Es gibt Spiele, die mit bombastischer Action und grellen Effekten um Aufmerksamkeit buhlen. Und es gibt Spiele wie „The Thaumaturge“, die leise, fast schleichend, aber mit umso größerer Intensität unter die Haut gehen. Fool’s Theory, das polnische Studio hinter diesem ungewöhnlichen Rollenspiel, wagt den Spagat zwischen historischem Drama, okkultem Thriller und klassischem Rollenspiel – und liefert ein Werk ab, das sich wohltuend von der Masse abhebt.
Nach dem PC-Release im März 2024 durften sich seit Dezember auch Konsolenspielerinnen und -spieler auf Playstation 5 und Xbox in die düsteren Gassen Warschaus stürzen. Wir haben die PS5-Version auf Herz und Nieren geprüft.
Schon das Intro macht eindrucksvoll klar: Hier wird nicht einfach ein weiteres Fantasy-Abenteuer erzählt, sondern ein Spiel, das sich mit der dunklen Seite der Menschheit, mit Schuld, Macht und Moral beschäftigt. „The Thaumaturge“ ist ein Spiel über die Geister, die wir riefen – und über die, die wir nicht mehr loswerden. Unser Spieletipp!
Worum geht’s in „The Thaumaturge“?

Im Zentrum steht Wiktor Szulski, ein Thaumaturg – ein Mensch, der die seltene Gabe besitzt, mit sogenannten Salutoren zu kommunizieren. Diese geisterhaften Wesen sind Manifestationen menschlicher Schwächen: Stolz, Zorn, Gier oder Angst. Sie sind Fluch und Segen zugleich, denn sie verleihen Wiktor übernatürliche Kräfte, verlangen aber auch einen Preis dafür. Klar: lässt du dich mit dem Teufel ein, verändert sich nicht der Teufel, sondern der Teufel verändert dich.
Nach dem Tod seines Vaters kehrt Wiktor ins von den Russen besetzte Warschau des Jahres 1905 zurück. Die Stadt ist ein Pulverfass: Politische Unruhen, soziale Spannungen und das allgegenwärtige Misstrauen gegenüber Fremden prägen das Bild. Inmitten dieser brodelnden Atmosphäre sucht Wiktor nach Antworten – und gerät immer tiefer in einen Strudel aus Intrigen, Verrat und dunkler Magie.
Das Spiel verbindet klassische Rollenspiel-Elemente mit Detektivarbeit und rundenbasierten Kämpfen. Wiktor kann mit seiner „Wahrnehmung“ verborgene Hinweise entdecken, Erinnerungen lesen und so Geheimnisse lüften, die anderen verborgen bleiben. Seine Entscheidungen – ob im Dialog, bei Ermittlungen oder im Umgang mit den Salutoren – beeinflussen nicht nur den Verlauf der Geschichte, sondern auch seine Beziehungen zu anderen Figuren und die Entwicklung seiner eigenen Fähigkeiten.
Die Salutoren sind dabei mehr als nur Kampfgefährten: Sie spiegeln die Abgründe der menschlichen Seele wider und stellen Wiktor immer wieder vor moralische Dilemmata. Nutzt er ihre Macht, riskiert er, selbst zum Spielball dunkler Kräfte zu werden. Lässt er sie unbeachtet, entgehen ihm wertvolle Möglichkeiten – sei es im Kampf, bei der Lösung von Rätseln oder im Umgang mit den Menschen, die seinen Weg kreuzen.
Was hat uns gefallen?
Ein ungewöhnliches Setting, das uns fesselt

Das Warschau von „The Thaumaturge“ ist mehr als nur eine Kulisse – es ist ein atmender, lebendiger Organismus. Die Entwickler haben mit akribischer Detailverliebtheit eine Stadt erschaffen, die zwischen Moderne und Verfall schwankt. Kopfsteinpflaster glänzt im Regen, Gaslaternen werfen ihr fahles Licht auf finstere Gassen, und immer wieder stößt man auf Spuren der russischen Besatzung: Soldaten patrouillieren, Plakate mahnen zur Vorsicht, und hinter jeder Ecke lauert die greifbare Angst vor Denunziation.
