Taktisch wählen bei der Bundestagswahl: Das gilt es zu beachten

Noch immer weiß etwa ein Viertel der Deutschen laut Umfragen noch nicht genau, wem es bei der Bundestagswahl am Sonntag die Stimme gibt. Das liegt auch am Frust über drei Jahre Dauerstreit der Ampel und der Unzufriedenheit mit den Spitzenkandidaten aller Parteien. Vielen Wählenden ohne klare Partei-Präferenz ist ohnehin wichtiger, welche Koalition gebildet wird oder wer als stärkste Kraft Kanzler oder Kanzlerin stellen soll. Dieses &bdquo;taktische Wählen“ wird bei der anstehenden Bundestagswahl so kompliziert wie nie zuvor. Wir stellen anhand der aktuellen Umfragen und Koalitionsaussagen der Wahlkämpfer einige Möglichkeiten vor, es dennoch zu tun – sofern man andere Prioritäten hat als das reine Wahlprogramm.

Kann man trotz neuem Wahlrecht &bdquo;Stimmen splitten“? Das klassische Beispiel für taktisches Wählen ist das sogenannte &bdquo;Stimmen-Splitting“ – also die Vergabe von Erst- und Zweitstimme an verschiedene Parteien. Dabei haben manche Wähler ihre Erststimme, mit der man den Vertreter für den Wahlkreis direkt in den Bundestag wählt, unter den aussichtsreicheren Kandidaten vergeben – also denjenigen gewählt, mit dem sie besser leben können.

Allerdings hat die Ampel-Koalition 2023 das Wahlrecht geändert: Die Zahl der Mandate ist strikt auf 630 beschränkt, und Direktmandate müssen künftig durch Zweitstimmen der Partei abgesichert sein. Das heißt: Gewinnt eine Partei mehr Direktmandate, als ihr durch den Anteil der Zweitstimmen zustehen, fallen ihre Direktmandate mit den niedrigsten Stimmenanteilen weg. Wahlkreisgewinner ziehen dadurch nicht mehr sicher in den Bundestag ein, auch wenn das nur sehr wenige Direktkandidaten betrifft.

Wie stimmt man für eine neue GroKo? Laut einer neuen Forsa-Umfrage wünscht sich die Mehrheit der Deutschen nach der Wahl eine Regierungskoalition aus Union und SPD, einst als &bdquo;Große Koalition“ betitelt. Allerdings gibt es aktuelle Umfragen, laut denen ein solches Bündnis womöglich gar nicht ausreichend Stimme bekäme. Das kommt nämlich ganz darauf an, wie gut FDP, Linke und BSW abschneiden.

Fakt ist: Da CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz auch Koalitionsgespräche mit den Grünen nicht ausgeschlossen hat, ist die sinnvollste Stimme für eine &bdquo;Groko“ eine Stimme für die SPD – die dann dort als Juniorpartner landen könnte. Analog dazu müsste für die Grünen stimmen, wer sich Schwarz-Grün wünscht.

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Den Merz-Gegnern bleiben in diesem Fall nur zwei Überlegungen: Will ich einen bestimmten Juniorpartner stärken? Dann müssten sie SPD oder Grüne wählen. Denkbar wäre auch die FDP, falls man Merz als Kanzler einer schwarz-gelben Regierung ermöglichen will – dabei besteht allerdings das Risiko, dass die FDP an der Sperrklausel scheitert und man so indirekt die Union innerhalb einer Zweierkoalition stärkt.

Wie stimmt man für stabilere Verhältnisse? Kompromisslosigkeit, Dauerstreit und Polarisierung der Gesellschaft: Taktische Wähler, die vor allem darunter leiden, sind am besten damit beraten, Union oder SPD zu wählen. Klingt unfair, ist aber bei nüchterner Betrachtung aus politischen Gründen so: Sobald Linke, FDP oder BSW – oder sogar mehrere davon – in den Bundestag einziehen, wird es für ein Zweierbündnis unter CDU/CSU-Führung knapp.

Dasselbe gilt für eine besonders starke AfD. Ohnehin dürfte angesichts des Antagonismus zwischen AfD und den etablierten Parteien ein hohes AfD-Ergebnis in den nächsten vier Jahren eher für Instabilität sorgen, zumal Merz die Zusammenarbeit mit der AfD kategorisch ausschließt. Fast ebenso schlecht ist die CSU auf die Grünen zu sprechen. So würde Schwarz-Grün in Wahrheit ebenso ein instabiles Dreierbündnis – mit einem Streitpotenzial zwischen CSU und Grünen auf Ampel-Niveau.

