Betroffene Espelkamperin erzählt: Was die Diagnose Depression für Angehörige bedeutet

Espelkamp. Sie sind seit 32 Jahren verheiratet und nach eigenen Worten ein &bdquo;Dreamteam“: Anna und Andreas (Namen von der Redaktion geändert) haben sich über die Arbeit kennengelernt. Er war Tischler, sie arbeitete damals im Büro. Nach einer Betriebsfeier fuhren sie zusammen zu ihr nach Hause und redeten die ganze Nacht. Am nächsten Tag stand er mitsamt Koffer vor ihrer Haustür, erzählt Anna mit einem Lächeln. Ein halbes Jahr später erwarteten sie bereits ihr erstes Wunschkind.

Inzwischen ist das Espelkamper Paar in den Sechzigern und hat zwei erwachsene Kinder, ein Enkelkind, einen Hund und einen Stall mit zwei Ponys. &bdquo;Wir haben immer gleich getickt. Sicher gab es auch mal Streit, aber wir haben immer zusammengehalten und Probleme gemeinsam gelöst. Wir konnten uns immer bedingungslos aufeinander verlassen“, sagt Anna. Doch seit einiger Zeit liegt ein Schatten über ihrem Glück.

Mit einem Motorradunfall vor 14 Jahren hat es angefangen. Bei dem Unfall wird Andreas’ Fuß zerschmettert, seinen Beruf kann er nicht mehr ausüben. Andreas ist seitdem nicht mehr derselbe. Er habe sich immer mehr zurückgezogen, die Arbeiten rund um Haus und Stall immer mehr schleifen lassen, die Freude an Dingen, die ihn früher glücklich gemacht hätten, verloren, beschreibt Anna. Es war ein schleichender Prozess, der sich über Jahre hinzog, erkennt sie rückblickend.

Hinter physischen Symptomen steckt eine Depression Dass dieser zupackende, starke Mensch sich so verändert habe, mache ihr zu schaffen. Andreas habe gerne gegessen, getrunken und auch gerne geraucht, erzählt Anna über ihren Mann. Doch nun leide er unter Appetitlosigkeit, habe von sich aus mit dem Rauchen aufgehört, trinke überhaupt keinen Alkohol mehr. 30 Kilogramm habe er abgenommen.

Auch zwischen den Eheleuten entsteht eine Distanz. &bdquo;Das hat halt viel mit unserer Beziehung gemacht. Sonst saßen wir immer abends zusammen auf dem Sofa im Wohnzimmer. Jetzt sitze ich alleine da“, sagt sie betrübt. Der gemeinsame Alltag fehle ihr. Zuletzt habe er eigentlich nur mehr im Bett gelegen und an die Decke gestarrt. Die &bdquo;Vereinsamung in der Ehe“ mache ihr besonders zu schaffen, sagt Anna. Mit ihm zu reden sei schwierig, er sehe alles negativ. &bdquo;Wir kommen nicht an ihn ran.“

&bdquo;Eigentlich zieht sich das seit Jahren hin, doch im letzten Jahr ist es extrem geworden.“ Dass es sich um die Diagnose Depression handelt, daran denken sie lange nicht. Doch als die Krankheit sich auch immer mehr in starken physischen Symptomen äußert, folgt eine Odyssee durch Arztpraxen und Notaufnahmen. Hat er einen Herzinfarkt? Sind es die Bandscheiben? Woher kommen die Schwindelattacken? Mehrere CTs, MRTs und andere Untersuchungen werden gemacht – aber einen Befund gibt es nicht. Zuletzt habe er sich ein Bein gebrochen, weil er eine Schwindelattacke gehabt habe und deswegen gestürzt sei.

Angehörige von Depressiven entwickeln oft Schuldgefühle oder Ärger Im November 2024 habe schließlich eine Ärztin in der Notaufnahme in Lübbecke erkannt, dass eine psychische Erkrankung zugrunde liegt. Doch nach der Diagnose folgt die nächste Hürde, denn die Wartelisten für eine Therapie sind oft lang.

&bdquo;Die Krankheit Depression kann einen Menschen völlig verändern“, schreibt die Stiftung Deutsche Depressionshilfe und Suizidprävention auf ihrer Internetseite . &bdquo;In ihrer Hilflosigkeit gegenüber der Depression entwickeln Angehörige oft selbst Schuldgefühle oder gar Ärger über den erkrankten Menschen. Hält die depressive Phase länger an, können sich bei den Angehörigen Überlastung und Erschöpfung einstellen, weil sie dem Betroffenen eine Vielzahl alltäglicher Aufgaben abnehmen müssen“, heißt es dort weiter unter der Rubrik &bdquo;Rat für Angehörige von Menschen mit Depression“.

