„Thatcher zog die Schuhe aus“: Martin Walker plaudert in Blomberg aus dem Nähkästchen

Blomberg. Am Abend zuvor hat er noch im Blomberg Kulturhaus Alte Meierei die Zuhörer mit seinem neuen Kriminalroman begeistert. Jetzt sitzt Martin Walker nach einem Frühstück à la Francaise mit Croissants und Kaffee in der Ferienwohnung über dem Weinhandel Plat und nimmt sich Zeit, mit der LZ über eine ganz andere Facette seines beruflichen Lebens zu sprechen. Auch wenn er durchaus Deutsch spricht, so führt die LZ das Interview in der Muttersprache des gebürtigen Schotten, also auf Englisch. Es hätte auch Französisch - immerhin lebt er seit 1999 unter anderem im Périgord - oder Russisch sein können: Der journalistische Überflieger war immerhin einige Jahre Korrespondent für den Guardian in Moskau.

Mr. Walker, Sie schreiben seit langem Kriminalromane, aber vorher hatten Sie in den Achtziger Jahren ein sehr erfolgreiches Berufsleben als politischer Korrespondent in Moskau und Washington. Wie passt das zusammen?

Martin Walker : Das passt sehr gut zusammen, weil man im Grunde alles, was geschieht, auch in einer Krimihandlung verpacken kann. Ich habe beispielsweise 2011 einen Zukunftsthriller mit dem Titel &bdquo;Deutschland 2064“ geschrieben.

Wie um alles in der Welt sind Sie denn darauf gekommen? Und warum gerade Deutschland?

Martin Walker: Ich war damals Teil eines Think Tanks für die Bundeskanzlerin Angela Merkel und den Außenminister Siegmar Gabriel. Da ging es um die Frage, wie sich Deutschland entwickeln würde und sollte. Das Land stand vor großen Herausforderungen angesichts der dramatischen Bevölkerungsentwicklung mit dem demografischen Wandel. Dazu kam eine dramatische technische Entwicklung, die Schwierigkeiten für die Landwirtschaft angesichts des Klimawandels und die Landflucht: Ganze Landstriche fallen leer.

Eine Entwicklung, die ja bis heute nicht gestoppt ist.

Martin Walker: Ja, das stimmt. Und dann kam noch das Jahr 2015, als die Flüchtlingswelle begann und Angela Merkel gesagt hat: &bdquo;Wir schaffen das.“

War das aus Ihrer Sicht ein Fehler?

Martin Walker: Der Fehler war nicht, dass sie gesagt hat, &bdquo;wir schaffen das“. Der Fehler lag darin begründet, dass Deutschland in keiner Weise darauf vorbereitet war, all diese Menschen aufzunehmen und zu integrieren, was letzten Endes auch zu den heutigen Konflikten beigetragen hat.

Im Nachhinein wird ja viel Kritik an der ehemaligen Kanzlerin laut. Dazu gehört auch, dass sie möglicherweise Putin vollkommen unterschätzt hat. Sehen Sie das auch so?

Martin Walker: Zunächst einmal muss man sagen, dass sich Wladimir Putin verändert hat in den Jahren. Aber es gibt eine Schlüsselszene, die ihr eine Warnung hätte sein können. Als sie 2007 auf Staatsbesuch in Moskau war, hat Putin seinen Hund (einen schwarzen Labrador, Anm. der Redaktion) mit in den Besprechungsraum genommen und dort frei umherstreifen lassen. Ich bin sicher, er hat gewusst, dass sie panische Angst vor Hunden hat. Das war eine Machtdemonstration, und man sieht auf den Videos von diesem Treffen, wie sie stocksteif da sitzt. So geht man nicht miteinander um.

Aber auch wenn sie diese Anekdote später in ihren Memoiren erwähnt, hat es sie damals offensichtlich nicht als Zeichen gewertet.

Martin Walker: Ich glaube, sie war einfach zu sehr von ihrem eigenen Erfolg überzeugt. Kohls Mädchen, das es zu etwas gebracht hat, Sie wissen schon. Und sie war zu sehr vom wirtschaftlichen Erfolg Deutschlands überzeugt. Das Land der technischen Innovationen, das sich lange im Aufwind bewegt hat. Angela Merkel hat nie geglaubt, dass China einmal eine solche mächtige wirtschaftliche Position erreichen würde.

Offensichtlich ein Fehler.

Martin Walker: Ich habe immer gesagt, man darf China nicht unterschätzen.

Ich möchte gern mit Ihnen noch viel weiter in die Vergangenheit zurückgehen. Sie sind gebürtiger Schotte, zwei Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges in eine ziemlich zerstörte Welt geboren.