Wie schwächt man die AfD? Bei den Landtagswahlen in Ostdeutschland zeigte sich seit einigen Jahren ein neues Phänomen des Taktikwählens: Weil die AfD in Brandenburg, Sachsen und Thüringen gute Chancen hatte, stärkste Kraft zu werden, wechselten diejenigen Wähler, die in erster Linie genau das verhindern wollten, beim aussichtsreichsten Konkurrenten. So stimmten SPD- oder Grünen-Wähler für die CDU, um die AfD auf Rang 1 zu verhindern.

Bei der anstehenden Bundestagswahl hat die AfD nun allerdings keine Chance, stärkste Kraft zu werden. Deshalb ist es eine Frage der Philosophie, wie man sich gegen den Rechtspopulismus einsetzt. Eine Möglichkeit ist es, für besonders stabile Verhältnisse und wenig Polarisierung zu stimmen – siehe oben.

Eine andere Option ist es, für eine starke linke Opposition zu sorgen. Falls es die Union mit der SPD koaliert, könnten das die Grünen sein. Wer aber weder AfD noch CDU/CSU stärken will – auch nicht einen möglichen Juniorpartner – für den kommt die Linkspartei infrage. Weil das zurzeit viele, besonders jüngere Wähler, so sehen, legt die Linke gerade in den Umfragen stark zu und kann nun wieder damit rechnen, es in den Bundestag zu schaffen.

Wie verhindert man eine &bdquo;Sperrminorität“ der AfD? Bei der Landtagswahl in Thüringen ist die AfD im vorigen September zwar stärkste Kraft geworden, konnte aber keine Partner für eine Regierungsmehrheit finden. Dennoch stehen ihr allein durch ihr hohes Wahlergebnis Rechte im Parlament zu, die ihr viel Macht verleihen: Mit ihren 32 Sitzen verfügt die AfD über eine Sperrminorität, da sie in der Lage ist, Beschlüsse zu blockieren, die eine Zwei-Drittel-Mehrheit erfordern.

Wer in erster Linie eine solche Sperrminorität im Bundestag verhindern will, hat ein Interesse daran, dass möglichst wenige der 630 Mandate an die AfD gehen. Das ist umso sicherer der Fall, je sicherer die gewählte Partei über der 5-Prozent-Hürde liegt – sprich: gegen eine Sperrminorität der AfD wirken vor allem Stimmen für Union, SPD und Grüne.

Was spricht für eine Stimme für Klein- und Kleinstparteien? Ein klassischer Anlass fürs taktische Wählen sei es auch, wenn die eigene Partei in Umfragen beispielsweise bei 3,5 Prozent liegt und damit wenig Chancen hat, den Sprung in den Bundestag zu schaffen, sagte Politikwissenschaftler Frank Brettschneider von der Universität Hohenheim dem Bayrischen Rundfunk: Dann wählten manche die zweitliebste Partei, um ihre Stimme nicht zu verschenken. Das wirft die Frage auf: Was spricht eigentlich dafür, eine kleine Partei zu wählen?

Die ist natürlich zum einen die reine Lehre: Wer Anhänger oder gar Mitglied einer Partei ist, wird sie bei Wahlen auch dann unterstützen, wenn sie nicht ins Parlament kommt. Davon profitiert die Partei nicht nur politisch, indem sie auf allmählich wachsende Mitglieds- und Wählerzahlen hoffen kann – sondern auch finanziell: Laut Gesetz haben alle Parteien, &bdquo;die nach dem endgültigen Wahlergebnis der jeweils letzten Europa- oder Bundestagswahl mindestens 0,5 Prozent“ erreichen, einen Anspruch auf einen staatlichen Zuschuss von 83 Cent pro eingefahrene Stimme. Um den Vorteil auszugleichen, den etablierte gegenüber neuen Parteien haben, wird für die ersten vier Millionen Stimmen sogar jeweils 1 Euro gewährt. Eine Stimme in der Bundestagswahl unterstützt insofern auch die Arbeit der Partei auf Kommunalebene, wo sie in Stadträten oder Kreistagen einfacher mitwirken kann.

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