Diese Atmosphäre wird durch die stimmungsvolle Grafik und den exzellenten Soundtrack noch verstärkt. Die Musik, mal melancholisch, mal bedrohlich, trifft stets den richtigen Ton und unterstreicht die emotionale Tiefe der Geschichte. Wir hatten regelrechte Ohrwürmer davon und ertappten uns im Alltag dabei, wie wir die Melodie vor uns hin summten. Zudem macht die tolle Geräuschkulisse – das entfernte Hufgetrappel, das Gemurmel der Passanten, das Knarren alter Türen – das Warschau von 1905 unmittelbar spürbar und erlebbar. Tipp: Unbedingt mit Kopfhörern spielen.
Eine Geschichte, die uns fordert
„The Thaumaturge“ ist kein Spiel für Schwarz-Weiß-Denker. Die Story ist vielschichtig, voller Grautöne und moralischer Ambivalenz. Wiktor ist kein strahlender Held, sondern ein Getriebener, der immer wieder zwischen Loyalität, Ehrgeiz und Schuldgefühlen schwankt. Die Entscheidungen, die der Spieler trifft, haben Gewicht – und selten gibt es eine eindeutig „richtige“ Wahl.
Besonders gelungen finden wir, wie das Spiel mit Erwartungen spielt: Was zunächst wie eine klassische Detektivgeschichte beginnt, entwickelt sich schnell zu einem okkulten Thriller, der die Abgründe der menschlichen Seele auslotet. Die politischen und gesellschaftlichen Konflikte der Zeit werden nicht bloß angedeutet, sondern sind integraler Bestandteil der Handlung. Ob man sich mit Revolutionären verbündet, mit der russischen Obrigkeit paktiert oder versucht, zwischen den Fronten zu vermitteln – jede Entscheidung hat Konsequenzen, die sich bis ins Finale ziehen.
Mechanik mit Tiefgang

Das Kampfsystem von „The Thaumaturge“ ist rundenbasiert, aber alles andere als altbacken. Die Salutoren bringen eine strategische Komponente ins Spiel: Jeder von ihnen hat spezielle Fähigkeiten, die auf bestimmte Schwächen der Gegner abzielen. Wer klug kombiniert, kann selbst scheinbar übermächtige Feinde bezwingen. Wer Kämpfe allerdings auf die leichte Schulter nimmt, beißt nach einigen Spielstunden schneller ins Gras, als man „Warschau“ sagen kann. Man muss schon taktisch an die Sache rangehen. Die vier Dimensionen der Thaumaturgie – Herz, Tat, Verstand, Wort – bestimmen, wie Wiktor sich entwickelt und welche Optionen ihm im Kampf und in Dialogen offenstehen.
Besonders spannend: Die Salutoren sind nicht nur im Kampf wichtig, sondern auch in der Ermittlung. Manche Hinweise lassen sich nur mit ihrer Hilfe entdecken, manche Gespräche nur durch gezielte Manipulation beeinflussen. Das verleiht dem Spiel eine zusätzliche Ebene und sorgt dafür, dass man immer wieder neu abwägen muss, wie weit man gehen will.
Präsentation und Immersion
Die PS5-Version punktet bei uns mit schnellen Ladezeiten, sauberer Steuerung und einer gelungenen Integration der DualSense-Features. Die adaptiven Trigger und das haptische Feedback machen die Nutzung von Wiktors Kräften spürbar und verstärken die Immersion.
Was hat uns nicht gefallen?

