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Besuch bei einem veganen Kochabend in Paderborn

Immer mehr Menschen leben ohne tierische Produkte

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Birgit Goldbecker (l.) und Judie Hermann schnippeln vegane Zutaten. - © FOTO: CARMEN PFÖRTNER
Birgit Goldbecker (l.) und Judie Hermann schnippeln vegane Zutaten. (© FOTO: CARMEN PFÖRTNER)

Bielefeld/Paderborn. Birgit zerkleinert Paprika und Kartoffeln, Judie schnippelt Bohnen, Aljoscha schüttet gerade den Reis in kochendes Wasser. Ganz normale Zutaten für einen ganz normalen Kochabend. Fast zumindest. Denn es fehlen Fleisch, Butter, Eier, Milch und auch sonst alle tierischen Produkte auf dem Küchentisch. Heute Abend wird vegan gekocht.

"Klar, vegetarisch kennt mittlerweile jeder. Aber vegan - da haben viele Leute noch ein Fragezeichen im Kopf", sagt Judie Hermann. Die 27-Jährige lebt seit ihrem 13. Lebensjahr vegetarisch, seit knapp zwei Jahren ist sie auch Veganerin. "Das ist gar nicht so kompliziert, wie alle immer denken."

Vegan leben - das bedeutet, auf alle tierischen Produkte zu verzichten: Fleisch, Eier, Käse, Joghurt, generell alle Milchprodukte. Zu einer konsequenten veganen Lebensform gehört aber auch, keine Lederwaren zu kaufen oder Kosmetika, die an Tieren getestet wurden. "Das ergibt sich alles nach und nach. Am Anfang hat man noch genug damit zu tun, auf das Essen zu achten", sagt Judie und verzieht ihre rotgeschminkten Lippen zu einem Lächeln. "Der Lippenstift ist übrigens extra aus den Staaten importiert."

Die Vorspeise steht auf dem Tisch. Gemeinsam mit den erfahrenen Veganern Judie und Aljoscha kochen in Birgits Wohnung in Paderborn auch ihr Freund Matthias und die Freunde Jonas und Kathi - eine bunte Mischung aus Veganern, Vegetariern und Fleischessern. "Seit Birgit Veganerin ist, mache ich mir auch wesentlich mehr Gedanken über das, was so auf den Teller kommt", sagt die Fleischesserin Kathi Gefele.
Die 27-jährige Studentin aus Paderborn schippt sich Eiersalat auf den Teller und schaut etwas skeptisch. Eiersalat? "Eiersalat-Ersatz", sagt Aljoscha Everding - denn mit Kichererbsen, Nudeln, veganer Mayonnaise, Kurkuma, Schnittlauch, Salz und Pfeffer sind alle Zutaten vegan. "Schmeckt wie Eiersalat, original", sagt Kathi verwundert.

"Keine Tiere ausnutzen"

Als Veganer seine nichtveganen Lebensmittel wegzuwerfen und die Lederjacke in die Tonne zu treten ist aber nicht nötig "und entspricht auch nicht der veganen Lebenseinstellung", sagt der 35 Jahre alte Lehrer Aljoscha. Er erklärt: "Es geht darum, keine Tiere auszunutzen, die normalerweise für den Menschen gehalten, gequält, geschlachtet und gehäutet werden." Lieber Lebensmittel und Lederwaren aufbrauchen und nicht sinnlos wegwerfen ist die Devise. "Oder an nichtvegane Freunde verschenken" - so macht es Judie zum Beispiel mit geschenkter Schokolade.
Information

Tipps und Treffen für den Austausch    

  • In Paderborn treffen sich Veganer regelmäßig im Café Capulet, um sich auszutauschen: Jeden ersten Montag im Monat um 18.30 Uhr, Franziskanermauer 22, Paderborn. Dort gibt es dann auch vegane Torte.
  • An der Uni Bielefeld gibt es eine Hochschulgruppe "Venga", die sich für veganes Leben und auch veganes Essen und dessen Auszeichnung in der Mensa ausspricht: www.venga-bielefeld.de
  • Es gibt viele Homepages, Magazine und Facebook-Gruppen, die sich über vegane Rezeptideen und Einkaufstipps austauschen: www.kochenohneknochen.wordpress.com

Die Zahl der vegan lebenden Menschen wächst stetig. In Deutschland leben zur Zeit etwa 600.000 Veganer. Ihre Lebensweise aber wird noch immer belächelt. "Leider werden Veganer in unserer Gesellschaft kaum toleriert, obwohl sie sich für eine gute Sache einsetzen", sagt die Bielefelderin Angela Grube, Soziologin und Autorin. Vor allem im Alltag, beim kollegialen Mittagessen oder beim Besuch in der Kantine sei es schwierig, eine vegane Lebensweise durchzuhalten. "Und einen Partner zu haben, der Fleisch isst, birgt Konfliktpotenzial", weiß Grube.

"Gesellschaftlich aber oft anstrengend"

Bei Birgit Goldbecker und Matthias Grawinkel kein Problem. Der Zweimetermann ist, inspiriert durch seine Freundin, längst vegetarisch unterwegs, "vegan etwa seit einem Monat", erklärt der Doktorand. Beim Kochen sei das kein Problem, "beim Mittagessen mit Kollegen oder auf Konferenzen ist es gesellschaftlich aber oft anstrengend". Durchhaltevermögen ist die eine Seite, Gesundheit die andere. Die meisten Veganer lassen regelmäßig die Blutwerte kontrollieren. Aljoscha, der schon jahrelang vegan lebt, habe sogar bessere Werte als früher.

"Als Veganer muss man unheimlich klug sein und sich total mit der Sache beschäftigen, um es richtig zu machen", sagt der Bielefelder Hausarzt Jörn Buldmann. Obwohl sein eigener Sohn Anhänger des Veganismus ist, hat der Arzt Zweifel: "Es ist noch immer nicht klar, ob auf Dauer nicht doch gesundheitliche Probleme und Mangelerscheinungen auftreten."

Fehlendes Vitamin B12

Eine gibt es definitiv: Fehlendes Vitamin B12. Das Cobalamin kommt in allen Lebewesen vor - und kann nur durch tierische Produkte aufgenommen werden. Veganer lassen es sich in der Regel vom Hausarzt spritzen. "Man kann es auch durch eine spezielle Zahnpasta aufnehmen", sagt Aljoscha.

Die vier Veganer am Tisch sind sich sicher, dass sie gesünder und bewusster leben, seit sie dem Veganismus anhängen. Die leeren Pfannen und Teller beweisen, dass das Essen auch den Nichtveganern geschmeckt hat. "Ein Verzicht auf Genuss ist das keinesfalls", sagt Judie, schiebt sich zum Nachtisch einen vegan gebackenen Cupcake in ihren Mund - und sieht dabei sehr glücklich aus.

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