Trotz starker AfD: „Grundrechte sind in Köpfen der Menschen fest verankert“

Hunderttausende Menschen demonstrieren dieser Tage für die Demokratie und gegen Hass und rechte Hetze. Festigt dies auch die im Grundgesetz verankerten Grundrechte?

GERTRUDE LÜBBE-WOLFF: Die sind im Grundgesetz und zum Glück auch in den Köpfen der meisten Menschen sowieso fest verankert. Aber natürlich ist es gut, wenn von diesen Rechten auch Gebrauch gemacht wird. Erst recht, wenn es für einen guten Zweck geschieht.

Wie groß schätzen Sie die Gefahr für die Demokratie in Deutschland aktuell ein?

Ich bin längst nicht so besorgt wie viele andere. Es verschiebt sich etwas im politischen Spektrum, aber das ist in einer Demokratie normal, und ich mache mir nicht wirklich Sorgen, dass Rechtsstaat und Demokratie bei uns über die Wupper gehen und verfassungsfeindliche Pläne wie die von der millionenfachen Remigration realisiert werden.

Keine Mehrheit für Remigrations-Pläne Ich sehe nicht, dass es dafür Mehrheiten gäbe, vermutlich nicht einmal in der AfD. Außerdem gibt es in unserer Verfassungsordnung starke Sicherungsmittel, die längst nicht so einfach auszuhebeln sind wie in der Weimarer Zeit. Wenn manche Leute meinen, die Lage sei wieder so wie kurz vor 1933, dann ist das wirklich Hysterie. Aber natürlich muss man sich Gedanken machen über die erkennbaren Radikalisierungs- und Polarisierungstendenzen, und niemand kann sicher wissen, was los wäre, wenn jetzt zum Beispiel noch eine große ökonomische Krise hinzukäme.

Zuletzt wurde in einer Online-Petition, die von rund 1,6 Millionen Menschen unterzeichnet wurde, die Entziehung von Grundrechten für den thüringischen AfD-Partei- und Fraktionschef Björn Höcke gefordert. Wie aussichtsreich wäre solch ein Unterfangen?

Viele meinen ja, eine Grundrechtsverwirkung würde das Bundesverfassungsgericht sowieso nicht aussprechen, weil es sich als Grundrechtegericht davor scheut. Bisher habe ja auch noch kein solches Verfahren Erfolg gehabt. Das Bundesverfassungsgericht hat aber nicht bloß die Grundrechte, sondern auch alle anderen Bestimmungen der Verfassung anzuwenden und die Verfassung als Ganze zu schützen. Außerdem bedeutet eine Grundrechtsverwirkung ja nicht, dass die Betroffenen dann völlig rechtlos und quasi vogelfrei wären – so etwas würde in eine Ordnung wie die des Grundgesetzes, die sich auf die Menschenwürde jedes Einzelnen gründet, tatsächlich nicht passen.

Vier Verfahren scheiterten bisher Es geht ja nur um eine Beschränkung einzelner Rechte dahingehend, dass der Betreffende sich nicht mehr erfolgreich politisch betätigen kann. Die vier bisherigen Verfahren sind alle daran gescheitert, dass die betroffenen Personen als nicht mehr gefährlich galten. Das träfe auf heute aktive und erfolgreiche Politiker, die die freiheitliche demokratische Grundordnung bekämpfen, nicht zu.

Die AfD wird in mehreren Bundesländern vom Verfassungsschutz als nachweislich rechtsextrem eingestuft. Ist eine solche Partei geeignet, an Wahlen teilzunehmen?

Sie kann an Wahlen teilnehmen, solange sie nicht als verfassungswidrig verboten ist. Ein solches Verbot können aus gutem Grund nicht die Verfassungsschutzbehörden aussprechen, sondern nur das Bundesverfassungsgericht. Und das Gericht bräuchte für die Feststellung, ob eine Partei oder ein Landesverband verfassungswidrig ist, mehr Material, als sich in den bisherigen Verfassungsschutzberichten findet. Aber die liefern natürlich wichtige Mosaiksteine.

Abschottung wird zum Risiko Wo sehen Sie derzeit neben der AfD die größten Gefahren für Demokratie und Erhalt der verfassungsrechtlichen Ordnung?

Ich sehe, wie gesagt, die Verfassungsordnung nicht konkret in Gefahr. Es gibt aber natürlich gewisse Risiken. Dazu gehört die zunehmende Abschottung der verschiedenen politischen Milieus voneinander. Die wird nicht nur dadurch gefördert, dass Leute sich in den sozialen Medien nur noch in ihrer eigenen Blase, mit lauter Gleichgesinnten, austauschen.

Es gehört dazu auch die zunehmende soziale Trennung der Wohngebiete, die durch die Miet- und Immobilienpreisentwicklung noch einmal zusätzlich gefördert worden ist, und, teilweise damit zusammenhängend, die zunehmende soziale Sonderung in den Bildungseinrichtungen, vor allem in den Schulen. Die einen gehen in Schulen, oder haben dort ihre Kinder, in denen der größte Teil der Schüler zuhause nicht Deutsch spricht. Die anderen können ihre Kinder auf Privatschulen schicken oder wohnen in einem Quartier, in denen es nur Kinder aus einigermaßen wohlhabenden Häusern gibt, die von vorneherein ganz anders aufgestellt sind, egal ob mit oder ohne Migrationsgeschichte.

Akademiker sind abgehoben vom Rest der Gesellschaft Dieser sozialen Segregation muss viel stärker entgegengewirkt werden, und wir müssen auch wegkommen von der einseitigen Bevorzugung akademischer Bildung. Die ist mitverantwortlich dafür, dass das Universitätsmilieu heute in Teilen so merkwürdig abgehoben ist vom Rest der Gesellschaft.

Zuletzt haben Arbeitgeberverbände deutlich Stellung für den Erhalt der Demokratie und gegen die AfD bezogen. Welche Institutionen sehen Sie aktuell darüber hinaus gefordert, sich in ähnlicher Weise in diese Debatte einzumischen?

Ich wäre mit Forderungen, dass jemand Bekenntnisse ablegt, immer vorsichtig. Zur Demokratie gehört auch die Freiheit, sich nicht zu äußern. Außerdem gibt es noch verdienstvollere Aktivitäten als das öffentliche Kundtun von Positionen. Man kann sich ja zum Beispiel in der Bildungsförderung engagieren, als Lesepate oder wie auch immer, oder in Vereinen oder Initiativen daran mitarbeiten, dass Kinder und Erwachsene bei gemeinsamen Aktivitäten, ob das nun Fußballtraining ist oder Nachbarschaftshilfe, sich näherkommen, am besten eben über soziale und kulturelle Unterschiede hinweg.

Demonstrationen gut, aber es braucht mehr Wäre es aus Ihrer Sicht eine gute Idee, wenn sich die aktuellen Demonstrationen für Demokratie und Vielfalt verstetigen würden, indem sie regelmäßig stattfinden, etwa einmal im Monat und das auf unbestimmte Zeit?

Wie gesagt, ich finde diese Demonstrationen gut. Aber statt sie zu verstetigen, fände ich es besser, wenn mehr Zeit in Gemeinsamkeit mit Leuten gesteckt würde, die nicht eh schon alle einer Meinung sind.

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