Martin Walker: Ja, und das hat unsere Generation geprägt. Wir sind die, die die Welt wieder aufgebaut haben. Die Traumata der Kriegsgeneration tragen wir mit uns herum. So viel Hoffnung lag auf uns. Ich habe meine Kindheit in Schottland verbracht, aber dann bin ich mit meinen Eltern nach Nordengland gezogen. Mein Vater war Büroangestellter in einem Ministerium.

Wie haben Sie es geschafft, an die University of Oxford zu kommen, um dort zu studieren?

Martin Walker: Ehrlich gesagt: Ich war einfach ziemlich gut in der Schule. Und dann habe ich die Tests bestanden. In Oxford geht es nicht nur um gute Schulnoten, sondern auch darum, welchen Charakter man hat. Ich war nicht gut in Sport, aber wir hatten in der Schule auch so eine Art militärische Ausbildung, Marschieren und Drill. Man konnte sich für die unterschiedlichen Gattungen entscheiden, und ich bin in die Royal Airforce-Sektion gegangen. So kam es, dass ich schon mit 17 einen vollwertigen Pilotenschein in der Tasche hatte.

Das ist tatsächlich sehr beeindruckend.

Martin Walker: Ich habe mich auch fürs Theater interessiert. Als es um ein Stück von Shakespeare ging, wollte ich Macbeth inszenieren. Aber ich fand, dass die drei Hexen von den hübschesten Mädchen dargestellt werden sollten. Doch hübsch waren sie nur für das Publikum, Macbeth zeigten sie nur ihre Masken, die sie sich vor das Gesicht hielten.

Sie haben in Oxford Geschichte studiert, aber Sie sind Journalist geworden. Wie kam es dazu?

Martin Walker: Ich wollte immer schon schreiben. Ich hatte die Aufnahme für Oxford in der Tasche, aber bis zum Semesterbeginn waren noch acht Monate Zeit. Söhne reicher Eltern haben damals die Zeit genutzt, um sich treiben zu lassen, zu reisen. Aber das konnte ich mir nicht leisten. Ich habe einerseits in einem Supermarkt gejobbt, und dann habe ich mich in der ganzen Welt bei Zeitungen für ein Praktikum beworben.

Und wo hat es Sie hin verschlagen?

Martin Walker: Nach Südafrika, zum Johannesburg Star. Da habe ich meine ersten Artikel geschrieben. Das Geld für den Flug konnte ich dank des Jobs - zwei Pfund und sechs Pence pro Stunde - zusammenkratzen.

Während des Studiums sind Sie dann Bill Clinton begegnet und haben sich mit ihm angefreundet.

Martin Walker: Ja, er ist wirklich sehr charismatisch, und er bezaubert die Menschen.

Wenn Sie so gute Freunde waren: Haben Sie jemals mit ihm über Monika Lewinsky (die Praktikantin, mit der damalige US-Präsident Sex hatte, Anmerkung der Redaktion) gesprochen?

Martin Walker: Es ist nicht meine Art, mit anderen Männern über Sex zu sprechen.

Nach dem Sex habe ich auch gar nicht gefragt. Es geht mir um die öffentliche Lüge eines Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika.

Martin Walker: Wir haben nie darüber gesprochen. Aber ich habe ein gewisses Verständnis: Da war seine Tochter Chelsea, seine Frau Hilary, natürlich die Amerikaner und die Weltöffentlichkeit. Das war für ihn eine schwierige Situation. Und Monika hat es offensichtlich darauf angelegt. Der andere Punkt ist der: Wir müssen da mal erwachsen werden.

Was meinen Sie damit?

Martin Walker: Wir müssen begreifen, dass unsere Politiker alles auch nur Männer und Frauen sind und keine Götter. Sie sind nicht unfehlbar.

In Ihrer Karriere sind Sie einer Menge beeindruckender Menschen begegnet.

Martin Walker: Ja, ich hatte großes Glück. Als ich Korrespondent in Moskau war, habe ich Michail Gorbatschow kennengelernt.

Da war er noch nicht Präsident, aber Generalsekretär des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Sowjetunion.

Martin Walker: Ich wusste, worauf das hinauslaufen würde.

Sie haben ein Buch darüber geschrieben: &bdquo;Der erwachende Riese. Gorbatschows Russland. Das ist 1987 erschienen.

Martin Walker: Ja, und das hat mich in eine besondere Situation gebracht. Margaret Thatcher war damals die britische Premierministerin und auf Staatsbesuch in Moskau, ich als Korrespondent für den Guardian. Plötzlich wurde ich in ein Zimmer zitiert, es hieß, die Premierministerin will mit mir sprechen. Es war ein kleiner Raum mit einem Sessel, einem prasselnden Kaminfeuer und einem sehr bequem aussehenden Sofa. Plötzlich ging die Tür auf und Margaret Thatcher kam rein. Sie zog ihre Schuhe aus und sank auf das Sofa.

Nicht wahr!

