Nun also doch. Nachdem Christian Lindner noch vor einer Woche behauptet hatte, dass die Beratungen über den Bundeshaushalt von dem Schuldenbremsen-Urteil des Verfassungsgerichtes gar nicht betroffen seien, zieht der Finanzminister jetzt die Notbremse. Lindner verordnet seinen Kabinettskolleginnen und -kollegen eine weitgehende Ausgabensperre. Es ist das offizielle Eingeständnis, dass die Ampelregierung in einer schweren finanzpolitischen Krise steckt.
Die Haushaltslücken sind derart groß, dass sie sich nicht durch bloße Sparpolitik schließen lassen werden – auch wenn liberale und konservative Haushaltspolitiker das nun eifrig behaupten. Entweder, die Ampel findet neue Finanzierungswege, vulgo Möglichkeiten der Kreditaufnahme, oder die wichtigen Investitionen in den klimaneutralen Umbau der Industrie werden nicht getätigt. Letzteres wäre der Super-GAU für den Standort Deutschland.
Schon jetzt ist der Schaden gewaltig. Allein, dass die zugesagten Milliardenzuschüsse für den Bau von Computerchipfabriken in Sachsen-Anhalt und Sachsen wieder zur Diskussion stehen, zerstört Vertrauen. Sollte die Förderung tatsächlich wegfallen, stünde die Industrienation Deutschland blamiert da.
Lösungen für das Problem gibt es
Auch die Fördermilliarden für den Ausbau der Elektromobilität, den Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft, den Umbau der Stahlindustrie und die Modernisierung der Schienennetze dürfen nicht wegfallen. Es geht bei diesen Vorhaben um Klimaschutz, vor allem aber geht es um die Zukunftsfähigkeit der deutschen Industrie.
Die USA, China und viele andere Staaten treiben den grünen Wandel der Wirtschaft mit Subventionen in schwindelerregender Höhe voran. Wer heute in dem Rennen um Technologieführerschaft den Anschluss verliert, büßt morgen auch Marktanteile und Wohlstand ein. Die Erkenntnis mag für Ordoliberale schmerzhaft sein, aber in Washington, Peking und Seoul fragt niemand nach den ordnungspolitischen Grundsätzen der Freiburger Schule.
Die Situation ist verfahren, unlösbar ist sie nicht. Denn im Grunde hat der deutsche Staat durch das Karlsruher Urteil nicht einen einzigen Euro weniger in der Tasche. Auch die 60 Milliarden Euro des Klima- und Transformationsfonds wären Schulden gewesen – nur eben in einem Nebenhaushalt verbucht. Nun werden die Kredite den Kernhaushalt belasten, was nur geht, wenn der Bundestag erneut die Schuldenbremse aussetzt. Dass Finanzminister Lindner diesen Schritt bislang um jeden Preis vermeiden wollte, hat wesentlich zu der Misere beigetragen.
Schuldenbremse lieber aussetzen
Der Hüter der Bundesfinanzen erinnert immer mehr an seinen glücklosen Vorgänger Hans Eichel. Der hatte Anfang der 2000er-Jahre ebenfalls mit aller Macht versucht, den Haushalt zu konsolidieren, ehe der damalige Kanzler Gerhard Schröder ihn mit einem einzigen Satz in die Schranken wies: „Lass mal gut sein, Hans.“ 20 Jahre später bräuchte es jemanden, der diesen Satz zu Christian Linder sagt.
Der FDP-Chef steht vor den Trümmern seiner Finanzpolitik. Seine Politik der Haushaltskonsolidierung trotz Krise ist krachend gescheitert – funktioniert hat sie ohnehin nur auf dem Papier. Lindner muss sich nun einen Ruck geben und die Schuldenbremse für die Haushaltsjahre 2023 und 2024 aussetzen. Das würde die akuten Probleme lösen und der Ampel Luft verschaffen, eine einigermaßen verlässlich Finanzplanung für die kommenden Jahre aufzustellen.
Gleichzeitig muss die Koalition in Verhandlungen mit der Union eintreten, um die Schuldenbremse zu reformieren. Die Regel sollte nachfolgende Generationen vor überbordender Kreditlast bewahren. Dieses Ziel hat sie erreicht, allerdings um den Preis ausbleibender Zukunftsinvestitionen. Ein höherer Schuldendienst wird künftige Generationen belasten. Aber deutlich weniger als eine nicht mehr konkurrenzfähige Wirtschaft.