Bad Salzufler will die Krebstherapie revolutionieren

Bad Salzuflen/Berlin. Biologie-Leistungskurs in den 1990er Jahren bei Lehrerin Birgit Unser in Bad Salzuflen – hier liegen die Wurzeln für eine steile Karriere in der Biotechnologie mit dem Potenzial, die Krebstherapie zu revolutionieren und damit viele Menschenleben zu retten. Dafür gab es am Freitag in Berlin eine international renommierte Auszeichnung.

Der Bad Salzufler Andreas Schmidt (42) ist ein Preisträger des Wettbewerbs &bdquo;Breakthrough of the Year" (Durchbruch des Jahres) auf dem &bdquo;World Science Summit 2020" in Berlin, einer der größten interdisziplinären Wissenschaftskonferenzen weltweit. Mit dem Titel wird die rasante Entwicklung seines Start-Ups &bdquo;Proteona", einer Firma mit Standorten in Köln, Singapur und den USA, honoriert.

Proteine und DNA

Das Kunstwort &bdquo;Proteona" umschreibt bereits ein Stück weit, worum es bei den Forschungen geht: &bdquo;Der Name ist ein Zusammenschluss aus Proteinen und DNA", sagt Schmidt, der mittlerweile mit seiner Familie in Köln lebt. Das kleine Unternehmen mit zehn Mitarbeitern hat ein Verfahren entwickelt, um einzelne Tumorzellen zu analysieren. Jeder Tumor ist anders: &bdquo;Das Problem bei Krebs ist, dass es keine einheitliche Erkrankung ist. Jeder Tumor, jeder Patient ist anders", sagt Schmidt. Deswegen ist die Wahl der richtigen Medikamente sehr schwer. &bdquo;Und oft ist es so, dass eine Therapie zwar Teile der Krebszellen erfolgreich bekämpft, andere, möglicherweise viel aggressivere Zellen aber überleben. Der Patient fühlt sich dann erst einmal deutlich besser, aber die Krankheit kommt oft nach sechs bis zwölf Monaten umso schlimmer zurück."

Blick in 10.000 Zellen

Das Verfahren von Andreas Schmidt und seinen internationalen Mitstreitern analysiert gleichzeitig 10.000 Zellen eines Tumors mit unterschiedlichen Messmethoden – auf ihre Beschaffenheit, die DNA und Proteine. Für jede einzelne Zelle erfolgt ein Abgleich mit großen klinischen Datenbanken. &bdquo;Wir suchen einen siamesischen Zwilling, um zu erfahren, mit welcher Medikation und Therapie diese Krebszelle eventuell schon erfolgreich behandelt wurde."

Algorithmus in der Medizin

Das Verfahren nennt sich &bdquo;Single Cell Multiomics" und gilt in Wissenschaft und Forschung als großer Hoffnungsträger für die Bekämpfung insbesondere des Multiplen Myelom (Knochen- und Knochenmarkkrebs) und der Leukämie (Blutkrebs). Durch die Analyse vieler einzelner Zellen und der Anwendung komplizierter Algorithmen auf Basis künstlicher Intelligenz kann laut Andreas Schmidt eine maßgeschneiderte Medikation für jeden einzelnen Krebspatienten zusammengestellt werden. Das Ergebnis: &bdquo;Die Therapien sind effizienter und die Nebenwirkungen geringer", so Schmidt. Die Datenmengen, die hierfür benötigt werden, sind jedoch enorm. &bdquo;Jede einzelne Probe erzeugt 40 Millionen Datenpunkte." Und pro Patient würden mehrere Proben entnommen.

Erste Patientin

In einem bedeutenden Krebsforschungszentrum ist das von Schmidt und seinen Kollegen entwickelte Verfahren bereits angewandt worden. Die schwer an einem Multiplen Myelom erkrankte Patientin, die zuvor bereits mehrere Therapien über sich ergehen lassen musste, konnte nach der Analyse durch &bdquo;Single Cell Multiomics" auf eine deutlich wirksamere Medikation umgestellt werden, die ihr noch rund zwei Jahre Lebenszeit ermöglichte. &bdquo;Dieses Rennen haben wir am Ende leider noch verloren, aber anderen Patienten wollen wir helfen", sagt Schmidt.

Große Forschungsstudie

Dafür ist jetzt an mehreren Standorten in den USA, Singapur und Deutschland eine klinische Studie mit 400 Patienten gestartet worden. &bdquo;Für die Art unserer Methode eine der größten weltweit", so Schmidt. Das Interesse von Pharmaunternehmen und Kliniken an der Forschung von &bdquo;Proteona" ist sehr groß, verrät der 42-Jährige. Große finanzielle Angebote lägen auf dem Tisch. &bdquo;Eines werden wir wohl bald annehmen", sagt er.

Milliarden sind im Spiel

Die Summen im Gesamtsystem sind enorm, kostet doch eine klinische Krebsstudie laut Schmidt rund zwei Milliarden Euro, ein zugelassenes Krebs-Medikament bringt drei bis fünf Milliarden Euro. &bdquo;Aber das Geld ist für uns nicht entscheidend. Hier geht es um Menschenleben – um jedes einzelne", sagt Schmidt.

Abi in der Kurstadt, Promotion in Kalifornien

Andreas Schmidt ist in Bad Salzuflen aufgewachsen und hat sein Abi 1997 am heutigen Rudolph-Brandes-Gymnasium gemacht. Anschließend absolvierte er seinen Zivildienst in der Biologischen Station Ravensberg in Kirchlengern. Danach studierte der ehemalige Pfadfinder kurz in Köln, um dann an die renommierte University of California in Berkeley (USA) zu wechseln. Hier promovierte der Bad Salzufler von 2004 bis 2009 als Molekular- und Zell-Biologe und widmete sich insbesondere der Immunologie und der Krebsforschung. Schmidt ist verheiratet und Vater einer siebenjährigen Tochter.

Der Wettbewerb &bdquo;Breakthrough of the Year" wird seit 2009 jedes Jahr während des &bdquo;World Science Summit" und der &bdquo;Falling Walls Konferenz" in Berlin für die bedeutendsten, wissenschaftlichen Durchbrüche weltweit und immer rund um den 9. November, den Jahrestag des Mauerfalls von 1989, vergeben. An dem internationalen Wettbewerb haben in diesem Jahr mehr als 900 Wissenschaftler teilgenommen. Insgesamt sind auf dem &bdquo;World Science Summit 2020" Preise in zehn Kategorien vergeben worden. Der Bad Salzufler Andreas Schmidt erhielt seine Auszeichnung in der Sparte &bdquo;Science Start-Ups" (Firmengründungen in der Wissenschaft).

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