München. Europa wacht mit der Münchner Sicherheitskonferenz in einer neuen Welt auf. Die USA unter Donald Trump brechen mit den gemeinsamen Grundwerten. Die Zeitenwende nach dem russischen Überfall auf die Ukraine vor drei Jahren nimmt eine Dimension an, die vor kurzem noch unvorstellbar war.
Es geht nicht mehr allein um den russischen Aggressor Wladimir Putin und die Verteidigung Kiews. Es geht auch um einen angehenden Diktator in Amerika und um die Sicherheit Europas.
Es ist ein beklemmendes Gefühl, dass sich die Lage ausgerechnet vor und auf einer Konferenz in München zugespitzt hat. 1938 schlossen hier die Staats- und Regierungschefs von Italien, Frankreich und Großbritannien mit Hitler ein Abkommen zur „Abtretung des sudetendeutschen Gebiets“ an das Deutsche Reich. Es sollte den Frieden in Europa sichern.
Appeasement Politik in München
Die Tschechoslowakei, die es betraf, war nicht eingeladen. London und Paris sicherten ihr aber den Bestand ihres Reststaates zu. Der Vorgang ist als „Appeasement-Politik“ in die Geschichte eingegangen – und als historischer Irrtum, Hitler beschwichtigen zu können.
Nun sprachen Trump und Putin vor Beginn der Münchner Sicherheitskonferenz über ein Ende des Krieges und die USA verbreiteten die Hiobsbotschaft, dass die Ukraine ihre von Russland eroberten Gebiete abtreten müsse. Das ist Verrat an Kiew. Da hilft es nur wenig, dass Trump hinterher auch mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj telefonierte. Europa, wo der Krieg tobt, will Trump aus den Verhandlungen ganz raushalten.
Ferner machte Trumps Vize J. D. Vance in München gut eine Woche vor der Bundestagswahl indirekt Werbung für die in Teilen rechtsextreme AfD. Sein Credo: Es gebe keinen Platz für eine Brandmauer. Demnach könnte man Hausbesitzern auch raten, ihr brennendes Heim mit Feuer zu löschen.
Keine Zeit für Appeasement
Deshalb muss es mit Beschwichtigungen vorbei sein, es ist keine Zeit für Appeasement. Selenskyj hat in München die Rede gehalten, die überzeugte europäische Staatsmänner und -frauen in dieser Härte nach Trumps erster Amtszeit längst hätten halten müssen. Nun braucht Europa in Rekordtempo neuen Zusammenhalt und den Aufbau gemeinsamer Streitkräfte, um die Abhängigkeit von den USA zu verringern.
Denn die Trump-Truppe teilt unsere demokratischen Werte nicht, die uns einst die USA gelehrt haben. Trump erhebt Ansprüche auf andere Staatsgebiete, was dem Völkerrecht widerspricht. Er verhöhnt Minderheiten, was den Menschenrechten widerspricht. Er schmeißt steuerzahlende Migranten aus dem Land, was Humanität und Wirtschaftslage widerspricht. Er ist unberechenbar. Er spaltet.
Das ist die derzeit größte Herausforderung für Europa: dass sich die einzelnen Staats- und Regierungschefs nicht auseinanderdividieren lassen in der Hoffnung, Trump werde ihre Länder nicht ganz so schlecht behandeln. Dann hätte er schon gewonnen. Diese Gefahr ist groß, denn Staaten wie Ungarn, Italien und Frankreich bemühen sich bereits um bilaterale Nähe.
Das gute alte Europa ist Geschichte
Der nächste Bundeskanzler muss schnell neues Vertrauen und Selbstvertrauen in Europa aufbauen. Das ist Deutschlands Part als größte Volkswirtschaft. Und Nato-Generalsekretär Mark Rutte muss wie keiner vor ihm die Ostflanke gegen Russland stärken und gleichzeitig für Einklang zwischen Europa und den USA in dem Bündnis sorgen. Womöglich kann er einen von Trump so geliebten Deal einfädeln: Europa ersetzt US-Truppen und kauft den USA Waffen ab.
Das gute alte Europa ist Geschichte. Und es bleibt keine Zeit, sich von diesem Schock erst einmal zu erholen. Ein neues Europa muss geschaffen werden. Dafür ist vor allem eine gemeinsame Erkenntnis nötig: Es ist Gefahr im Verzug.