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Für ein Leben ohne Schmerzen: Salzuflerin entscheidet sich für Amputation

Alexandra Schaller

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Stefanie Dietrich hat sich den Arm amputieren lassen. Mit Hilfe ihrer elektronischen Prothese kann sie selbst filigrane Dinge greifen. - © Alexandra Schaller
Stefanie Dietrich hat sich den Arm amputieren lassen. Mit Hilfe ihrer elektronischen Prothese kann sie selbst filigrane Dinge greifen. (© Alexandra Schaller)

Bad Salzuflen-Schötmar. Zu gern würde sich Stefanie Dietrich einmal wieder einen Zopf machen. Aber sonst? Solange sie auch darüber nachdenkt: Damit endet die Liste an Dingen, die sie nicht mehr tun kann, eigentlich auch schon. Vor gut zwei Jahren ließ sich Stefanie Dietrich den rechten Arm oberhalb des Ellenbogens amputieren. Mit der vagen Hoffnung, dann endlich ein Leben ohne Schmerzen führen zu können. Eine Entscheidung, die sie bis heute nicht bereut hat.

Stefanie Dietrich, 37 Jahre, Pferdewirtschaftsmeisterin, breites Lächeln, sitzt im Wohnzimmer ihres Einfamilienhauses in Schötmar, wo sie mit ihrem Partner lebt. Auf dem Tisch stehen Dominosteine, im Regal reihen sich Familienfotos aneinander, Jack Russel Terrier Herkules bringt schwanzwedelnd ein Spielzeug. Ein ganz normales Leben, scheint es. Ein Leben, das der 1. Oktober 2016 für immer verändern sollte.

"Das wäre ja schon spektakulär genug gewesen"

Es ist ein Samstag, Stefanie Dietrich ist als Betriebsleitung auf einem Hof in Horn-Bad Meinberg tätig. Gerade übt sie mit einem Pferd das Verladen auf einen Lkw, als das Tier erschrickt und ihre rechte Hand zwischen Pferd und Anhänger gerät. Ihre Hand wird gequetscht, der Mittelfinger bricht, das vorderste Glied des Zeigefingers reißt ab. „Das wäre ja schon spektakulär genug gewesen", sagt sie. Spätestens Weihnachten will sie wieder auf einem Pferd sitzen, ganz klar. Doch es sollte anders kommen.

Nach vier Wochen Gipsschiene soll sie mit Hilfe von Physiotherapie die Hand trainieren. Doch ohne Schmerzmittel geht das kaum. „Die Bewegung war kaum auszuhalten und es wurde immer schlimmer." Ein Arzt stellt fest: Sie hat Morbus Sudek, auch CRPS (Komplexes Regionales Schmerzsyndrom) genannt, eine chronische neurologische Erkrankung, die aufgrund ihrer Seltenheit kaum erforscht ist.

"Ich hatte 24 Stunden am Tag Schmerzen"

Drei Wochen soll sie zur stationären Reha, um die Krankheit aufzuhalten. Aus drei Wochen werden mehr als vier Monate. Die Ärzte versuchen jede erdenkliche Therapie – ohne Erfolg. „Ich hatte 24 Stunden am Tag Schmerzen", sagt Stefanie Dietrich. In der Reha sitzt sie nachts im Schwesternzimmer oder duscht mehrmals, um sich abzulenken. An Schlaf ist sowieso nicht zu denken. Wieder zuhause schluckt sie gut 20 Tabletten täglich, starke Schmerzmittel, von denen sie immer benebelter wird. Sie wird weiterhin täglich zur ambulanten Reha gebracht, um einen Tagesrhythmus beizubehalten. An den Schmerzen ändert das allerdings nichts. „Ich habe zuhause nur herumgelegen, und gewartet, dass der Tag vorbeigeht."

Erleichterung nach der OP

Vor ihrem Freund, ihrer Familie, versucht sie stark zu sein. „Wie es mir wirklich ging, wusste nur ich selbst." Inzwischen kann sie ihren Arm bis zum Ellenbogen nicht mehr bewegen, die Finger sind verkrümmt, jede Berührung, selbst Kontakt mit Wasser, wird zur Qual. „Ich trug nur noch T-Shirt und Weste, weil ich keinen Pullover, keine Jacke anziehen konnte." Ende 2017 fällt das erste Mal das Wort Amputation.Ob ihr die Operation helfen wird, ist unklar. Doch die Alternative sind noch mehr Schmerzmittel. Stefanie Dietrich informiert sich monatelang, wägt das Für und Wider ab. Ihr ist klar: Im schlimmsten Fall verliert sie ihren Arm, aber die Schmerzen könnten bleiben, etwa in die Schulter wandern. „Bei dieser Entscheidung konnte mir niemand helfen." Am 1. März 2018 wird ihr Arm in Duisburg amputiert. „Ich war nach der OP einfach nur erleichtert."