Martin Walker: Doch, so war es. Sie sagte: Martin, Sie haben ein Buch über Gorbatschow geschrieben, ich habe es auf dem Flug hierher gelesen. Schätzen Sie das wirklich so ein, dass Russland ein Wirtschaftspartner für die westliche Welt werden kann, wenn Gorbatschow mit seiner Strategie durchkommt?

Und was haben Sie gesagt?

Martin Walker : Ja, habe ich gesagt. Ich bin fest davon überzeugt, dass es so kommen wird. Er wird es schaffen, und die Welt wird sich verändern. Da sagte sie: &bdquo;Martin, würden Sie dieselbe Frage, die ich Ihnen gerade gestellt habe, mir bitte nachher in der Pressekonferenz stellen?“

Unglaublich. Haben Sie das tatsächlich gemacht?

Martin Walker: Ich war in einem Zwiespalt. Sich als Journalist die Fragen von Politikern in den Mund legen zu lassen, geht gegen die Ehre. Ich habe Maggie Thatcher niemals gewählt, aber ich habe sie sehr bewundert. Und ich habe gedacht: Sie ist von den Briten gewählt worden, sie ist meine Premierministerin.

Also haben Sie es getan? Wie war das?

Martin Walker: Also, bei der Pressekonferenz hatte erst mal die Prawda als Staatsorgan das Recht der ersten Frage. Und der Rangordnung nach, wäre dann die Times drangewesen, doch dem kam Margaret Thatcher zuvor. Sie sagte: &bdquo;Martin, haben Sie eine Frage?“ - Und ich stellte sie.

Nach Ihrer Zeit als Korrespondent in Moskau waren Sie dann ja in Washington...

Martin Walker: Ja, und da kam mir meine Erfahrung in Russland zupass, als Boris Jelzin bei Clinton zu Besuch war. Ich habe damals für einen US-Senator gearbeitet. Jelzin war ständig betrunken, und da wurde ich über einen Mitarbeiter Clintons gebeten, mich um ihn zu kümmern und ihn zu beschäftigen, damit er Bill Clinton nicht so auf die Nerven ging. Der kam mit allen Menschen gut klar, aber mit Boris Jelzin nun mal nicht.

Was haben Sie mit Jelzin gemacht?

Martin Walker: Einen Ausflug. Und ich habe ihm eine Flasche Whisky besorgt, Scotch natürlich.

Aber doch wohl bitte keinen feinen Single Malt?

Martin Walker (lacht): Nein, natürlich nicht, wo denken Sie hin. Teacher’s Whisky. (also einen eher preisgünstigen Verschnitt, Anmerkung der Redaktion). Es hat ihn nicht gestört.

Und jetzt schauen wir nach Washington, wo Sie auch einen Teil des Jahres verbringen, und wir sehen im Weißen Haus einen Präsidenten, der sich nicht nur einer einzigen Lüge schuldig macht, sondern permanent Fakenews verbreitet, während in Moskau ein Kriegstreiber sitzt, der die Ukraine überfallen hat. Haben Sie das kommen sehen?

Martin Walker: Nun, Barrack Obama hat die Russen sehr respektlos behandelt, das hat sicher nicht geholfen. Trumps Management während der Pandemie war unglaublich schlecht. Danach hat Biden sehr viele wichtige, fundamentale Projekte für die Vereinigten Staaten umgesetzt.

Und doch haben die Amerikaner anstatt Kamala Harris noch mal Trump gewählt.

Martin Walker: Tja, die Amerikaner haben leider ein sehr kurzes Gedächtnis. Aber es war auch wirklich viel verlangt, dass sie jetzt auch noch eine schwarze Frau wählen sollten, die quasi keine Regierungserfahrung hat.

Was glauben Sie, was sind die wichtigsten Probleme der kommenden Jahre, wenn dieser Krieg in Europa mal beendet sein sollte?

Martin Walker: Die Künstliche Intelligenz wird eine sehr große Herausforderung. Amerika wird durch die chinesische Weltmacht abgelöst werden, und vergessen Sie Indien nicht, mit seiner riesigen Bevölkerung. Dann sind da der Klimawandel und der Kampf um Ressourcen und sauberes Wasser, das wird zur Bedrohung werden. Und vergessen Sie nicht: Unsere Bevölkerung schrumpft.

Noch eine Frage zur aktuellen Situation in Europa: Finden Sie es richtig, dass die Europäer nun versuchen, eine eigene Streitmacht zu organisieren?

Martin Walker: Ja. Europa muss erwachsen werden, und auch wenn niemand gern die Söhne und Töchter seines Landes auf Krieg vorbereiten will: Tief im Herzen wissen alle, dass es nicht anders geht.

Was macht Ihnen Hoffnung?

Martin Walker: Es gibt immer Hoffnung. Jedes Jahr wird es wieder Frühling. Hoffnung ist unendlich.

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