019 veröffentlichten Buch &bdquo;Zur rechten Zeit“ aus zeithistorischer Perspektive mit dem Aufstieg der AfD befasst. Bis heute ist viel passiert. Man könne inzwischen von einer Art &bdquo;Zusammenwachsen“ der autoritären, nationalistischen und völkischen Überzeugungen der AfD sprechen, sagt Christina Morina, die seit 2019 Professorin für Geschichte an der Uni Bielefeld ist. &bdquo;Wir können heute verschärfen, was wir damals befürchtet haben.“ Zwar handle es sich bei der AfD noch immer um eine &bdquo;ostdeutsche Spezifik“, doch der Prozess des Zusammenwachsens schreite nun auch in Westdeutschland voran, ergänzt Franke Maubach.

Morina spricht von niederschmetternden Entwicklungen Der Osten der Republik ist nach der jüngsten Bundestagswahl &bdquo;blau“ gefärbt - also in AfD-Hand. Dass dort in einigen Regionen bis zu 40 Prozent der Menschen AfD gewählt hätten, sei eine &bdquo;niederschmetternde und absolut besorgniserregende &bdquo;Entwicklung“, meint Morina. Im Gespräch der drei Historikerinnen und Historiker am Tag nach der Bundestagswahl wird deutlich, dass die Experten mit der Frage hadern, wie die &bdquo;Zeithistorie“ mit dem Phänomen AfD umgehen soll.

Frei, der bundesweit einen Ruf als renommierter Historiker und Publizist hat, hält es für &bdquo;Teil des Problems“, dass die AfD inzwischen normalisiert werde. &bdquo;Was heißt eigentlich ’in Teilen’ rechtsextrem? Wenn es sich um eine Partei handelt, die sich von ihren wüstesten Propagandisten in keinster Weise distanziert - und diese artikulieren lässt, was immer sie mögen: Wieso soll ich die dann als ’in Teilen’ rechtsextrem bezeichnen?“ Ziel der AfD sei es ja gerade, dass kein Unterschied mehr gemacht werde zwischen einer demokratischen und einer undemokratischen Partei, warnt Frei.

Morina hält es derweil für einen gefährlichen &bdquo;Dienst an der AfD“, jetzt &bdquo;mit 2029“ zu winken - und das Gefühl zu suggerieren, die Partei sei auf dem Weg zur Mehrheit. &bdquo;Das halte ich für absolut falsch. Geschichte ist offen. Wir dürfen keine Szenarien an die Wand malen, die noch nicht da sind“, betont die Historikerin mit Blick auf die nächste reguläre Bundestagswahl im Jahr 2029.

Zeithistoriker warnen vor Entwicklungen in den USA Prioritäre Aufgabe der Zeit- und Medienhistoriker ist es in den Augen Freis nun nicht mehr vordergründig, die AfD mit anderen ähnlichen Strömungen in Europa zu vergleichen. In den Blick nehmen müsse man stattdessen unbedingt das &bdquo;transnationale Phänomen“ einer sich &bdquo;dramatisch verändernden“ - von wenigen Oligarchen - beeinflusste Kommunikation, die über Ländergrenzen hinweg Wahlen beeinflussen könne. In den USA gäbe es mit Blick auf Tech-Milliardäre wie Elon Musk &bdquo;alarmierendste Entwicklungen“, sagt Frei. Genau diese Kräfte sympathisieren neuerdings offen mit der AfD.

Als Beispiel führt Frei die umstrittene Rede von US-Vize J.D. Vance auf der Münchner Sicherheitskonferenz an. Was der Vize-Präsident der USA dort gefordert habe, sei im Grunde genommen eine &bdquo;Renazifizierung der Bundesrepublik im Gewande der AfD“. &bdquo;So hart kann man es sagen“, meint Frei. Deutschland lebe aufgrund der jüngsten Entwicklungen in den USA in einer &bdquo;dramatischen Zäsur“. Ausgerechnet Friedrich Merz als &bdquo;Vertreter der Adenauer-CDU“ habe sich deshalb zuletzt am stärksten von den USA distanziert, so Frei. &bdquo;Merz hat die größte Desillusionierung gezeigt angesichts dessen, was jetzt in den USA der Fall ist.“

Morina fordert &bdquo;unendlich“ ernstzunehmen: &bdquo;Europa ist der einzige Ort auf der Welt, wo systematisch versucht wird, die sozialen Medien zu regulieren. Das soll nun systematisch verhindert und zerstört werden aus den USA.“

Die neue Form der Kommunikation hat in den Augen Freis wiederum Auswirkungen auf den politischen Diskurs im Land. Während es früher &bdquo;parteipolitische Milieus“ gegeben habe - seien diese heute bis in die Mitte der Generationenfolge nicht mehr vorhanden. Es herrsche eine große Volatilität bei den Wählern, die der Frage folgten: Wer ist am hippsten? Wer ist am besten auf Tik Tok? Das stelle die politischen Akteure vor viel größere Herausforderungen als früher. Vor diesem Hintergrund müsse auch die Zeithistorie &bdquo;ganz neu nachdenken“. Morina stellt abschließend fest: &bdquo;Es ist eine trübe Zeit.“

Bielefelder Historiker: Drei AfD-Strömungen wachsen im Westen zusammen

Wahlbeteiligung in OWL auf Rekordhoch - Experten sehen nicht nur Positives

Wahlkampf-Kontrahenten vereint gegen Attacken von Trump-Vize

Anselm Kiefer über AfD-Zuwachs: «Das ist schrecklich»

Zu dick? Keine JVA will Straftäterin aus Bielefelder Gefängnis aufnehmen

Besondere Zusammenarbeit: Darum klappt Gründen in OWL besonders gut

Wissenschaftlerin aus Bielefeld kann erklären, wie KI wirklich funktioniert

Lippische Landes-Zeitung: Nachrichten aus Lippe, OWL und der Welt

LZplus Black-Deal

1 € pro Woche

Weiterlesen mit LZplus