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Gérard Depardieu verurteilt: Das große Schweigen ist vorbei

Stefan Stosch

Das Urteil gegen Gérard Depardieu, hier bei einem Auftritt vor Gericht im März, lautet 18 Monate auf Bewährung. - © Aurelien Morissard/AP/dpa
Das Urteil gegen Gérard Depardieu, hier bei einem Auftritt vor Gericht im März, lautet 18 Monate auf Bewährung. (© Aurelien Morissard/AP/dpa)

Das Festival von Cannes muss man sich als Paralleluniversum vorstellen. Filme sind auf dem südfranzösischen Kinoolymp viel wichtiger als die Welt da draußen. Doch just zur Eröffnung ist eine Nachricht an der Côte d’Azur mit Macht eingeschlagen: Kein Geringerer als Gérard Depardieu wurde wegen sexueller Übergriffe schuldig gesprochen.

Ein Pariser Gericht sieht es als erwiesen an, dass der französische Star 2021 bei Dreharbeiten zwei Frauen an Busen und Hintern begrapscht hat. Mit dem Schuldspruch ist ein Schauspieler vom Denkmal gestürzt, der die längste Zeit seiner einzigartigen Karriere im Kinoland Frankreich und besonders in Cannes gottgleich verehrt wurde.

Die 18-monatige Haftstrafe ist zur Bewährung ausgesetzt. Depardieu ist glimpflich davongekommen. Es wäre eine Verurteilung von bis zu fünf Jahren Gefängnis möglich gewesen. Beinahe mehr zählt, dass sein Name künftig in einer Datei für Sexualtäter geführt werden soll. Damit ist quasi für diesen einen Fall amtlich, was zahlreiche Frauen erst nach und nach gegen ihn vorzubringen wagen: Depardieu habe sie sexuell attackiert, verbal oder auch körperlich.

Fall Depardieu ist nur die Spitze des Eisbergs

Die #MeToo-Bewegung, die es in Frankreich noch schwerer hat als anderswo, feiert das Urteil erleichtert. Und doch ist klar, dass an diesem Tag nur die berühmt-berüchtigte Spitze des Eisbergs sichtbar geworden ist. Sexuelle Gewalt war (nicht nur) in der französischen Kinobranche systemimmanent, hat jüngst eine parlamentarische Untersuchungskommission festgestellt. Die Machtverhältnisse zwischen Regisseuren und Schauspielerinnen wurden lange nicht hinterfragt. Frauen wurden oft unter dem Deckmantel der Kunst zu Opfern. Nacktszenen gehörten meist ohne jede dramaturgische Notwendigkeit auf den Drehplan.

Seit dem tiefen Fall des US-Produzenten Harvey Weinstein 2017 hat sich einiges geändert. Zum Beispiel sind inzwischen Intimitätskoordinatoren am Set selbstverständlich, die sicherstellen sollen, dass Sexszenen respektvoll verlaufen. Psychologisches Personal steht zur Verfügung. Das große Schweigen ist vorbei.

#MeToo: Mehr Rück- als Fortschritte

Was sich bisher nicht hinreichend gewandelt hat, ist offenbar das Denken. Und da sind momentan trotz des weltweiten #MeToo-Protests die Rückschritte womöglich größer als die Fortschritte: In den USA regiert ein Präsident, der sich einst damit gebrüstet hat, Frauen ungestraft in den Schritt greifen zu können. Gleichstellungsrechte zwischen Mann und Frauen drohen vielerorts wieder abgeräumt zu werden.

Depardieu hat sich jüngst damit zu verteidigen versucht, er sei „weder ein Vergewaltiger noch ein Raubtier. Ich bin nur ein Mann.“ Aus Sicht seiner mutmaßlichen Opfer war genau dies das Problem.

Depardieus Anwalt hat angekündigt, gegen das Urteil in Berufung zu gehen. Unterdessen droht seinem Mandanten ein weiterer Prozess wegen des weit schwerer wiegenden Verdachts auf Vergewaltigung einer jungen Schauspielerin.

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