Sozialdemokraten fordern Dialog mit Putin: SPD streitet über Russland-Kurs

Düsseldorf/Berlin. In einem Grundsatzpapier dringen die sogenannten SPD-Friedenskreise auf eine Kehrtwende in der Außen- und Sicherheitspolitik – und fordern eine Abkehr von der Aufrüstungspolitik sowie direkte diplomatische Gespräche mit Russland. Unterzeichnet ist das Abrüstungspapier unter anderem von Ex-Fraktionschef Rolf Mützenich, Ex-Parteichef Norbert Walter-Borjans, Außenpolitiker Ralf Stegner sowie einzelnen Bundestags- sowie Landtagsabgeordneten.

Von einer stabilen Friedens- und Sicherheitsordnung sei Europa aktuell weit entfernt, meinen die Autoren und schreiben wörtlich: &bdquo;Im Gegenteil: In Deutschland und in den meisten europäischen Staaten haben sich Kräfte durchgesetzt, die die Zukunft vor allem in einer militärischen Konfrontationsstrategie und Hunderten von Milliarden Euro für Aufrüstung suchen.“ Eine Rückkehr zu einer Politik der &bdquo;reinen Abschreckung ohne Rüstungskontrolle“ und der &bdquo;Hochrüstung“ würde Europa aber nicht sicherer machen, meinen die Autoren. &bdquo;Stattdessen müssen wir wieder an einer Friedenspolitik mit dem Ziel gemeinsamer Sicherheit arbeiten.“

Die Autoren werben für Deeskalation und schrittweise Vertrauensbildung und fordern, &bdquo;nach dem Schweigen der Waffen wieder ins Gespräch mit Russland zu kommen, auch über eine von allen getragene und von allen respektierte Friedens- und Sicherheitsordnung für Europa“. Vor echten vertrauensbildenden Maßnahmen sei bereits eine behutsame Wiederaufnahme diplomatischer Kontakte nötig.

Forderungen gegen US-Mittelstreckenraketen in Deutschland Die SPD-Friedenskreise wenden sich zudem gegen eine Stationierung neuer amerikanischer Mittelstreckenraketen in Deutschland und gegen die Erhöhung des Verteidigungshaushalts auf 3,5 oder 5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Sie beklagen, aktuell werde ein &bdquo;Zwang zu immer mehr Rüstung und zur Vorbereitung auf einen angeblich drohenden Krieg“ beschworen, statt Verteidigungsfähigkeit mit Rüstungskontroll- und Abrüstungspolitik zu verknüpfen.

Das Papier birgt für die SPD eine besondere Brisanz, weil die Mitglieder in wenigen Tagen zum Bundesparteitag zusammenkommen werden – und die Inhalte die Debatten prägen dürften. Zudem setzt es die aktuelle Führungsspitze um Parteichef Lars Klingbeil unter Druck, der als Vizekanzler an der Seite von Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) öffentlich einen anderen Kurs vertritt als die Verfasser des Manifests. Denen ist es aber wichtig, eine Debatte anzustoßen. &bdquo;Es gibt diese Bewegung in der SPD und die sollte auch ernst genommen werden“, sagt der frühere Parteichef Norbert Walter-Borjans im Gespräch mit dieser Zeitung.

Pistorius bezeichnet ?das Papier als &bdquo;Realitätsverweigerung“ Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) weist die Forderungen aus seiner Partei nach einer Kehrtwende in der Russland-Politik scharf zurück. &bdquo;Dieses Papier ist Realitätsverweigerung. Es missbraucht den Wunsch der Menschen in unserem Land nach Ende des furchtbaren Krieges in der Ukraine. Nach Frieden.“ Pistorius machte deutlich, dass er den Wunsch nach Frieden teile. Russlands Präsident Wladimir Putin aber schlage Angebote aus der Ukraine nach einem bedingungslosen Waffenstillstand in den Wind. &bdquo;Verhandlungen bricht er ab. Und wenn er sie führt, bombardiert er gleichzeitig mit noch größerer Härte und Brutalität die Städte in der Ukraine“, sagte Pistorius. &bdquo;Mit diesem Putin können wir nur aus einer Position der Stärke verhandeln.“ Nötig sei die eigene Verteidigungsfähigkeit.

SPD-Fraktionschef Matthias Miersch distanzierte sich ebenfalls: Das Papier sei ein Debattenbeitrag, sagte er. &bdquo;Das ist legitim, auch wenn ich zentrale Grundannahmen ausdrücklich nicht teile.“ Miersch sagte: &bdquo;Natürlich bleibt Diplomatie oberstes Gebot. Aber wir müssen auch ehrlich sagen: Viele Gesprächsangebote – auch vom Bundeskanzler Olaf Scholz – sind ausgeschlagen worden. Wladimir Putin lässt bislang nicht mit sich reden.“

Haßelmann: Papier blendet ernste Realitäten aus Schärfer fallen Reaktionen von Politikerinnen und Politikern weiterer Parteien aus. &bdquo;Wann wird begriffen, dass Russland nicht verhandeln und keinen Frieden will“, schreibt der Unionsaußenpolitiker Roderich Kiesewetter auf der Plattform &bdquo;X“. Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann aus Bielefeld betonte: &bdquo;Wir alle wünschen uns Frieden, und niemand sehnt ihn mehr herbei als die Menschen in der Ukraine. Leider wurden alle Versuche, einen Waffenstillstand zu erreichen oder Friedensgespräche zu führen, von Präsident Putin durchkreuzt und abgelehnt.“ Das Papier der SPD-Politiker blende ernste Realitäten aus und werde der wahren Bedrohung &bdquo;nicht gerecht“.

Eine erste Reaktion auf das Papier vom größten Landesverband der SPD aus NRW fällt diplomatisch aus. Die Ukraine habe jedes Recht auf Selbstverteidigung und sie könne sich dabei weiterhin auf die &bdquo;volle Unterstützung der Bundesrepublik Deutschland und der SPD verlassen“, sagt der Generalsekretär der NRW-SPD, Frederick Cordes, auf Anfrage dieser Zeitung – und geht vorsichtig auf Distanz zu den Aussagen im Manifest. Klar sei, dass ein Waffenstillstand oder belastbare Gespräche über Frieden aktuell &bdquo;nicht an der Ukraine“, &bdquo;nicht an der NATO“, &bdquo;nicht an der EU“ – sondern &bdquo;einzig“ an Russland scheiterten. Die SPD verschließt laut Cordes nicht die Augen vor der Realität. &bdquo;Die Abkehr vom Friedenskonsens durch Russland verpflichtet uns, die Verteidigungsfähigkeit Deutschlands zu stärken und unsere Bundeswehr zukunftsfest aufzustellen. Gleichzeitig bleibt es unser Ziel, diplomatische Wege offenzuhalten.“

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