Ministerium bestätigt: Falsche Diagnosen in Patientenakten in allen Modellregionen

Bielefeld. Die neue elektronische Patientenakte ePA ermöglicht es Patienten, Einblick in ihre ärztlichen Unterlagen zu nehmen. Dabei kommt es, wie diese Redaktion berichtete, offenbar vor, dass darin falsche oder übertriebene Diagnosen auftauchen. Jetzt hat sich das NRW-Gesundheitsministerium offiziell dazu geäußert. Dort weiß man offenbar schon länger von dem Problem.

Eine Sprecherin erklärte: &bdquo;Sollten Patientinnen und Patienten feststellen, dass sich in ihrer ePA fehlerhafte Einträge befinden, wird ihnen empfohlen, sich an den behandelnden Arzt bzw. die behandelnde Ärztin oder ihre Krankenkasse zu wenden.“ Hinweise auf falsche oder übertriebene Diagnosen, so die Sprecherin, hätten sich bereits in der Erprobungsphase der ePA &bdquo;in allen Modellregionen“ gezeigt. Unternommen wurde jedoch offenbar nichts.

Die patientengeführte elektronische Patientenakte ermögliche erstmals, dass gesetzlich krankenversicherte Patienten Einblick in ihre Abrechnungsdaten erhalten. Dadurch entstehe ein neues Maß an Transparenz, hieß es. &bdquo;Es sorgt dafür, dass möglicherweise fehlerhafte Einträge schneller oder überhaupt erst auffallen. Dies ist ausdrücklich zu begrüßen.“

Überhöhte Diagnosen brachten den Kassen mehr Geld Getestet wurde die ePA in Franken, Hamburg und Umland sowie in Teilen von NRW. Die Pilotphase begann im Januar 2025. Rund 300 Arztpraxen, Zahnarztpraxen, Apotheken und Krankenhäuser nahmen daran teil. Seit Oktober ist das Modell nun fest im System etabliert.

Ein beträchtlicher Teil der falschen oder übertriebenen Diagnosen in den Akten hat offenbar mit dem sogenannten Risikostrukturausgleich zu tun, der ein Anreizsystem schuf, von dem sowohl Ärzte als auch Krankenkassen profitieren konnten. Das galt in erster Linie für die Jahre 2009 bis 2021.

Der Morbiditätsorientierte Risikostrukturausgleich (Morbi-RSA) war 2009 und erneut 2014 angepasst worden, um Krankenkassen mit überdurchschnittlich kranken Mitgliedern zu entlasten. Im Gegenzug machte er es aber attraktiv, möglichst dramatische Diagnosen zu melden, um mehr Geld aus dem Gesundheitsfonds zu erhalten.

Manipulationsbremse soll Anreiz abschaffen Ein Insider erklärte gegenüber dieser Redaktion: &bdquo;Grundsätzlich wirkte sich in fataler Weise aus, dass es bei der ambulanten Behandlung keine diagnosebezogenen Fallgruppen (DRG) wie im Krankenhaus gibt.“ Diese seien exakter als die sogenannten Leistungsziffern im Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) für Vertragsärzte.

2021 wurde dann die sogenannte Manipulationsbremse eingeführt, um diesen Anreiz abzuschaffen. Etliche Kassen hatten Einfluss auf Ärzte ausgeübt, damit diese bei der Kodierung der Diagnosen zugunsten der jeweiligen in der Kasse Versicherten agierten. Der Einfluss erfolgte entweder über die Hausarztverträge zwischen Mediziner und Kasse, in denen Zusatzhonorare ausgelobt waren, oder über die Betreuungsstrukturverträge. Die Manipulationsbremse stoppte die Zuweisungen für jene Diagnosen, deren Fallzahlen plötzlich auffällig stark anstiegen.

Das Fatale daran: Die Kodierungen und die damit verbundenen Diagnosen blieben in den Akten unverrückbar bestehen. Selbst in Fällen von hohen Rückforderungen an die beteiligten Krankenkassen änderte sich nichts an den Daten. Durch den erst jetzt möglichen Einblick der Patienten in die elektronische Akte fallen die nicht korrekt vermerkten Diagnosen erst Jahre später auf. Problematisch werden sie, wenn Patienten in die Private Krankenversicherung wechseln wollen, bestimmte Berufe anstreben oder Risikolebensversicherungen abschließen wollen.

Patientenbeauftragte warnt vor weitreichenden Schäden Für Claudia Middendorf, Beauftragte der Landesregierung für Menschen mit Behinderung sowie für Patientinnen und Patienten, gilt: &bdquo;Meiner Einschätzung nach, handeln die meisten Ärztinnen und Ärzte nach bestem Wissen und Gewissen und tragen wahrheitsgemäße Angaben und Diagnosen in die Patientenakte ein. Nichtsdestotrotz ist jeder Sachverhalt, in dem eine bewusste Eintragung zum Nachteil der Patientinnen und Patienten geschieht, stets einer zu viel“, sagt Middendorf.

Dadurch entstünde insbesondere den Betroffenen, aber auch den Mitversicherten, ein Schaden, der &bdquo;weitreichende negative Folgen mit sich bringt. Daher halte ich es für wichtig, dass das Bundesgesundheitsministerium diese Vorfälle weiterhin in den Fokus nehmen wird“.

Der gesundheitspolitische Sprecher der SPD-Fraktion im Landtag, Thorsten Klute, kann sich gut vorstellen, dass es wegen der Fehleinträge &bdquo;zu Problemen für Patientinnen und Patienten kommt“. Er glaube und hoffe, dass es sich dabei um Einzelfälle und schwarze Schafe handele. &bdquo;Dennoch muss dieser Sachverhalt unbedingt aufgeklärt werden - erst recht in einer Zeit, in der wir bei den Krankenversicherungsbeiträgen um jeden Zehntelprozentpunkt ringen.“

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