Die Macht einfacher Worte: Heidi Reichinnek macht Wahlkampf in OWL

Herford. Fast unbemerkt nähert sich Heidi Reichinnek dem Podium, auf dem sie gleich reden wird. Ihr eher studentisches Outfit: ein geblümtes Sommerkleid und eine Jeansjacke. Es signalisiert: &bdquo;Ich gehöre zu euch.“ Dann erkennen die ersten Besucherinnen und Besucher die Fraktionsvorsitzende der Linken im Bundestag, Beifall brandet auf dem gut gefüllten Alten Markt in Herford auf. &bdquo;Ist das die Kundgebung der Kommunisten?“, fragt jemand, der an einem Tisch in einem benachbarten Bistro sitzt. Sein Gegenüber nickt.

Schnell wird deutlich: Hier spricht eben keine Studentin im dritten Semester, sondern eine Politikerin, die sich zum Spitzenpersonal in der deutschen Parteienlandschaft entwickelt hat. &bdquo;Wir sagen ganz klar: Kein Fußbreit dem Faschismus. Dafür stehen wir hier“, sagt Reichinnek. &bdquo;Setzen, sechs“, lautet ihr vernichtendes Urteil über 100 Tage schwarz-rote Koalition im Bund. Denn für die Menschen in diesem Land habe die Regierung bisher rein gar nichts erreicht, außer massiv in die Aufrüstung zu investieren.

Reichinnek lässt nicht locker. &bdquo;Lasst euch nicht einreden, dass kein Geld da ist“, ruft sie über den Marktplatz. Es müsse nur richtig verteilt werden, um auch für gute Renten, ÖPNV und Klimaschutz etwas erreichen zu können. Die 37-jährige gebürtige Merseburgerin weiß, wie sie Menschen sofort für sich einnehmen kann.

Soziale Kanäle mit am aktivsten bespielt Sie benutzt eine einfache, für jeden verständliche Sprache. Ganz so, wie sie es auch in ihrer maßgeblich über die sozialen Netzwerke geführten Kampagne im Vorfeld der Bundestagswahl gemacht hat. Mathias Albert, Politologe an der Universität Bielefeld, stellt dazu auf Anfrage fest, dass Reichinnek &bdquo;von allen aktiven Spitzenpolitikerinnen die sozialen Medien und Kanäle, die die Jugendlichen erreichen, mit am aktivsten und souveränsten bespielt“.

Vor einem halben Jahr, sagt Reichinnek gegenüber dieser Zeitung, habe die Partei noch am Abgrund gestanden. &bdquo;Ich war dabei.“ Doch dann gelang es der studierten Politologin binnen weniger Wochen, die negativen Umfragewerte förmlich zu pulverisieren. Resultat: 8,8 Prozent der Zweitstimmen. Reichinnek sei &bdquo;aufgrund ihres Lebensalters deutlich ,näher’ an den Jugendlichen als ein Großteil des politischen Spitzenpersonals“, so Albert.

&bdquo;Die Linke“ zog mit Fraktionsstatus ins Bundesparlament ein. Rund 620.000 Follower bei TikTok hat sich Reichinnek erarbeitet. Bei Instagram folgen ihr rund 780.000 Menschen. In der Gruppe der 18- bis 24-jährigen Wählerinnen und Wähler errang Die Linke mit 25 Prozent der Stimmen Platz eins. &bdquo;Reichinnek hat davon profitiert, dass die Linke bei der Bundestagswahl das Thema soziale Gerechtigkeit – in der Wahrnehmung der Wähler – als Alleinstellungsmerkmal setzte“, ordnet der Politologe Karl-Rudolf Korte das &bdquo;Phönomen Reichinnek“ auf Anfrage ein. Das habe zum Beispiel Themen wie Mieten oder Verbraucherpreise betroffen.

Ein Tattoo von Rosa Luxemburg auf dem Arm Sie habe zudem &bdquo;extrem davon profitiert, dass die Union mit der AfD im Bundestag zusammen abgestimmt hat, um Mehrheiten zu bekommen“, so Korte weiter. Und sie habe &bdquo;popkulturell gepunktet in den sozialen Medien, die junge Wähler nutzen“. Von einem solchen Effekt können Politiker anderer etablierter Parteien oft nur träumen. Von einigen Medien wird Reichinnek mittlerweile gar als &bdquo;rote Königin“ bezeichnet. Das könnte auch ihrem Tattoo mit dem Konterfei von Rosa Luxemburg geschuldet sein, welches sie auf dem linken Arm trägt. Die Debatte über die Verteilung des Reichtums und auch des Eigentums sind Dauerthemen der Tochter einer Chemiefacharbeiterin und eines Elektrikers.

Und, dass Aufgaben der Daseinsvorsorge wie ÖPNV, Gesundheitswesen oder die Energieversorgung in staatliche Hand gehören. Staatliche Gelder dürften nur zur Unterstützung von Unternehmen eingesetzt werden, wenn es dort eine Mitbestimmung der Belegschaft gebe. &bdquo;Wirtschaft muss für die Menschen da sein und nicht die Menschen für die Wirtschaft“, sagte Reichinnek jüngst in einem Interview mit der &bdquo;Zeit“.

Mit solchen Sätzen nimmt Reichinnek auch eine Debatte um die Demokratiefestigkeit der Linken bei anderen Parteien in Kauf. Dass sie aufgrund ihrer Positionen nicht in den sogenannten Geheimdienst-Ausschuss, das Parlamentarische Kontrollgremium, gewählt wurde, hinterlässt allerdings Frust. Doch Reichinnek weiß: Ihre Fraktion ist auch künftig gefragt, wenn es darum gehen sollte, im Bundestag ohne die AfD Zwei-Drittel-Mehrheiten zu organisieren.

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