Es war eine Notoperation, dass der Bundesrat in der letzten Sitzung vor Weihnachten die Erhöhung der Pflegeversicherungsbeiträge noch durchgewunken hat. Ohne diese Zusatzeinnahmen hätten den Pflegekassen zum Jahresauftakt Zahlungsengpässe gedroht mit verheerenden Folgen für die Versorgung der Pflegebedürftigen in Heimen und in den eigenen vier Wänden.
Zusammengerechnet mit dem durchschnittlichen Anstieg der Krankenkassenbeiträge um 0,8 Prozentpunkte steigen die Sozialbeiträge zum Jahresauftakt insgesamt um einen Prozentpunkt. Das ist saftig. Und es ist schlecht für die Konjunktur: Die Beiträge werden zur Hälfte von Arbeitgebern und Arbeitnehmern getragen. Das heißt, für die Arbeitgeber erhöhen sich die Personalkosten. Die Arbeitnehmer haben weniger im Geldbeutel, was auf die ohnehin eher bescheidene Konsumstimmung schlagen wird.
Die auch beschlossenen Steuersenkungen über eine Abmilderung der sogenannten kalten Progression und der Anstieg des Kindergelds um 5 Euro pro Kind und Monat werden die negativen Effekte durch die kletternden Sozialbeiträge bei den kleinen und mittleren Einkommen nicht ausgleichen können. Sie sind in der Regel durch die Sozialbeiträge stärker belastet als durch Steuern.
Kein Wahlprogramm steuert mit Reformen wirksam dagegen
Der aktuelle Anstieg der Sozialbeiträge ist nur die Spitze des Eisbergs. Die Sozialkassen Rente, Pflege und Gesundheit sowie angesichts der Industriekrise auch die Arbeitslosenversicherung werden in den nächsten Jahren noch viel stärker unter Druck geraten. Leider bietet keine Partei in ihrem Wahlprogramm ein überzeugendes Konzept, wie mit wirksamen Reformen gegengesteuert werden kann.
Der geburtenstärkste Jahrgang, den die Republik je hervorgebracht hat, ist in diesem Jahr 60 geworden. Noch sind die meisten von ihnen erwerbstätig – in den letzten Jahren des Arbeitslebens vielfach mit guten Einkommen, wodurch sich wiederum die Sozialkassen füllen. In den nächsten Jahren wird sich die Generation der Babyboomer nach und nach aus dem Arbeitsleben verabschieden und mit steigendem Alter auch mehr Leistungen aus der Kranken- und Pflegeversicherung in Anspruch nehmen müssen. Darauf sind die Systeme nicht vorbereitet – weder finanziell noch personell.
Diese Probleme stehen nicht plötzlich vor der Tür. Sie wurden in den vergangenen Jahrzehnten x-fach vorhergesagt. Die wechselnden Regierungen hatten aber nie die Kraft, bei den Leistungen Maß zu halten und die Finanzierung der Bevölkerungsentwicklung anzupassen. Es reichte immer nur für kosmetische Maßnahmen, während die Leistungen ausgeweitet wurden – mal als Wahlgeschenk wie die vorgezogene Rente nach 45 Beitragsjahren, mal aus dringender Notwendigkeit wie bei der Pflege von Demenzkranken.
Mehr als fünf Millionen Menschen erhalten Leistungen aus dem System
Die größte Dynamik liegt in der kleinen Pflegeversicherung, die vor knapp 30 Jahren eingeführt wurde. Inzwischen erhalten mehr als fünf Millionen Menschen Leistungen aus dem System und es werden angesichts der Alterung der Bevölkerung immer mehr. Insbesondere bei der Pflege wird die nächste Bundesregierung ein großes Problem erben, das die Ampel nicht mehr lösen konnte. Die 0,2 Prozentpunkte Beitragserhöhung sind wirklich nur ein schneller Eingriff, damit der Patient überlebt. Gesichert ist die Pflege damit nicht. Die eigentliche größere Operation steht dringlich an.
Was bei den Sozialversicherungen geschehen muss, ist keine Raketenwissenschaft. Grob gesagt braucht es eine Beschränkung der Leistungen auf das Notwendige, mehr Effizienz in den Systemen und zusätzliche finanzielle Vorsorge, da die Finanzierung der Kassen durch Beiträge und Steuermittel schon heute seine Grenzen erreicht hat.