Wieder zuhause geht es ihr schnell besser, auf eigene Faust reduziert sie langsam die Schmerzmittel – auf Null. Bis heute ist sie schmerzfrei. Und kann endlich wieder ein halbwegs normales Leben führen. Mit einer Prothese lassen sich die Ärzte bewusst Zeit, denn der Arm ist nach wie vor empfindlich. „Es gibt ein paar Stellen, die nach wie vor bei Druck schmerzen." Ostern 2019 erhält sie ihre erste vorläufige Prothese, hat heute eine sogenannte myoelektrisch gesteuerte Armprothese. In ihr sind 14 Griffmuster gespeichert, die sie über Elektroden und Nerven im Oberarm gezielt ansteuern kann. „Ich wollte nicht nur etwas heben können, sondern auch feinmotorisch so viele Funktionen retten wie möglich."

Abends lädt der Arm neben dem Handy

Der Arm ist schwarz, wiegt gut zwei Kilogramm und kostet einen sechsstelligen Betrag. „Ich trage quasi einen PC am Arm", erklärt Stefanie Dietrich. An die Geräusche, die entstehen, wenn sie die Finger bewegt, musste sich auch Jack Russel Herkules erst gewöhnen. Und auch die Technik ist anfällig. „Man braucht eine hohe Frustrationstoleranz", sagt sie. Denn nicht immer will der Arm direkt so wie sie möchte. Daher fährt Stefanie Dietrich nach wie vor regelmäßig zu den Duisburger Technikern, die sie einfach nur „die Jungs" nennt. Wenn Not am Mann ist, können die auch per Ferndiagnose und Tablet auf den Arm zugreifen. „Und abends hängt er neben dem Handy zum Laden an der Steckdose", sagt Stefanie Dietrich und muss selbst lachen.

Gut zwei Jahre und noch mehr Übung wird es brauchen, bis der Arm optimal auf sie eingestellt ist. Jeans zuknöpfen, Schuhe binden, sogar Bügelperlen legen – all das geht inzwischen. „Ich habe einfach keine Lust, immer jemanden um Hilfe bitten zu müssen", sagt sie. Sechs bis acht Stunden kann sie die Prothese pro Tag tragen, die übrige Zeit wuppt sie ihr Leben quasi „mit links" – fährt einarmig Auto oder schreibt inzwischen mit der linken Hand.

"Es ist ein verrücktes Leben"

Auch auf einem Pferd hat sie zwischenzeitlich wieder gesessen, gibt Reitunterricht oder begleitet ihre Schüler auf Turniere. Ihren Beruf wird sie allerdings nie mehr ausüben können. Ganz ohne Landwirtschaft geht es aber auch nicht: Ab kommendem Jahr will sie nach einer Weiterbildung zur Fachkraft für Arbeitssicherheit für ein Unternehmen arbeiten, das Landwirte berät. „Ich wollte endlich wieder eine Aufgabe haben."

Insgesamt ist es ein verrücktes Leben, das Stefanie Dietrich heute lebt, sagt sie. „Aber ich bin auch ruhiger geworden. Und dankbarer für alles, was geht." Dass ihr die Amputation so viel Lebensqualität zurückgeben würde, damit hätte sie nie gerechnet. „Mein Ziel war nur, wieder einen Pulli oder eine Jacke anziehen zu können – ohne Schmerzen." Das funktioniert. Bis auf neulich: Da hat sie sich mit ihrer Prothese in einem ihrer Pullis verfangen und kam einfach nicht mehr raus. „Aber ich wollte ihn eben unbedingt anziehen", sagt sie und lacht.

Training

Im „Empire Fitness" in Schötmar, wo auch Diskuswerfer und Paralympics-Sieger Sebastian Dietz trainiert, hat sich Stefanie Dietrich einer Gruppe von Menschen mit Handicap angeschlossen, die regelmäßig Leichtathletik trainieren. Sie selbst ist darüber zum Speerwerfen gekommen. Seit Anfang des Jahres gibt es außerdem in Bad Oeynhausen und Hiddenhausen zwei Gruppen für Kinder mit Handicap, Stefanie Dietrich würde gerne eine weitere in Bad Salzuflen ins Leben rufen. Wer Interesse hat, kann sich bei Alexander Holstein unter Tel. (0179) 2547341 oder per Mail an alex-holstein62@web.de melden.

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