Das Eurovision-Schauspiel: Musik vor Politik!

Der Eurovision Song Contest in Liverpool sollte eine Veranstaltung der Toleranz und Begegnung sein. Doch in diesem Jahr könnte es damit schwierig werden, glaubt unser Autor.

Simon Schulz

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Die Trophäe des Eurovision Song Contest 2023 mit der Flagge des vergangenen Siegerlandes. - © Corinne Cumming/ EBU
Die Trophäe des Eurovision Song Contest 2023 mit der Flagge des vergangenen Siegerlandes. (© Corinne Cumming/ EBU)

Bielefeld/Liverpool. Ein Blick in die Kristallkugel: In der ganzen Liverpool Arena werden Samstag ab 21 Uhr ausschließlich blau-gelbe Fahnen geschwenkt. Treten die ukrainischen Künstler auf, wird es minutenlangen Applaus geben - auch wenn sie noch keinen Ton gespielt haben.

Bei der Punktevergabe tragen TV-Moderatoren Sticker, Schals und T-Shirts mit der ukrainischen Flagge. Auch die Friedenstaube wird zu sehen sein. Das Künstler-Duo "Tvorchi" wird unter die fünf besten Länder gewählt werden. Man muss kein Hellseher sein, um das Eurovision-Schauspiel vorherzusehen.

Denn: Der Musikwettbewerb ist eine politische Veranstaltung - Musik spielt hier eine Nebenrolle. 2021 wurde dem autokratischen Staat Weißrussland die Teilnahme an dem Event verwehrt. Mit dem Angriffskrieg gegen die Ukraine folgte im Jahr darauf Russland. Eine Entscheidung der Veranstalter, die Aserbaidschan sicherlich mit Schweißperlen auf der Stirn verfolgte. Welchem befreundeten Regime solle man denn jetzt die 12 Punkte geben?

Eurovision als Friedensprojekt

In den Jahren zuvor wurde Russland bei der Punktevergabe vom Publikum ausgebuht. Der Ausschluss Russlands und Weißrusslands vom ESC war das falsche Signal und sollte, egal wie lange dieser sinnlose Krieg dauert, aufgehoben werden. Ansonsten spielt man Putin in die Karten, der dem Westen vorwirft, sich gegen Russland verschworen zu haben.

Der ESC sollte zur Toleranz und Völkerverständigung beitragen. Als nach dem Zweiten Weltkrieg die Menschen in Europa zerstritten waren, kam Marcel Bezençon 1955 auf die Idee, einen europäischen Schlagerwettbewerb zu veranstalten. Damals noch unter dem Namen "Grand Prix". Politische Songs waren verboten. Ziel: Menschen in Europa durch Musik, abseits der Politik zu verbinden - Vorurteile abzubauen. Bis heute hält sich der Eurovision Song Contest als größte Musikveranstaltung der Welt. Vergangenes Jahr sahen 161 Millionen Menschen das Finale im Fernsehen.

Russische Künstler sind die Verlierer

Bei der Musikshow sollte es nicht um Politik gehen. Kultur und Vielfalt jedes einzelnen Landes sollen gefeiert werden. Gerade die russische Kultur ist eine solch geschichtsträchtige und hochinteressante, dass ein Ausschluss schmerzhaft ist. Nicht zuletzt für die hochtalentierten russischen Künstlerinnen und Künstler. Sie müssen für die kranke Politik ihres Terror-Präsidenten herhalten.

Die westliche Welt tritt geschlossen gegenüber Russland auf. Politisch ist das richtig, künstlerisch jedoch fatal. Russland und Europa sind gespalten wie zu Zeiten des kalten Krieges. Menschen entfernen sich voneinander, Vorurteile nehmen zu. Da wäre ein Austausch auf Augenhöhe ein guter Schritt zur Verständigung. So würde sicherlich auch der Gründervater der Veranstaltung, Marcel Bezençon denken. Die Menschen in Europa sehnen sich nach (musikalischer) Freiheit in diesen beschwerten Zeiten. Politik ist Politik und Musik ist und bleibt Musik.

Schreiben Sie gerne an simon.schulz@ihr-kommentar.de

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