Technische Schwächen
So atmosphärisch das Spiel auch ist – technisch ist „The Thaumaturge“ leider doch nicht immer auf der Höhe der Zeit. Es gibt kleinere Bugs, etwa bei Animationen oder in der Kollisionsabfrage. Gelegentlich kommt es nach Zwischensequenzen zu kurzen Performance-Einbrüchen, und einige Texturen wirken unscharf. Die Probleme finden wir zwar nicht gerade gravierend, aber sie haben uns ab und zu aus der ansonsten dichten Atmosphäre gerissen.
Kampfsystem: Routine trotz Innovation
Die Salutoren-Mechanik ist innovativ, aber das Kampfsystem nutzt sich mit der Zeit dann doch ab. Viele Standardkämpfe laufen nach ähnlichem Muster ab, und die Balance zwischen normalen Gegnern und Bossen ist nicht immer stimmig. Besonders auf dem mittleren Schwierigkeitsgrad schwankt der Anspruch: Manche Kämpfe sind zu leicht, andere plötzlich frustrierend schwer. Hier hätte eine feinere Abstimmung gutgetan, um insbesondere Neulinge in rundenbasierten Kämpfen nicht zu schnell zu frustrieren.
Schwankende Qualität bei Dialogen und Nebenfiguren
Während Wiktor als Hauptfigur uns total überzeugt hat, bleiben viele Nebencharaktere leider sehr blass. Zudem wirken manche Dialoge hölzern oder sogar klischeehaft, und die Motivation einiger NPCs bleibt unklar. Auch die Sprecherleistungen sind durchwachsen: Während einige Figuren hervorragend vertont sind (es gibt keine deutsche Sprachausgabe), wirken andere lustlos oder mit unpassenden Akzenten versehen. Das schmälert die Glaubwürdigkeit der Welt und nimmt der Story hin und wieder ihre Wucht.
Wiederholungen bei Ermittlungen
Die Detektivmechanik fanden wir anfangs extrem faszinierend, mit der Zeit verliert sie jedoch an Reiz. Viele Quests folgen dem gleichen Muster: Hinweise sammeln, Spuren kombinieren, Entscheidung treffen. Zwar gibt es immer wieder spannende Ausnahmen, doch insgesamt hätte das Spiel von mehr Abwechslung und echten Kopfnüssen profitiert.
Unser Fazit zu „The Thaumaturge“
„The Thaumaturge“ ist ein mutiges, eigenwilliges Rollenspiel, das sich wohltuend von der Masse abhebt. Es ist ein Spiel für Menschen, die gute Geschichten lieben, die fordern und nachhallen. Die düstere Atmosphäre, das ungewöhnliche Setting und die moralisch komplexe Handlung machen es für uns zu einem der bemerkenswertesten RPGs der letzten Jahre.
Natürlich ist nicht alles perfekt: Technische Schwächen, sich wiederholende Mechaniken und blasse Nebenfiguren trüben das Gesamtbild. Doch diese Mängel verblassen angesichts der erzählerischen Raffinesse und der dichten Atmosphäre, die das Spiel entfaltet. Wer genug von generischen Fantasy-Welten hat und sich nach einer erwachsenen, düsteren Spielerfahrung sehnt, sollte „The Thaumaturge“ unbedingt eine Chance geben.
Für Fans narrativer Rollenspiele ist „The Thaumaturge“ ein Pflichtkauf – und ein eindrucksvoller Beweis dafür, dass das Genre immer noch zu überraschen weiß. Das Spiel ist kein Mainstream-Blockbuster, sondern ein Geheimtipp für Kenner und Liebhaber. Wer sich darauf einlässt, wird mit einer Reise belohnt, die so schnell nicht vergessen ist.
„The Thaumaturge“ ist seit dem 4. März 2024 für PC (Steam) erhältlich. Seit dem 5. Dezember 2024 ist das Spiel auch für Playstation 5 und Xbox Series X|S erhältlich. Das Spiel ist freigegeben ab 18 Jahren und kostet rund 35 Euro.