Es ist keine TV-Ansprache geworden. Keine Rede an die Nation in Krisenzeiten. Der Bundeskanzler hat nach dem folgenreichen Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgerichts die Form eines vom Kanzleramt selbst aufgenommenen Videos gewählt. Es wurde am Freitagnachmittag unter anderem auf der Online-Plattform X, früher Twitter, verbreitet. In knapp drei Minuten erklärt Olaf Scholz darin seine Sicht auf die aktuelle Lage. Neun Tage nach Urteilsverkündung.
Er beginnt damit, dass das oberste Gericht ein Grundsatzurteil zur Schuldenbremse verkündet hat. „Sie fragen sich: Was bedeutet diese Entscheidung für mich konkret? Oder: Wie ist es um unsere Staatsfinanzen bestellt?“ Scholz liegt richtig damit, dass die Menschen viele Fragen haben. Aber dazu zählt auch, warum der Bundeskanzler erst jetzt Stellung nimmt und mit Aspekten aufwartet, die seit mehr als einer Woche im Land heftig debattiert werden.
Finanzielle Hilfen in Notlagen weiterhin möglich
„Manche sorgen sich, ob die Finanzhilfen der Bundesregierung, die die hohen Energiepreise deckeln, weiterfließen dürfen oder zurückgezahlt werden müssen?“ All das seien sehr berechtigte Fragen, sagt Scholz. Wohl wahr, die Verunsicherung ist groß. Und nun verkündet der Kanzler eine Nachricht so, als sei das Urteil noch taufrisch: „Die wichtigste Nachricht deshalb gleich zu Beginn: Das Verfassungsgericht hat festgehalten, dass Hilfen in solchen besonderen Notlagen weiterhin möglich sind.“
Er verweist darauf, dass es Hilfen sind, wie sie zur Bekämpfung der Corona-Pandemie geschaffen wurden, um Arbeitsplätze zu schützen und Unternehmen zu stützen. „Hilfen, um jenen beizustehen, die das verheerende Hochwasser im Ahrtal um Hab und Gut gebracht hat. Hilfen, mit denen wir die stark gestiegenen Preise für Strom und Gas dämpfen.“ Es schwingt mit, dass es die Ampel doch nur gut gemeint habe. Scholz stellt klar: „All solche Hilfen sind weiterhin möglich.“
Kredite müssen künftig jährlich neu beschlossen werden
Es gebe jetzt aber klare Vorgaben, die die Bundesregierung beachten müsse. Der zentrale Punkt sei, dass Kredite jedes Jahr vom Bundestag neu beschlossen werden müssen. Vorbei also die Zeit, da in großem Umfang Schulden - außerhalb des Bundeshaushalts - in Sondervermögen oder Schattenhaushalten veranschlagt wurden, um die Schuldenbremse einzuhalten und trotzdem Geld für Krisenbekämpfung und Investitionen bereitzuhalten. Und zwar auf mehrere Jahre angelegt, damit Unternehmen und Empfänger Planungssicherheit haben.
Scholz wiederholt dann, was Finanzminister Christian Lindner am Donnerstag - mehr oder weniger - deutlich gesagt hatte: Damit in diesem Jahr die Hilfen gesichert sind, wird die Regierung dem Bundestag für 2023 vorschlagen, die für solche Fälle im Grundgesetz ermöglichte Ausnahme von der Schuldenbremse erneut zu beschließen.
Ausnahme von der Schuldenbremse
Der Etat für 2024 werde im Lichte des Urteils „genau überarbeitet“. Und zwar zügig und mit der gebotenen Sorgfalt. Die Bundesregierung lasse sich von fünf Zielen leiten: Erstens: Die Folgen des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine und seine Auswirkungen auf Deutschland abmildern. Zweitens: Die Ukraine unterstützen. Drittens: Weiterhin den Zusammenhalt in Deutschland stärken. Viertens: Deutschland weiter modernisieren für eine starke Industrie, gute Arbeitsplätze und gute Löhne. Fünftens: Schnellere Digitalisierung.
Bundesregierung und Bundestag würden alle Beschlüsse, die für den Haushalt 2024 erforderlich seien, „schnell treffen“. „Das wollte ich Ihnen heute mitteilen“, sagt Scholz zum Schluss. Die Frage bleibt, warum er das nicht schon viel eher gemacht hat. Ein Wort des Bedauerns, der Demut, ist nicht zu hören. Am Dienstag will er noch eine Regierungserklärung abgeben.