Musikunterricht in Gefahr: Deshalb ist das Fach so wichtig

Bielefeld. Der Staat wird seinem Bildungsauftrag nicht mehr gerecht, urteilen Wissenschaftler in einer gerade veröffentlichten Studie. Kinder lernen in der Schule nicht mehr richtig Lesen, Schreiben und Rechnen. Die Analyse, erstellt im Auftrag der Kultusministerkonferenz, bekräftigt Defizite, die im Oktober schon eine groß angelegte IQB-Bildungsstudie mit Viertklässlern offengelegt hatte. Von der musikalischen Bildung, um die es noch schlechter bestellt ist, ist in diesen Expertisen nicht die Rede. Dabei könnte der Musikunterricht bei der Lösung vieler Schulprobleme helfen.

Seit Jahren weisen Untersuchungen – unter anderem im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung – darauf hin, wie groß das pädagogische Potenzial dieses Fachs für Schüler und Schule ist. &bdquo;Schule lebt nicht nur vom Lesen- und Schreibenlernen“, sagt Klaus Ernst, Fachleiter für Musik am Zentrum für schulpraktische Lehrerausbildung in Detmold und Vorstandsmitglied im Bundesverband Musikunterricht.

&bdquo;Bei vielen Defiziten, die aktuell in der Schule festgestellt werden – soziale und emotionale Kompetenzen, Zuhörenkönnen, Integration, Inklusion – kann der Musikunterricht hilfreich sein.“ Doch Ernst sieht in seinem Fach auch &bdquo;hausgemachte Probleme“.

Immer mehr Lehrer fehlen Ein Grund für die derzeitige Bildungsmisere ist der Lehrermangel. Allein in NRW sind derzeit 8.000 Stellen unbesetzt, gab das Schulministerium vergangene Woche bekannt – und die Lücke wird immer größer. Um ein Nebenfach wie Musik ist es erst recht schlecht bestellt. Nicht nur, dass Stellen unbesetzt bleiben. Viele Musiklehrkräfte verlassen zurzeit und in den nächsten Jahren altersbedingt den Schuldienst. Die Fachlehrer, die da sind, müssen oft vertretungsweise in Hauptfächern unterrichten.

Im Regierungsbezirk Detmold gibt es im laufenden Schuljahr 2022/23 1.323 Lehrkräfte mit Lehrbefähigung Musik an öffentlichen Schulen. Tendenz: fallend. Im vergangenen Schuljahr waren es noch 1.332, davor 1.343. Nach Auskunft der Bezirksregierung ist der Musiklehrerbedarf insbesondere an den 54 Gymnasien und 20 Gesamtschulen in der Region hoch, an den Gesamtschulen vor allem im Sek-I-Bereich. An Grundschulen wird das Pflichtfach Musik schon zu großen Teilen fachfremd erteilt, also nicht von ausgebildeten Musikpädagogen.

Die Aussichten, dass sich künftig mehr Abiturienten für den Musiklehrerberuf entscheiden, sind schlecht. Potenzielle Kandidaten wären Schüler, die Abitur mit einem Leistungskurs Musik gemacht haben. Das waren in NRW in diesem Jahr gerade mal 110 Abiturienten im Vergleich zu 2.072 mit dem Leistungskurs Kunst. Nicht besser sieht das Verhältnis bei Abiturienten mit Musik oder Kunst als drittem Abi-Fach aus.

So soll sich die Lage in OWL verbessern In OWL begegnet die Bezirksregierung dem akuten Musiklehrermangel mit einem Angebot für Quereinsteiger. Gerade läuft in Detmold ein sogenannter Zertifikatskurs Musik. Er soll musikinteressierte Lehrerinnen und Lehrer der Sekundarstufe I in die Lage versetzen, neben ihren Stammfächern auch qualifizierten Musikunterricht zu geben. Kooperationspartner des über ein Jahr laufenden &bdquo;Z-Kurses“ ist die Hochschule für Musik Detmold.

Neben zwei erfahrenen Musiklehrern unterrichten im Kurs auch Professoren und Dozenten der Hochschule. Die 15 Teilnehmerinnen und Teilnehmer stammen alle aus der Region. Jeweils mittwochs treffen sie sich zum Unterricht im Haus der Kirche Herberhausen in Detmold, lernen das Singen mit Gruppen oder das Erstellen von Unterrichtsentwürfen. &bdquo;Ich finde das total spannend“, sagt Patrick Wachs (29), Lehrer für Geschichte und Erdkunde an der Felix-Fechenbach-Gesamtschule in Leopoldshöhe.

Er unterrichtet bereits parallel, wie es das Z-Kurskonzept vorsieht, eine 7. Klasse allein in Musik. Durch seine Vorerfahrung und das im Kurs vermittelte Rüstzeug fühlt er sich darauf &bdquo;gut vorbereitet“. Schon als Jugendlicher hat Wachs in Bielefeld in einem Posaunenchor Trompete gespielt, später einen Chorleiterschein erworben und selbst einen Posaunenchor geleitet. Inzwischen hat er zu Hause auch ein Klavier stehen und übt, was er im Z-Kurs über Liedbegleitung gelernt hat. &bdquo;Es wird stetig besser“, sagt er.

Quereinstieg als kurzfristige Lösung Kursteilnehmerin Sabine Matthäus (58) aus Espelkamp ist Deutsch- und Religionslehrerin, aber unterrichtet schon seit knapp 30 Jahren überwiegend Musik. &bdquo;Als ich 1993 als Referendarin anfing, sollte ich gleich die Schulband leiten.“ Schon damals waren Musiklehrer Mangelware. Statt eines Musikstudiums bringt Matthäus viel praktische Musikerfahrung mit. Sie singt, spielt Gitarre und Gambe. Ihr Lehramtsstudium finanzierte sie mit musikalischen Engagements.

An der kirchlich getragenen Birger-Forell-Sekundarschule in Espelkamp stemmt Matthäus seit Jahren klassenübergreifende Musicalaufführungen für 200 Schüler (&bdquo;mein Steckenpferd“) und leitet Instrumentalklassen. Mit dem Z-Kurs holt sie nun den fehlenden offiziellen Qualifikationsnachweis nach.

Fachleiter Klaus Ernst hält die Nachqualifizierung von Quereinsteigern für einen richtigen Ansatz: &bdquo;Es zeigt, dass man versucht, Lösungen zu finden.“ Darüber hinaus müssten dringend die hohen Zugangshürden zum Beruf überdacht werden, vor im Sek.-I-Bereich. &bdquo;Der künstlerische Teil des Studiums wird viel zu hoch gehängt. Anders als im europäischen Ausland wirken in Deutschland noch veraltete musikwissenschaftliche Vorstellungen nach“, so Ernst.

Musikunterricht als Chance Der Musikunterricht, betont er, sei aber nicht nur in der Krise, weil die Köpfe fehlen, sondern weil das Fach Musik sich gründlich selbst hinterfragen müsse. &bdquo;Musik bedeutet heute für Schüler etwas anderes als klassische Musik und Geigenspiel“, sagt der Lehrer für Musik und Philosophie am Gymnasium Nepomucenum Rietberg. Eigentlich biete Musikunterricht für jedes Bildungssystem und für jede Schule eine &bdquo;Riesenchance“, so Ernst. &bdquo;Allein, wenn man die vielzitierten vier Kompetenzen für Lernende im 21. Jahrhundert nimmt – Kommunikation, Kollaboration, Kreativität, kritisches Denken –, fragt man sich: Was davon kann Musikunterricht eigentlich nicht?“

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