Eine Depression ist eine Erkrankung, bei der es professionelle Hilfe benötigt, stellt die Deutsche Depressionshilfe klar und empfiehlt Angehörigen, sich über das Thema zu informieren und bei der Suche nach Hilfsangeboten zu unterstützen oder auch die Initiative zu ergreifen. Besonders wichtig sei es außerdem, Geduld zu haben und nicht zu versuchen, &bdquo;den Betroffenen von der Grundlosigkeit seiner Schuldgefühle zu überzeugen“. Angehörige sollten Erkrankte daran erinnern, &bdquo;dass die Depression eine Erkrankung ist, die vorübergeht und sich gut behandeln lässt“.

Auch Angehörige können einen Arzt aufsuchen Mit gut gemeinten Ratschlägen oder Kommentaren wie, die Person solle &bdquo;sich zusammenzunehmen“, solle man sich lieber zurückhalten. Stattdessen solle man immer dann unterstützen, wenn er oder sie Eigeninitiative zeige. Auch auf sich selbst sollten Angehörige gut achten, sich mit anderen austauschen. Sollte die eigene Belastung zu groß werden, sollten auch sie einen Arzt aufsuchen.

Die Perspektive von depressiven Menschen zu verstehen und stets geduldig zu bleiben, das ist etwas, was auch Angehörigen nicht immer leicht fällt. In einem Online-Forum der Deutschen Depressionshilfe tauschen sich Menschen über ihre Erfahrungen, Gefühle und Fragen aus. Viele Angehörige sprechen dabei auch über die eigene Belastung, Unverständnis und Wut, Trennungsgedanken, das schlechte Gewissen über die negativen Empfindungen den Erkrankten gegenüber.

Anna ist in Rente, arbeitet aber weiterhin halbtags in einem Pflegeheim. Die Arbeit macht ihr Spaß und auch die Ablenkung ist ihr willkommen. Doch die Situation zu Hause und die damit einhergehende psychische Belastung macht der resoluten Frau auch zu schaffen. Sie sei deswegen auch bereits krankgeschrieben worden. Sie hat Zukunftsängste und fragt sich: &bdquo;Wie geht es weiter? Der Beinbruch wird heilen, aber die Psyche, kriegt man das wieder hin?“.

Espelkamperin sucht Angehörige von Depressiven zum Austausch Wie kann man als Angehörige damit umgehen, wenn ein geliebter Mensch an Depressionen erkrankt? Auf diese Frage sucht Anna weiterhin Antworten. &bdquo;Wir gehen sehr offen mit dem Thema um“, sagt Anna. Im Bekanntenkreis wissen die Menschen Bescheid, nicht alle verstehen jedoch die Erkrankung oder den Umgang damit. Das Thema sei bei ihnen vorher nicht präsent gewesen - aber ihr sei nun bewusst geworden, wie viele Menschen an Depressionen erkranken und dass es im eigenen Umfeld auch Betroffene gibt, von denen man es vorher nicht wusste.

Wie andere Angehörige, empfindet auch Anna mitunter gleichzeitig Ungeduld und ein schlechtes Gewissen ihrem Mann gegenüber, wie sie erzählt. Sie wünscht sich, dass er auch mal fragt, wie es ihr geht. Sie muss sich um alles kümmern, die Entscheidungen alleine treffen, das ist belastend. Ihre Kinder stünden bedingungslos hinter ihr, doch sie wolle diese nicht ständig belasten. Anna steht nicht still, sie geht die Dinge an: Für Arbeiten am Haus und am Stall möchte sie jemanden einstellen, bemüht sich um Selbstfürsorge, soziale Kontakte, einen Kurzurlaub mit einer Freundin. &bdquo;Ich bin eine Kämpferin. Aber es fällt halt schwer“, sagt sie. Was sie sich für die Zukunft wünscht: &bdquo;Ich will weiter Spaß am Leben haben und dass es wieder bunt wird statt Schwarz-Weiß“.

Gerne möchte sie sich auch mit anderen Betroffenen austauschen; Angehörige, die jemanden unterstützen, der unter Depressionen leidet. Menschen, die ähnlich fühlen, ähnliche Probleme haben und vielleicht sogar schon weiter sind und sagen können, wie es weitergehen kann. Angehörige von Menschen, die an einer Depression erkrankt sind, können per E-Mail an Depression2025@web.de mit ihr in Kontakt treten.

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